BGH: Pharma-Großhandel darf keine Preisnachlässe unter Mindestpreis gewähren
Jedem Händler ist bewusst, dass der Kunde in Zeiten von Onlinebestellungen unproblematisch innerhalb kürzester Zeit Preise vergleichen kann und dann in der Regel beim Anbieter mit den niedrigsten Preisen bestellt. Um der attraktivste Anbieter zu sein, wird zum Beispiel mit Preisnachlässen gelockt. Sind solche Rabatte jedoch auch dann möglich, wenn der Gesetzgeber einen Mindestpreis festlegt und der Rabatt die-sen unterschreitet?
Der erste Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat sich in seinem Urteil vom 08.02.2024, Az. I ZR 91/23 damit auseinandergesetzt, ob die Vorschrift § 2 Abs. 1 S. 1 AMPreisV einen Mindestpreis festlegt und ob die Gewährung von Skonti oder anderen Preis-nachlässen, welche zur Unterschreitung dieses Mindestpreises führen, ein Verstoß gegen die Vorschrift zur Folge haben. Die Beklagte ist eine pharmazeutische Unter-nehmerin, die Parallel- und Reimporte von Arzneimittel durchführt. Diese – vor allem hochpreisige Arzneimittel – vertreibt sie im Direktvertrieb gegenüber Apotheken auf Grundlage einer Preisliste, welche u.a. den Apothekeneinkaufspreis (AEP), den Preis öffentlicher Apotheken sowie den Preis bei 14 Tage Valuta mit 3% Skonto enthält.
Grundsätzlich stellt die Beklagte die aufgeführten Preise zzgl. Umsatzsteuer mit ei-nem Zahlungsziel von 30 Tagen in Rechnung. Der Apothekeneinkaufspreis entspricht dem nach § 2 Abs. 1 S. 1 AMPreisV höchstzulässigen Preis. Der „Preis öff. Apotheke“ entspricht ebenfalls der Regelung. „14 Tage Valuta“ bezeichnet den Betrag, den die Beklagte bei vorfristigem Zahlungseingang innerhalb von 14 Tagen verlangt und der sich aus dem „Preis öffentliche Apotheke“ (47,20 €) unter Berücksichtigung des „Skonto“ von 3% (1,42 €) ergibt.
Die Klägerin (Zentrale zur Bekämpfung unlauteren Wettbewerbs) macht geltend, dass die Preisgestaltung der Beklagten gegen § 78 AMG i.V.m. § 2 Abs. 1 S. 1 Hs. 1 AMPreisV verstößt, da der skontierte Preis den nach der Vorschrift zu erhebenden Mindestpreis unterschreitet.
Grundlagen der Preisbindung für verschreibungspflichtige Arzneimittel
Ihre Grundlage findet die Preisbildung für verschreibungspflichtige Arzneimittel in § 78 AMG. Gemäß § 78 Abs. 2 S. 2 AMG ist ein einheitlicher Apothekenabgabe-preis für Arzneimittel zu gewährleisten, welche nicht außerhalb Apotheken vertrie-ben werden dürfen. Die Apotheken müssen dann wiederum bei der Abgabe der verschreibungspflichtigen Arzneimittel an die Patienten einheitliche Preise verlan-gen. Für ebendiese Arzneimittel haben die pharmazeutischen Unternehmen nach § 78 Abs. 3 S. 1 Hs. 1 AMG einen einheitlichen Abgabepreis sicherzustellen. § 78 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 AMG ermächtigt den Verordnungsgeber Preisspannen für Arz-neimittel, welche im Großhandel oder in Apotheken im Wiederverkauf abgegeben werden, festzulegen.
Anwendbarkeit auf pharmazeutische Unternehmer
Nach § 78 Abs. 1 S. 3 AMG gelten die Preisvorschriften für den Großhandel auch für pharmazeutische Unternehmen, die Großhandel mit Arzneimitteln nach § 4 Abs. 22 AMG betreiben. Demnach ist Großhandel mit Arzneimitteln jede berufs- oder gewerbsmäßige zum Zwecke des Handeltreibens ausgeübte Tätigkeit, die in der Beschaffung, Lagerung, Abgabe oder Ausfuhr von Arzneimitteln besteht. Aus-genommen ist die Abgabe an andere Verbraucher als Ärzte, Zahnärzte, Tierärzte oder Krankenhäuser.
Was sind Skonti?
„Skonto“ bezeichnet einen zeitbedingten Preisnachlass auf den Rechnungsbetrag. Demnach ist dieser Nachlass zu gewähren, wenn die Zahlung frühzeitig innerhalb eines bestimmten Zeitraums, vor Ende der eigentlichen Zahlungsfrist getätigt wird.
Vorliegend betrug die reguläre Zahlungsfrist 30 Tage. Wenn der Kunde jedoch die Rechnung innerhalb von 14 Tagen bezahlte, gewährt der Verkäufer einen Preis-nachlass in Höhe von 3%.
Legt § 2 Abs. 1 S. 1 Hs. 1 AMPreisV einen nicht unterschreitbaren Mindestpreis fest?
§ 2 Abs. 1 S. 1 Hs. 1 AMPreisV regelt die Großhandelszuschläge für Fertigarz-neimittel. Danach sind bei der Abgabe von Fertighumanarzneimitteln vom Groß-handel an Apotheken auf den Abgabepreis des pharmazeutischen Unternehmens ein Festzuschlag von 73 Cent sowie die Umsatzsteuer zu erheben. Darüber hin-aus darf zusätzlich auf den Abgabepreis des pharmazeutischen Unternehmers ohne Umsatzsteuer ein Zuschlag von höchstens 3,15% bzw. 37,80 € erhoben werden. Daraus folgt, dass der Mindestpreis sich aus dem Abgabepreis zzgl. ei-nem Festzuschlag von 0,73 € sowie der Umsatzsteuer ergibt. Der Höchstpreis wird begrenzt durch den maximalen (Extra-)Zuschlag von 3,15% bzw. 37,80 €.
Dass es sich bei dem Mindestpreis um eine zwingende Untergrenze in der Preis-gestaltung handelt, ergibt sich bereits aus dem Wortlaut des § 2 Abs. 1 S. 1 Hs. 1 AMPreisV in der seit dem 11. Mai 2019 geltenden Fassung. Während bei dem Mindestpreis auf den Abgabepreis der Zuschlag (0,73 €) und die Umsatzsteuer zu erheben „sind“ (Imperativ), „darf“ der Händler einen zusätzlichen Aufschlag von „höchstens“ 3,15% bzw. 37,80 € erheben (Ermessen).
Systematisch vergleichbar ist die Regelung und Formulierung des Apothekenab-gabepreises in § 3 Abs. 1 S. 1 Hs. 1 AMPreisV. Aus diesem wird deutlich, dass die Apotheken bei der Abgabe von verschreibungspflichtigen Fertigarzneimitteln keine Spielräume haben. Auch hier wurde bereits gerichtlich festgestellt, dass Skonti unzulässig sind, da der Verordnungsgeber die Gewährung von Preisnach-lässe nicht ausdrücklich geregelt hat (BGH, Urteil vom 22.Februar.1984 – I ZR 13/82).
§ 2 AMPreisV soll als Marktverhaltensregel den (Preis-) Wettbewerb unter den Pharmagroßhändlern regeln. Ziel des Mindestpreises und des darin enthaltenen Festzuschlages ist die Sicherstellung einer angemessenen und flächendeckenden Bereitstellung von Arzneimitteln und Belieferung der Apotheken. Um dies zu er-möglichen soll der Großhändler mittels des Festzuschlages eine Vergütung erhal-ten, die ausreichend ist ebendiese angemessene und flächendeckende Beliefe-rung der Apotheken zu gewährleisten. Würde dieser Festzuschlag skontiert, wür-de das Ziel verfehlt werden, da bei der Gewährung von Skonti oder anderen Preisnachlässen es zwangsläufig wirtschaftlich darauf hinausliefe, dass Unter-nehmen auf die Erhebung sämtlicher Zuschläge auf den Abgabenpreis verzichte-ten, indem sie diese durch Rabatte wieder abzögen.
Auch die Tatsache, dass es lange bei pharmazeutischen Unternehmern und Großhändlern üblich war Apotheken bei vorfristiger Zahlung Skonti zu gewähren, ist unerheblich. Diese Praxis steht mit der seit dem 11. Mai 2019 geltenden Fas-sung des § 2 Abs. 1 S. 1 AMPreisV nicht im Einklang. Ein unlauteres Verhalten wird nicht dadurch zulässig, dass es branchenüblich ist.
Unerheblich ist ebenfalls, ob es sich um „echte“ Skonti (vertraglich nicht geschul-dete Leistung wird durch Zahlung des Käufers vor Fälligkeit abgegolten) oder „un-echte“ Skonti (die pünktliche Zahlung des Käufers wird honoriert) handelt. Der ausschlaggebende Faktor ist stets, ob der Mindestpreis unterschritten wird.
Auch sind Skonti auf den Abgabenpreis nicht zulässig, da durch eine Rabattierung des Abgabenpreises der Zuschlag indirekt nicht mehr erhoben und somit der Zweck der Vorschrift ebenfalls nicht erreicht werden würde.
Im Ergebnis legt § 2 Abs. 1 S. 1 Hs. 1 AMPreisV einen verpflichtenden und nicht unterschreitbaren Mindestpreis fest. Folglich ist eine Gewährung von Skonti oder Preisnachlässen auf einen Bestandteil dieses Mindestpreises nicht zulässig, wenn diese zur Unterschreitung dieses führen würde. Da der prozentuale (Zusatz-)Zuschlag im Ermessen des Händlers liegt, ist dieser jedoch folgerichtig rabattfä-hig.
Verstößt § 2 Abs. 1 AMPreisV gegen das Art. 12 GG?
§ 2 Abs. 1 AMPreisV regelt die Berufsausübung von pharmazeutischen Unter-nehmern und Großhändlern. Eingriffe in die Berufsfreiheit nach Art. 12 Abs. 1 S. 2 GG dürfen nur aufgrund Grundlage einer gesetzlichen Regelung erfolgen, die Um-fang und Grenzen des Eingriffs deutlich erkennen lässt. § 2 AMPreisV enthält ein Skontoverbot und stellt somit einen Eingriff in die Berufsfreiheit da. Die Norm ge-nügt jedoch materiell den verfassungsrechtlichen Anforderungen. Berufsaus-übungsregen dürfen vom Gesetzgeber getroffen werden, wenn sie durch hinrei-chende Gründe des Gemeinwohls gerechtfertigt, die gewährten Mittel zur Errei-chung des verfolgten Zwecks geeignet und erforderlich sind und die durch sie verursachte Beschränkung für die Betroffenen zumutbar ist. § 2 AMPreisV hat keinen unmittelbar berufsregelnden Charakter. Die Norm ist geeignet um den mit ihr verfolgten Zweck der flächendeckenden Versorgung der Apotheken mit Arz-neimitteln zu erreichen. § 2 Abs. 1 AMPreisV verstößt nicht gegen Art.12 Abs. 1 S. 2 GG.
Interessenbeeinträchtigung der Verbraucher und Mitbewerber bei Verstoß gem. § 3a UWG
Gemäß § 3a UWG handelt unlauter, wer einer gesetzlichen Vorschrift zuwider-handelt, die auch dazu bestimmt ist, im Interesse der Marktteilnehmer das Markt-verhalten zu regeln, und der Verstoß geeignet ist, die Interessen von Verbrau-chern, sonstigen Marktteilnehmern oder Mitbewerbern spürbar zu beeinträchtigen. Der Verstoß gegen § 2 Abs. 1 AMPreisV durch Gewährung von Skonti, welche dazu führen, dass der Mindestpreis unterschritten wird, ist geeignet die Interessen von Mitbewerbern und Verbrauchern spürbar zu beeinträchtigen.
Auch relativ geringfügige Nachlässe sind geeignet Einfluss auf das Kundenverhal-ten zu haben, da die Preisbindung einen Wettbewerb über den Preis außerhalb des nach § 2 Abs. 1 Hs. 1 AMPreisV zulässigen im Ermessen des Händlers lie-genden (Zusatz-)Aufschlages grundsätzlich ausschließt.
Ob eine spürbare Interessenbeeinträchtigung besteht, ist nach dem Schutzzweck der Norm zu beurteilen. Es sind diejenigen Zwecke zu berücksichtigen, die die Einordnung der Vorschrift als Marktverhaltensregel rechtfertigen, da sie das Inte-resse der Markteilnehmer betreffen. Die Regelungen des § 78 AMG i.V.m. § 2 AMPreisV sind dazu bestimmt den (Preis-)Wettbewerb unter Pharmagroßhänd-lern zu regeln. Sie dürfen nicht dadurch unterlaufen werden, dass ein erfolgter Verstoß als nicht spürbar und damit nicht wettbewerbswidrig angesehen wird. Demnach stellt der das Unterschreiten der Preisuntergrenze des § 2 Abs. 1 S. 1 Hs. 1 AMPreisV einen Verstoß im Sinne von § 3a UWG dar.
Fazit
Pharmazeutische Unternehmen und Großhändler haben gem. § 78 Abs. 3 S. 1 AMG einen einheitlichen Abgabepreis sicherzustellen. Die Preisspanne legt § 2 Abs. 1 AMPreisV fest. Die Unterschreitung des Mindestpreises z.B. durch die Gewährung von Skonti stellt einen Verstoß gegen § 3a UWG dar. Ob die Händler jedoch Preisnachlässe auf die fakultativen Zuschläge gem. § 2 Abs. 1 S. 1 Hs. 2 AMPreisV gewähren, steht in ihrem eigenen Ermessen.
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