Doch in der digitalen Sphäre verkehrt sich ihre Wirkung oft ins Gegenteil.
Nicht juristisch, aber faktisch: Sie verhilft der ursprünglichen Behauptung zu neuer Sichtbarkeit – und bindet den Namen des Betroffenen dauerhaft an den Vorwurf.
Juristisch sinnvoll – algorithmisch riskant
Das Gegendarstellungsrecht ermöglicht dem Betroffenen, bei einer wahrheitswidrigen Tatsachenbehauptung seine Sichtweise zu veröffentlichen – etwa in einem Online-Artikel oder Fernsehbeitrag. Aus Sicht der Dogmatik ein Gleichgewicht der Meinungen, aus Sicht der digitalen Mechanik jedoch ein verstärkender Resonanzraum für das Ursprungsnarrativ.
Suchmaschinen wie Google gewichten Inhalte nach Kombination von Namen und Schlagworten, Verlinkung und semantischer Nähe. Eine Gegendarstellung, die etwa lautet:
„Herr X stellt klar, dass die gegen ihn im Artikel erhobenen Vorwürfe des Betrugs falsch sind“
führt dazu, dass Suchmaschinen Name und Vorwurf dauerhaft verbinden, selbst wenn der Vorwurf unwahr ist.
Beispiel aus der Beratungspraxis (anonymisiert)
Ein Mandant, Geschäftsführer einer bekannten Beteiligungsgesellschaft, ließ sich erfolgreich gegen einen Artikel auf einem Finanzblog zur Wehr setzen. In dem Beitrag wurde angedeutet, er habe „kundennahe Geschäftsmodelle zur persönlichen Bereicherung“ genutzt – ein klar rufschädigender Kontext. Der Verlag bot an, eine Gegendarstellung zu veröffentlichen, was formal korrekt war.
Doch nach Veröffentlichung stellte sich heraus:
- Die Seite wurde stärker indexiert als zuvor.
- Die Suchbegriffe „[Name des Mandanten] + Bereicherung“ führten nun auf zwei statt auf einen Treffer.
- Die Google-Snippet-Vorschau zeigte in beiden Fällen zentrale Begriffe wie „Bereicherung“, „Kundengelder“ und „Klarstellung“.
- Folge: massive Sichtbarkeit des ursprünglichen Narrativs – trotz Gegendarstellung.
Die strategische Lehre
Nicht jede Gegendarstellung ist hilfreich. In bestimmten Konstellationen kann es klüger sein, auf andere Instrumente zurückzugreifen:
- Unterlassungsanspruch mit vollständiger Löschung
- Deindexierung nach Art. 17 DSGVO
- Einstweilige Verfügung mit SEO-sensibler Umsetzung
- Verpflichtung zur neutralen Linküberschrift ohne kritische Keywords
Handlungsempfehlung für Mandanten
- Keine vorschnelle Zustimmung zu angebotenen Gegendarstellungen – auch wenn sie juristisch korrekt erscheinen.
- Jede Veröffentlichung vorab durch eine kombinierte rechtliche & technische Prüfung begleiten lassen (z. B. Keyword-Dichte, Title-Tags, URL-Struktur).
- Auf inhaltliche Wiederholung von Vorwürfen verzichten: Gegendarstellungen sollten klar sein – aber nicht als Echo des ursprünglichen Schadens wirken.
Fazit
Die Gegendarstellung bleibt ein wertvolles Instrument – aber im digitalen Raum ist sie kein Automatismus, sondern ein Risikoinstrument. Mandanten sollten gemeinsam mit spezialisierten Kanzleien prüfen, ob, wie und wo sie eingesetzt wird. Denn ein juristischer Erfolg darf kein digitaler Reputationsverlust sein.