Die Vorwürfe von Seiten Jan Böhmermanns wiegen schwer. Indem Bundeskanzlerin Merkel Böhmermanns 2016 veröffentlichtes Gedicht „Schmähkritik“ als „bewusst verletzend“ bezeichnete, habe sie ihr Sachlichkeitsgebot und die Neutralitätspflicht verletzt.
Vor dem Berliner Verwaltungsgerichts ist der Satiriker und TV-Moderator mit einer entsprechenden Klage vorerst gescheitert: Merkel muss ihre Äußerung nicht zurücknehmen.
Klage trotz Merkels Erklärung, ihr Verhalten sei ein Fehler gewesen
Nachdem der Sprecher der Bundesregierung die Aussage Merkels, das Gedicht des Satirikers sei „bewusst verletzend“ gewesen, im April 2016 in einer Pressekonferenz mitteilte, forderte Böhmermann die Kanzlerin vorgerichtlich zu einer schriftlichen Unterlassungserklärung auf. Nach dem vergeblichen Versuch verklagte er die Bundesregierung im Mai 2018 vor dem Berliner Verwaltungsgericht. Er sei durch die mittelbaren Folgen der Äußerung in seinen Grundrechten auf Pressefreiheit, Meinungs- und Kunstfreiheit verletzt worden.
Merkels Erklärung, in der sie ihr Verhalten kurz nach der Äußerung als Fehler bezeichnete, sei unbeachtlich, da er sie auf Unterlassung in Anspruch nehme. Hilfsweise verlangte er, dass die Rechtswidrigkeit der öffentlichen Erklärung vom April 2016 gerichtlich festgestellt werde. Die Rechtswidrigkeit sei mangels Ermächtigungsgrundlage zu bejahen. Diese sei erforderlich, da mit der Aussage festgestellt worden sei, dass Böhmermann in strafbarer Weise beleidigt habe.
Wie die Aussage der Bundeskanzlerin ausgelegt werden konnte, berichteten wir ausführlich in einem Beitrag von Rechtsanwalt Dr. Niklas Haberkamm LL.M. oec.:
Keine Wiederholungsgefahr, keine Rechtswidrigkeit
Das Gericht argumentierte jedoch gegen den TV-Moderator. Insbesondere aufgrund Merkels Distanzierung von ihrer Äußerung, sei keine Widerholungsgefahr zu erkennen. Ebenso die Rechtswidrigkeit verneinte das Gericht, da sich die Kanzlerin auf ihre Kompetenz zur Staatsleitung stützen könne. Die verfassungsrechtlichen Anforderungen an staatliche Kommunikation seien gewahrt und das Sachlichkeitsgebot sei nicht verletzt worden.
Die Frage, ob Böhmermann in seinen Grundrechten berührt wurde, könne deswegen offenbleiben. Das Gericht sah in der Äußerung nur ein vertretbares und allein auf den Text des Gedichts bezogenes Werturteil, nicht wie von Böhmermann angenommen, eine strafrechtliche Vorverurteilung (VG Berlin, Urteil v. 16.4.2019, Az. VG 6 K 13.19).
Bereits vor Klageeinreichung hatte unser Kollege Dr. Niklas Haberkamm LL.M. oec. die Aussichten als nicht besonders aussichtsreich eimhgeschätzt (siehe o.g. Beitrag). Das Urteil des Verwaltungsgerichts bestätigt diese Prognose nun.
Das Gedicht ist überhaupt nur zulässig, weil der Inhalt bewusst rechtsverletzend war
Rechtsanwalt Dr. Haberkamm dazu:
„Die Klage von Jan Böhmermann gegen Angela Merkel war für mich nicht nachvollziehbar. Denn die Aussage von Merkel, dass das Schmähgedicht bewusst verletzend war, trifft ja letztlich gerade den Kern der gesamten Diskussion und entspricht zudem der Argumentation von Böhmermann selbst in sämtlichen vorherigen Gerichtsverfahren. Nur weil Böhmermann im konkreten Kontext den Inhalt seines Schmähgedichts bewusst rechtsverletzend gestaltet hat, war das Schmähgedicht nach meiner von Anfang an kommunizierten Rechtsauffassung zulässig. Denn der Anlass des Schmähgedichts war der vorherige Zensurversuch von Erdogan gegen einen zulässigen, nicht bewusst verletzenden Satire-Beitrag von „extra 3“.
Um Erdogan die Grenzen der Satirefreiheit und gleichzeitig die Grenzen des Schutzes seines Persönlichkeitsrechts wiederum in der Form der Satire aufzuzeigen, musste das Schmähgedicht von Böhmermann gerade bewusst verletzend sein. Und dies in deutlichster Form, um eine Diskussion der ansonsten doch zu diskutierenden Möglichkeit der rechtlichen Zulässigkeit des Schmähgedichts von Anfang an zu vermeiden.
Das jetzige Vorgehen legt die Vermutung nahe, dass Böhmermann die aus rechtlicher Sicht im Schmähgedicht schlummernde Brillanz zu den genannten Grenzen der rechtlichen Zulässigkeit beim Vortrag des Schmähgedichts leider überhaupt nicht bewusst war. Durch die Klage gegen Merkel stellt er damit die gesamte Aussage des Schmähgedichts und in gewisser Weise auch sich selbst als Satiriker in Frage.“