So auch der beklagte Lehrer, der die Kurzgeschichte „Anekdote zur Senkung der Arbeitsmoral“ von Heinrich Böll als Cartoon-Video, in dem er den Inhalt in „modernen“ Worten wiedergab, aufbereitete und auf YouTube hochlud und somit der Allgemeinheit zur Verfügung stellte.
Der Verlag, der die Rechte an der streitgegenständlichen Kurzgeschichte innehat, sah in diesem Video eine Urheberrechtsverletzung.
Mit dem Teilurteil vom 28.3.2024 – Az. 14 O 181/22 entschied das LG Köln, dass eine Urheberrechtsverletzung auch dann vorliegen kann, wenn ein urheberrechtlich geschütztes Werk in eine andere Form übertragen wird. Auch die erst 2021 ins Gesetz aufgenommene Pastiche-Regelung in § 51a UrhG greift nicht ein, wenn das Werk ohne wesentliche eigene neu gesetzte Akzente wiedergegeben wird.
Wann greift der Urheberrechtsschutz?
Gemäß § 1 UrhG genießt der Urheber von Werken der Literatur, Wissenschaft und Kunst für sein Werk den Schutz nach Maßgabe des Urheberrechtsgesetzes. Welche Werke geschützt sind regelt § 2 UrhG. Nach § 2 Abs. 1 Nr. 1 UrhG sind Sprachwerke, Schriftwerke, Reden und Computerprogramme geschützt, sofern es sich um persönliche geistige Schöpfungen im Sinne von § 2 Abs. 2 UrhG handelt.
Bei der „Anekdote zur Senkung der Arbeitsmoral handelt es sich um ein Sprachwerk gem. § 2 Abs. 1 Nr. 1, Abs. 2 UrhG. Bei einem Sprachwerk kann die urheberrechtlich geschützte individuelle geistige Schöpfung sowohl durch die von der Gedankenführung geprägte Gestaltung der Sprache als auch durch die Sammlung, Auswahl, Einteilung und Anordnung des Stoffes zum Ausdruck kommen. Nicht geschützt ist grundsätzlich die einem Schriftwerk zugrundeliegende Idee.
Wenn jedoch die Idee eine individuelle Gestalt angenommen hat, dann kann das auf der individuellen Phantasie des Dichters beruhende Werk und damit auch z.B. der Gang der Handlung, die Charakteristik der Personen oder die Ausgestaltung der Szenen urheberrechtlich geschützt sein. Für das streitgegenständliche Werk bedeutete das, dass zwar nicht die Idee an sich – Darstellung zweier Denkweisen hinsichtlich der Arbeitsmoral – geschützt ist, aber über die konkrete Textfassung und unmittelbare Formgebung eines Gedankens hinaus auch eigenpersönlich geprägte Bestandteile und formbildende Elemente eines Werkes – Gang der Handlung, Charakteristik und Rollenverteilung der handelnden Personen, Ausgestaltung der Personen oder Ausgestaltung von Szenen, bzw. die Szenerie an sich – geschützt sein können.
Im Fall der Anekdote hat Heinrich Böll die Geschichte des Fischers und des Fremden konkret ausgestaltet, er hat eine konkrete örtliche Umgebung gewählt und den Gedanken – Gegensatz: Arbeiten, um zu leben oder Leben, um zu arbeiten – konkret körperlich festgelegt. Zwar ist der Gedanke als solcher nicht geschützt und wurde bereits zuvor von anderen thematisiert, jedoch ist die konkrete Einbettung in diese Szenerie eine persönliche geistige Schöpfung des Autors und somit schutzwürdig.
Ist das Urheberrecht verletzt, wenn das geschützte Werk in seiner Form verändert wird?
Der Lehrer hatte das Werk von Heinrich Böll jedoch nicht eins zu eins übernommen, sondern in Form eines Videos, welches mit Cartoons unterlegt war, verarbeitet und den Text teilweise abgeändert, sodass der Inhalt in Jugendsprache wiedergegeben wurde.
Eine Verletzung des Urheberrechts gem. § 97 UrhG liegt nicht nur vor, wenn ein Werk identisch nachgebildet wird. Aus § 23 Abs. 1 S. 1 UrhG, der besagt, dass Bearbeitungen und andere Umgestaltungen eines Werkes nur mit der Zustimmung des Urhebers veröffentlicht (§ 12 UrhG) bzw. verwertet (§ 15 UrhG) werden dürfen, geht hervor, dass sich der Schutzbereich in gewissen Grenzen auch auf vom original abweichende Gestaltungen erstreckt.
Maßgeblich ist, ob und inwieweit die den Urheberrechtsschutz auslösenden Gestaltungsmerkmale übernommen wurden. Nur in den Fällen, in denen die neu geschaffene Gestaltung keine urheberrechtlich geschützten Bestandteile des älteren Werkes, welches eine andere Werkgattung angehört, aufweist, liegt ein urheberrechtlich nicht relevanter Fall der Inspiration durch das Werk einer anderen Gattung für ein eigenes Werk vor.
Vervielfältigung, § 16 Abs. 1 UrhG
Wird jedoch ein den Urheberrechtsschutz auslösendes Gestaltungsmerkmal übernommen, z.B. im Form der bildhaften Wiedergabe von körperlichen Kunstwerken, liegt eine Vervielfältigung im Sinne von § 16 UrhG vor. Gemäß § 16 Abs. 2 UrhG umfasst eine Vervielfältigung auch die Übertragung des Werkes auf Vorrichtungen zur wiederholbaren Wiedergabe von Bild- oder Tonfolgen. Grundsätzlich stellt jede körperliche Festlegung eines Werkes, die geeignet ist das Werk den menschlichen Sinnen auf irgendeine Art mittelbar oder unmittelbar wahrnehmbar zu machen, eine Vervielfältigung im Sinne des § 16 Abs. 1 UrhG dar. Zu den Vervielfältigungen zählen also nicht nur Nachbildungen, die mit dem Original identisch sind, sondern vom Vervielfältigungsrecht des Urhebers sind auch weit vom Original abweichende Werksumgestaltungen erfasst, wenn die Eigenart des Originals in der Nachbildung erhalten bleibt und ein übereinstimmender Gesamteindruck besteht.
Der Lehrer hat maßgebliche Gestaltungsmerkmale aus dem Original übernommen. Er hat zwar das Werk in Form eines Videos wiedergegeben und auch sprachliche Elemente verändert, jedoch hat er die zugrundeliegende Szenerie, welche den Urheberrechtsschutz auslöst übernommen. Es handelt sich daher um eine Vervielfältigung zu der er kein Recht hatte.
Pastiche-Schranke § 51a UrhG
Schlussendlich ist zu prüfen, ob das Handeln des Lehrers aufgrund der Schranke des Pastiches gem. § 51a UrhG gerechtfertigt war. § 51a UrhG erlaubt die Vervielfältigung, Verbreitung und öffentliche Wiedergabe eines Veröffentlichten urheberrechtlich geschützten Werkes zum Zweck der Karikatur, Parodie und des Pastiches.
Karikatur und Parodie
Vorliegend handelt es sich weder um eine Karikatur noch um eine Parodie. Die Karikatur ist gekennzeichnet dadurch, dass sie in Form einer Zeichnung oder bildlichen Darstellung auftritt, welche durch satirische Hervorhebung oder überzeichnete Darstellung bestimmter charakteristischer Züge einer Person eine Sache oder ein Geschehen der Lächerlichkeit preisgibt. Kennzeichen ist hier der „Ausdruck des Humors beziehungsweise der Verspottung“ zum Zweck der kritischhumorvollen Auseinandersetzung mit Personen oder gesellschaftspolitischen Zuständen. Der Lehrer hat hier die gleiche Geschichte erzählt wie der Autor. Dass der Lehrer durch humorvolle sprachliche Veränderungen vom Original abweicht, ist unbeachtlich.
Das wesentliche Merkmal der Parodie ist, dass diese zum einen an ein bereits bestehendes Werk erinnert, aber gleichzeitig diesem gegenüber wahrnehmbare Unterschiede aufweist und zum anderen einen Ausdruck von Humor oder Verspottung darstellt. Auch dies trifft auf das Lehrvideo nicht zu. Der Lehrer übernimmt die wesentlichen Merkmale und möchte vor allem auch die gleiche Aussage treffen, daher handelt es sich auch nicht um eine Parodie.
Pastiche
Pastiche kommt vom französischen Wort „pastiche“ und bedeutet Nachahmung. Es handelt sich um ein Kunstwerk literarischer, filmischer, musikalischer oder architektonischer Art, welches bewusst und offen das Werk eines anderen Künstlers imitiert. Bei dem Pastiche handelt es sich also um ein intertextuelles Werk, welches durch seine Imitation des Originals auf dieses verweist. Die Imitation ist dabei entweder von Hochachtung (Hommage) oder Satire (Parodie) geprägt. Es handelt sich nicht um eine Fälschung, da es seine nachahmende, nicht selbsterdachte Eigenschaft offen deklariert. Die Auseinandersetzung mit dem bereits bestehenden Werk muss also offen gezeigt werden.
Rechtlich ist der Begriff „Pastiche“, da er erst seit 2021 im Gesetz ist und es kaum Rechtsprechung zu dieser Thematik gibt, nicht abschließend geklärt. Die letztverbindliche Auslegungskompetenz des Begriffes obliegt hier dem EuGH. Dennoch liegt im vorliegenden Fall auch kein Pastiche im Sinne von § 51a UrhG vor. Unabhängig davon, ob die Schrankenregelung der Nutzung zum Zweck von Pastiches im Sinne des Art. 5 Abs. 3 Buchst. k der Richtlinie 2001/29/EG ein Auffangtatbestand für eine künstlerische Auseinandersetzung mit einem vorbestehenden Werk oder sonstigen Bezugsgegenstand ist und ob für den Begriff des Pastiche einschränkende Kriterien wie das Erfordernis von Humor, Stilnachahmung oder Hommage gelten, sind die Voraussetzungen des Pastiche nicht erfüllt.
Denn § 51a UrhG, welcher der Umsetzung der genannten Richtlinie dient, schränkt die Rechte des Urhebers zur Vervielfältigung, Verbreitung und öffentlichen Wiedergabe eines veröffentlichten Werkes nur zum Zweck der Karikatur, der Parodie und des Pastiches ein. Die Schranke des Pastiches unterliegt jedenfalls der Bindung an diesen Zweck. Diese ist hier überschritten. Selbst wenn die Zweckbindung es erlaubt, dass Teile des Werkes – ggf. künstlerisch abgewandelt – wiedergegeben werden, ist eine alleinige Nutzung des fremden Werkes ausgeschlossen. Eine solche alleinige Nutzung liegt bei dem Lehrvideo jedoch vor, da das Video Heinrich Bölls Werk vollständig wiedergibt, ohne dass es eigene Zusätze des Lehrers enthält. Der Lehrer hat lediglich die äußere Darstellung in Form eines Videos gewählt, gibt jedoch die Geschichte unverändert – und ohne darüber hinauszugehen – wieder.
Fazit
Bei der Verwendung eines urheberrechtlich geschützten Werkes – ohne Recht zur Vervielfältigung – muss der Künstler, damit die Rechte des Urhebers gem. § 51a UrhG eingeschränkt werden, ein Werk kreieren, das entweder als Karikatur, Parodie oder als Pastiche zu charakterisieren ist. Dieses Werk darf jedoch nicht einfach das Originalwerk – unabhängig davon, ob eine andere Form gewählt wurde – widergeben. Der Künstler muss, um nicht gegen das Urheberrecht zu verstoßen, eine deutlich definierbare Eigenleistung, die inhaltlich über das Original hinausgeht, erbringen.