Anfang Oktober 2010 hatten wir anlässlich der viel beachteten Filesharing-Entscheidung des BGH “Sommer unseres Lebens” darauf hingewiesen, dass die höchstrichterliche Rechtsprechung zur Störerhaftung Anlass zur Verwunderung und zu der Frage gibt, ob sich die Gerichte über die Tragweite dieser Grundsätze im Klaren sind.
Vereinfacht gesagt, sollen nach diesen Grundsätzen nur die Prüfungspflichten zumutbar sein, die ein (erlaubtes) Geschäftsmodell nicht in Frage stellen. Überspitzt formuliert heißt das eigentlich nichts anderes, als dass derjenige, der ein Geschäft betreibt, das so umfangreich ist, dass er es nicht mehr auf Rechstverletzungen überprüfen kann, dafür dann auch nicht haftet. Da man auch ab Kenntniserlangung haftet, ist danach jemand, der möglichst komplizierte Strukturen unterhält und diese nicht überwacht, gegenüber jemandem privilegiert, der eine potentielle Gefahrenquelle möglichst klein hält und diese sogar auf mögliche Rechtsverletzungen überprüft. Der Ehrliche/Gewissenhafte ist also nach dem BGH der Dumme.
Über einen tweet des Kollegen Kompa bin ich nun auf eine Entscheidung des OLG Köln aus dem August 2010 (OLG Köln, Urteil v. 27.08.2010, Az. 6 U 43/10) gestoßen.
Geklagt hatte dort ein Wettbewerbsverband gegen den Verleger einer Zeitungsbeilage “Q”. Der Kläger beanstandete zwei Werbeanzeigen in dieser Beilage als irreführend, die angeblich schlankmachende Mittel zum Gegenstand hatten. Eine Prüfungspflicht eines Verlages beschränkte sich nach ständiger höchstrichterlicher Rechtsprechung auf grobe und eindeutige, unschwer erkennbare Wettbewerbsverstöße. Den Einwand der Beklagten, dass diese Grundsätze nach der BGH-Entscheidung “Internetversteigerung I” nicht mehr uneingeschränkt gelten könnten, nahm der Senat zur Kenntnis. Die Überlegungen dieses Falles seien dennoch nicht auf den vorliegenden Fall anwendbar.
Wörtlich perpetuiert der Senat – vor dem Hintergrund der BGH-Rechtsprechung folgerichtig – die “Der Ehrliche ist der Dumme”-Theorie wie folgt:
” (…) Dementsprechend hat der BGH die Besonderheiten der Veröffentlichung von Angeboten über eine derartige Internetbörse in seiner Entscheidung berücksichtigt und dabei betont (Rz 39), es dürften keine Anforderungen gestellt werden, die ihr von der Rechtsordnung gebilligtes Geschäftsmodell gefährden oder ihre Tätigkeit unverhältnismäßig erschweren würde. Es sei der Betreiberin einer Plattform für Internetauktionen nicht zumutbar, jedes Angebot vor der Veröffentlichung im Internet auf eine mögliche Rechtsverletzung zu untersuchen. Dabei ist darauf abgestellt worden, dass die Angebote im Rahmen eines bloßen Registrierungsverfahrens automatisch in das Internet eingestellt würden und gem. § 7 Abs. 2 TMG eine Pflicht für Diensteanbieter, die von ihnen übermittelten Informationen zu überwachen oder nach Umständen zu forschen, die auf eine rechtswidrige Tätigkeit hindeuten, nicht bestehe. Diese Gesichtspunkte gelten für die Geschäftstätigkeit der Beklagten nicht. Diese betreibt keinen elektronischen Informations- oder Kommunikationsdienst, weswegen § 7 Abs. 2 TMG ihr nicht zugutekommt. Ihre geschäftliche Tätigkeit wird durch die gebotene Überwachung auch nicht unverhältnismäßig erschwert. Die Anzahl der Anzeigenaufträge für die wöchentlich erscheinende Zeitungsbeilage “Q” im Umfang von wenigen Seiten ist im Gegensatz zu dem sehr hohen Angebotsaufkommen bei e-bay nur gering. Diese überschaubare Anzahl von Aufträgen auf grobe, eindeutige und leicht erkennbare Wettbewerbsverstöße zu überwachen, ist der Beklagten zumutbar. Das zeigt sich nicht zuletzt an dem Umstand, dass eine derartige Überwachung seit Jahrzehnten von der Rechtsprechung verlangt wird und diese Überwachung von den Verlegern und Herausgebern von Printmedien auch durchweg erfolgreich geleistet wird. (…)”
So ist das also: Je umfangreicher der Betrieb ist, je größer dementsprechend die potentielle Gefahr für fremde Rechtsgüter, umso weniger muss für Störungen gehaftet werden, die davon ausgehen. Wenn man nun auch jegliche Überwachung ganz sein lässt und nichts prüft, hat man – jedenfalls nach gegenwärtiger Rechtslage – nichts zu befürchten. Der kleine Verlag hingegen muss haften, da dieser ja seine geringe Anzahl an Anzeigenaufträgen leicht überwachen kann und weil die Printmedien das ja auch seit Jahrzehnten schon so machen.
eBay, Google, amazon und Co, deren Geschäftsumfang mittlerweile schon als gigantisch bezeichnet werden muss, müssen das nicht, sonst könnten diese ja gar nicht (legal) betrieben werden. Abgesehen davon, dass mit diesen umfangreichen Geschäftsmodellen auch die entsprechenden Milliardeneinnahmen einhergehen – ist das meiner Meinung nach ein klassischer höchstrichterlicher Zirkelschluss.
Ich frage mich, – Achtung, ungeprüfte Übertreibung, für die wir wegen akuter Geschäftsmodellgefährdung keine Haftung übernehmen können – wann die erste Hehlerbande darauf kommt, sich mit dem Hinweis zu verteidigen, dass sie für die in diesem Zusammenhang begangenen Straftaten wohl nicht verantwortlich zu machen sei, da die Mitglieder und damit die möglichen Straftaten in letzter Zeit so umfang- und zahlreich geworden seien, dass eine entsprechende Prüfung nicht zumutbar sei. Zudem biete man seine Dienste ja auch im Internet an. Jede Handlung eines jeden Mitglieds auf Rechtmäßigkeit zu überprüfen, sei so aufwändig, dass das Geschäftsmodell in Frage stehe. (la)