LG Hamburg: “Nazi-Schlampe” ist zulässige Satire
Wir hatten Anfang Mai darüber berichtet:
Der NDR-Satiriker Christian Ehring hat den Aufruf von AfD-Spitzenkandidatin Alice Weidel Ernst genommen und diese in einem Beitrag in der Sendung “Extra 3” mit diesem zweifellos politisch unkorrekten Titel bedacht. Und damit eine interessante Diskussion zur Verortung der Meinungs- und Satirefreiheit in Deutschland eröffnet.
Ist das zulässige Satire oder gehört das auf den Müllhaufen der Geschichte?
Ehring hatte in der Satire-Sendung auf Weidels Rede beim AfD-Parteitag in Köln reagiert:
„Jawohl. Schluss mit der politischen Korrektheit, lasst uns alle unkorrekt sein. Da hat die Nazi-Schlampe doch recht.“
Bereits damals hatten wir prophezeit, dass die von Frau Weidel angekündigten rechtlichen Schritte dagegen ohne Erfolg bleiben würden.
LG Hamburg weist Antrag auf einstweilige Verfügung zurück
Diese Prognose hat sich jetzt jedenfalls in der ersten Instanz vor dem Landgericht Hamburg bewahrheitet. Dieselbe Kammer, die das Böhmermannsche Schmäh-Gedicht noch teilweise als nicht von der Satirefreiheit gedeckt veboten hatte, wies in einem am Mittwoch veröffentlichtem Beschluss einen Antrag Weidels auf Erlass einer einstweiligen Verfügung gegen den Norddeutschen Rundfunk (NDR) zurück.
“Nazi-Schlampe” ist zulässige Satire
Das Gericht hat seine Entscheidung im Kern damit begründet, dass die Aussage aufgrund ihres Kontexts ausreichenden Sachbezug aufweise. Sie sei daher nicht als persönliche Kränkung, sondern als Kritik an der zuvor zitieren Feststellung von Frau Weidel zu verstehen gewesen sei, die politische Korrektheit (damit ist wohl ein übervorsichtiger Sprachgebrauch gemeint) gehöre auf den Müllhaufen der Geschichte. Es handele sich dabei daher um zulässige Satire.
Die Pressemitteilung des LG Hamburg
Das Landgericht Hamburg hat mit Beschluss vom 11. Mai 2017 einen Antrag der AfD-Politikerin Dr. Alice Weidel auf Erlass einer einstweiligen Verfügung gegen den Norddeutschen Rundfunk zurückgewiesen. Der Antrag richtet sich gegen eine Äußerung des Moderators der NDR-Sendung „extra 3“ vom 27. April 2017, in der die Antragstellerin als „Nazi-Schlampe“ bezeichnet wurde. Nach der Entscheidung des Gerichts handelt es sich dabei um Satire, die im konkreten Kontext der Äußerung von der Meinungsfreiheit gedeckt ist. Als Spitzenkandidatin der AfD steht die Antragstellerin im Blickpunkt der Öffentlichkeit und muss auch überspitzte Kritik hinnehmen.
Gegenstand der Satiresendung vom 27. April 2017 war der Parteitag der AfD, auf dem die Antragstellerin zur Spitzenkandidatin gewählt wurde. Im Anschluss an ihre Wahl hielt sie eine Rede, in der es u.a. heißt: „ Es muss endlich Schluss damit sein, dass diejenigen, die auf die Missstände in unserem Land hinweisen, härter bekämpft werden als die Missstände selbst. Und wir werden uns als Demokraten und Patrioten trotz dessen nicht den Mund verbieten lassen. Denn die politische Korrektheit gehört auf den Müllhaufen der Geschichte“. In der Sendung wurde zunächst diese Sequenz eingespielt, die der Moderator mit den Worten „Jawoll, Schluss mit der politischen Korrektheit! Lasst uns alle unkorrekt sein, da hat die Nazi-Schlampe doch recht. War das unkorrekt genug? Ich hoffe!“ kommentierte.
Der Entscheidung liegt eine Abwägung zwischen der Meinungsfreiheit und dem allgemeinen Persönlichkeitsrecht der Antragstellerin zugrunde. Für die rechtliche Beurteilung müssen die konkrete Präsentation und der Zusammenhang zu berücksichtigen, in den die Aussage gestellt worden ist. Eine Verletzung des allgemeinen Persönlichkeitsrechts ist nur anzunehmen, wenn die von ihrer satirischen Umkleidung freigelegte Aussage die Würde des Betroffenen in ihrem Kernbereich trifft.
Einer Bewertung der Äußerung als unzulässige Formalbeleidigung steht es entgegen, wenn – wie hier – mit Bezug auf den Gegenstand der Satire eine Auseinandersetzung in der Sache erfolgt und nicht die persönliche Diffamierung des Betroffenen im Vordergrund steht.
Die umstrittene Äußerung bezieht sich mit den Begriffen „Nazi“ und „Schlampe“ in klar erkennbarer satirischer Weise, d.h. durch typische Übertreibung, auf die aktuelle Forderung der Antragstellerin, die politische Korrektheit gehöre auf den Müllhaufen der Geschichte. In diesem Zusammenhang soll die besonders scharfe Wortwahl „Nazi-Schlampe“ als politisch – und auch sonst – nicht akzeptierte Formulierung zeigen, wohin die Forderung der Antragstellerin führen könnte. Erkennbar geht es nicht darum, dass die Antragstellerin hinter dem Leitbild des Nationalsozialismus stehen würde oder sie Anlass für die Bezeichnung als „Schlampe“ gegeben hätte. Der Zuschauer begreift den Begriff „Nazi“ als grobe Übertreibung, die an die Wahl der Antragstellerin zur Spitzenkandidatin der AfD anknüpft, nimmt deswegen aber nicht an, dass die Antragstellerin Anhängerin der Nazi-Ideologie sei. Es kann dahinstehen, ob die Bezeichnung „Schlampe“ stets eine sexuelle Konnotation habe, wie die Antragstellerin vorträgt. Denn es ist erkennbar, dass die Bezeichnung „Schlampe“ in einem solch verstandenen Sinne keinen Wahrheitsgehalt beansprucht, sondern als Anknüpfung an deren Äußerung zur politischen Korrektheit nur gewählt wurde, weil die Antragstellerin eine Frau ist.
Die Entscheidung des Landgerichts Hamburg ist nicht rechtskräftig. Der Bevollmächtigte der Antragstellerin hat angekündigt, gegen die Zurückweisung ihres Antrags sofortige Beschwerde einzulegen, über die das Hanseatische Oberlandesgericht zu entscheiden hätte.
Quelle: Justiz Hamburg
Auch die Erfolgsaussichten der sofortigen Beschwerde sind schlecht.
Wer das Thema vertiefen möchte, sollte den Artikel unseres Kollegen Niklas Haberkamm “Zum Fall Böhmermann: Die Zulässigkeit des Schmähgedichts” lesen, dessen Überlegungen sich auf den vorliegenden Fall übertragen lassen.
UPDATE 14.6.2017:
Weidel zieht Beschwerde zurück: Neuigkeiten zum Fall ,,Nazi-Schlampe’’.