Kaum hatte er eine der wenigen begehrten Richterstellen ergattert und sich darauf eingerichtet, im Rahmen eines geruhsamen Berufslebens die zugeteilten Rechtsfälle nach eigenem Gutdünken verwalten zu können, machten ihm die Widrigkeiten der Praxis einen Strich durch die Rechnung.
S. musste zur Kenntnis nehmen, dass sein Arbeitgeber ihm demokratisch legitimierte Regeln, auch “Gesetze” genannt, vorgibt, an die sich alle halten und nach denen auch die ansonsten unabhängige Richterschaft die an sie herangetragenen Rechtsfragen prüfen sollen.
Aber nicht nur das. Die Einhaltung dieser Vorgabe wird auch noch im so genannten Instanzenzug von höherrangigen Richtern dem Vernehmen nach genau kontrolliert. Das Verfahren gipfelt offenbar sogar darin, dass Rechtsakte eines Richters, der sich gegen diese Regeln stellt, korrigiert und im Wiederholungsfall als Willkür gebrandmarkt werden.
Behördenkreise lassen verlauten, dass dieses Prozedere von den Beteiligten “Rechtsstaat” genannt wird.
Amtsrichter S. wollte nicht mehr länger schweigen. In einem unserer Kanzlei vorliegenden Beschluss gibt er erstmals Einblicke in das Ausmaß der wohl bundesweiten Praktiken des deutschen Justizapparats.
Anders, als man es bei Whistleblowern ansonsten gewöhnt ist, ist Herr S. wegen möglicher Konsequenzen aber nicht besorgt. Er ist – wie immer – in der Gerichtskantine oder auf dem Tennisplatz erreichbar.
Das geleakte Dokument kann hier abgerufen werden. (la)
(Bild: shutterstock -Rafa Irusta)