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Kulturelle Aneignung – was bedeutet das?

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Kulturelle Aneignung
Photo by Kyle Glenn on Unsplash

Es gab Zeiten, da schwärzten sich Kinder das Gesicht, um als Sternsinger an Dreikönige den Repräsentanten Afrikas zu mimen, Zeiten, in denen sie sich für die Karnevalsfeier als „Indianer“ mit Federhaube verkleideten, Zeiten, um sich irgendwann in der Jugendzeit auch mal eine coole Rasta-Frisur mit Dreadlocks zu gönnen. Diese Zeiten sind vorbei. Denn all die beschriebenen Praktiken oder Modestile gelten heute als „kulturelle Aneignung“.

Kulturelle Aneignung – Versuch einer Definition

Was ist das: „kulturelle Aneignung“? Kurz gesagt: Jede Form eines kulturellen Ausdrucks, der von einer anderen als der Herkunftskultur übernommen wird, wenn es – und das ist der Punkt – Vertreter einer „dominanten Kultur“ sind, die Elemente einer „Minderheitskultur“ ohne deren Genehmigung für sich nutzen. Es geht also nicht allein darum, dass man sich Gebräuche, Kunstwerke, Alltagsgegenstände oder andere Kulturträger aneignet (dann dürfte Lang Lang auch nichts von Beethoven spielen), sondern, dass mit der oft profanisierenden Übernahme historische Hierarchien aktualisiert werden, die von der „Minderheitskultur“ schmerzhaft erfahren wurden. Dieser Schmerz werde nun, so die These, durch den entkontextualisierten Gebrauch der Kulturgüter seitens der Vertreter einer (zumindest damals) „dominanten Kultur“ erneut erfahrbar. Zudem führe er in dieser „dominanten Kultur“ (also bei uns im „Westen“) zur Reproduktion von Klischees und im schlimmsten Fall zur Wiederbelebung von Inferioritätsbehauptungen. Kurz: „Kulturelle Aneignung“ ist rassistisch und damit diskriminierend.

Kulturelle Aneignung – Konzept mit Tücken

Soweit die These. Wie so oft schießen deren woke „Vertreter*innen“ weit über das Ziel hinaus. Grundsätzlich ist es sicher gut, darauf zu achten, dass man anderen Kulturen wertschätzend gegenübertritt und das, was dem Anderen wichtig ist, sei es aus religiösen, historischen oder kulturellen Gründen, mit Respekt behandelt. Doch kulturelle Aneignung kann ja gerade auch als ein solcher Akt der Wertschätzung und positiven Identifikation verstanden werden. Im linken Lager, in denen Dreadlocks bisher zum guten Ton gehörten, ist daher eine große Irritation spürbar. War die Frisur nicht ehedem ein nonkonformistisches Fanal gegen das Establishment? Ein Zeichen „gegen rechts“? Und urplötzlich steht der Rasta-Mensch unter Rassismusverdacht! So schnell kann’s gehen.

Kulturelle Aneignung – Teufel und Beelzebub

Zudem lässt es sich nie ganz vermeiden, dass kulturelle Einflüsse aufgenommen werden und dann auch in anderen Kontexten eine Rolle spielen. Alles andere wäre eine anti-globalistische, eurozentrische und im Ergebnis völkische Identitätspolitik. Man kann das Konzept der „kulturellen Aneignung“, soweit es dazu dienen soll, eben jene „kulturelle Aneignung“ als rassistisch und diskriminierend zu verdächtigen, also auch von der Seite her kritisieren, gegen die es eigentlich gerichtet ist. Im Klartext: Es könnte schlichtweg selbst diskriminierend sein, hinter jedem Akt der „kulturellen Aneignung“ eine Diskriminierung zu sehen. Aus Gründen der Vermeidung von „kultureller Aneignung“ den schwarzen König aus der Krippe zu nehmen, schließt Afrika symbolisch vom Weihnachtsgeschehen aus, die Verbannung der Dreadlocks ins Reich des Bösen macht diese Modeerscheinung bei uns unsichtbar. Literatur von Astrid Lindgren („Pippi Langstrumpf“) oder Karl May („Winnetou“) kommenden Generationen vorzuenthalten, hinterlässt Lücken. Das Andere verschwindet aus unserer Erfahrung. Ist das besser? Wertschätzender?

Kulturelle Aneignung – Differenzierter Umgang nötig

Das Zauberwort heißt wohl auch hier: Differenzierung. Denn es kommt sehr auf den Einzelfall an. Es ist ein Unterschied, ob Menschen sich offenbar über andere Kulturen und deren Hervorbringungen lustig machen wollen, oder ob sie im Rahmen eines persönlichen Interesses am Austausch mit dem Anderen dessen Kulturgüter wertschätzend annehmen und im positiven Modus nutzen. Diese Unterschiede müssen im Diskurs und in konkreten Entscheidungssituationen berücksichtigt werden. Die derzeit um sich greifende allgemeine und unterschiedslose Hatz auf alles, was sich unter „kulturelle Aneignung“ fassen lässt, verwässert den Rassismusbegriff und entwertet den Kampf gegen echte Diskriminierungsformen. Davon gibt es bei uns genug.

Der Beitrag stammt von unserem freien Autor Josef Bordat. Er ist Teil unserer Reihe “Berichte aus der Parallelwelt”. Dort werfen Autoren aus anderen Fachbereichen einen Blick auf die Rechtswissenschaft in Theorie und Praxis. Die Beiträge betrachten, anders als unsere sonstigen Fachbeiträge Begebenheiten und Rechtsfälle daher auch nicht juristisch, sondern aus einem völlig anderen Blickwinkel. Aus welchem, das soll der Beurteilung der Leser überlassen bleiben. Interessant wird es, wie wir meinen, allemal.

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