Das Kammergericht Berlin (KG Berlin) hat zwei Betroffenen jeweils 50.000 Euro Entschädigung vom Land zugesprochen.
Laut dem Urteil muss ein Staatsanwalt Äußerungen in einer Pressekonferenz genau abwägen, wenn er sich nicht einer Amtspflichtverletzung schuldig machen will. Es ist ein Mindestbestand an Beweistatsachen notwendig, damit bestimmte Äußerungen überhaupt durch die Staatsanwaltschaft getätigt werden dürfen (KG Berlin, Urteil vom 20.12.2022, Az. 9 U 21/21).
Dem Urteil des KG Berlin zufolge ist eine staatsanwaltschaftliche Presseinformation nur zulässig, wenn ein Mindestbestand an Beweistatsachen vorliegt, die für den Wahrheitsgehalt der gegebenen Information sprechen. „Die Informationen müssen zutreffend, präzise, im Gesamteindruck nicht vorverurteilend sein und dürfen nicht in unzulässiger Weise reißerisch formuliert sein“, so das Urteil des KG Berlin.
Um sich nicht wegen Amtspflichtverletzung schuldig zu machen, muss ein Staatsanwalt seine Äußerungen in einer Pressekonferenz genau abwägen, vor allem wenn es Auskünfte im Rahmen von staatsanwaltschaftlichen Ermittlungsverfahrens geht.
Mindestbestand an Beweistatsachen erforderlich für Äußerung gegenüber der Öffentlichkeit
Es darf zum Beispiel nicht von Gewalttaten geredet werden, wenn kein hinreichender Tatverdacht für eine Gewalttat vorliegt. Auch darf beispielsweise kein gezielter Zusammenhang zur organisierten Kriminalität hergestellt werden, wenn sich ein solcher Verdacht nicht bestätigt hat. Im konkreten Fall verneinte das KG Berlin, dass von Strukturen der organisierten Kriminalität gesprochen werden könne, wenn zwei Brüder als gemeinsame Geschäftsführer einer GmbH agieren.
Der Staatsanwalt hatte in einer Pressekonferenz wegen Verdachts auf illegales Glücksspiel und Steuerhinterziehung gesagt: „alles das, was wir in dem Bereich schwerpunktmäßig neben anderen gewalttätigen Straftaten hier ermittelt haben, …“. Diese Aussage, befand das KG Berlin, sei sachlich unzutreffend. Denn der Staatsanwaltschaft hätten keine „validen, einer gerichtlichen Überprüfung im Sinne eines hinreichenden Tatverdachtes standhaltenden Ermittlungsergebnisse zu Gewalttaten“ vorgelegen.
Abwägung zwischen Informationsrecht der Presse und dem allgemeinen Persönlichkeitsrecht
Die Staatsanwaltschaft hatte in er Pressekonferenz auch einen Zusammenhang mit dem US-amerikanischen Gangsterboss Al Capone hergestellt. Das sei „gänzlich unzulässig“ und „suggestiv in den Raum gestellt“, heißt es in dem Urteil des KG Berlin. Ein Zusammenhang mit historischen Straftätern dürfe nicht hergestellt werden, selbst dann, wenn kein direkter Vergleich erfolge.
Die Staatsanwaltschaft habe bei Presseäußerungen eine Abwägung zwischen dem Informationsrecht der Presse und dem allgemeinen Persönlichkeitsrecht (Geheimhaltungsinteresse) des jeweils Betroffenen vorzunehmen.
Unschuldsvermutung auf dem Spiel
Entscheidend sei „nicht der reine Wortlaut der Auskunft“, sondern der Eindruck, den eine solche Auskunft „bei den Kreisen hervorrufen muss, an die die Presse sich wendet“. Bei staatsanwaltschaftlichen Ermittlungsverfahren sei besondere Vorsicht angezeigt, urteilte das KG Berlin. Denn Ermittlungsverfahren würden bereits auf Verdacht hin eröffnet. Auskünfte im Rahmen von Ermittlungsverfahren würden in einem Stadium erteilt, in dem Ermittlungen zwar begonnen, aber bei weitem noch nicht zu einem abschließenden Ergebnis geführt haben. Deshalb sei sorgfältig darauf zu achten, dass die Öffentlichkeit durch die Auskunft kein falsches Bild von der Belastung des Betroffenen erhält. Juristisch nicht vorgebildete Laien seien „allzu leicht geneigt“, die Eröffnung eines staatsanwaltschaftlichen Ermittlungsverfahrens „beinahe mit dem Nachweis der zur Last gelegten Tat gleichzusetzen“.
Unerheblich sei auch, ob der Beschuldigte einen guten Ruf hat oder beispielsweise in andere Ermittlungen verwickelt ist. Dies gelte insbesondere wenn Vorstrafen lange zurück liegen oder einen ganz anderen Hintergrund haben.
Persönlichkeitsrecht verletzt
Das KG Berlin stellte fest, der Oberstaatsanwalt habe sich auf der Pressekonferenz „in amtspflichtwidriger Weise unzureichend differenziert“ geäußert. Die handelnden Beamten hätten Amtspflichten und dadurch auch das Persönlichkeitsrecht der Kläger „rechtswidrig und schuldhaft“ verletzt, wodurch diesen „kausal ein immaterieller Schaden erwachsen“ sei. Das Land Berlin, das Rechtsträger der Staatsanwaltschaft ist, habe deshalb „eine Geldentschädigung zu leisten“.
Sei die Rechtsverletzung schwerwiegend, weil der Betroffene beispielsweise bei Freunden und Familienmitgliedern als Gewaltverbrecher und Zuhälter angesehen wird, Freunde sich deswegen trennen und die Kinder in der Schule beschimpft werden, sei eine erhebliche Entschädigungszahlung zu leisten. Das KG Berlin sprachen beiden Betroffenen jeweils 50.000 Euro zu. Das KG Berlin ließ die Revision nicht zu.