Das OLG Hamm hat eine Entscheidung aus dem September 2010 (OLG Hamm, Beschluss v. 9.9.2010, Az. 4 W 97/10) das Landgericht Bochum bestätigt, das davon ausging, dass bezüglich der “Dringlichkeitsfrist”, also des Zeitraums, innerhalb dessen ein Antragsteller ein Verfügungsverfahren einleiten muss, um die in Wettbewerbssachen grundsätzlich vermutete Dringlichkeit der Angelegenheit nicht zu widerlegen, die gesetzliche Regel des § 193 BGB nicht anwendbar sei.
Gem. § 193 BGB verlängern sich einige gesetzliche Fristen, wie zum Beispiel Klagefristen – vereinfacht gesagt – entsprechend, wenn deren Ende auf einen Samstag, Sonntag oder einen Feiertag fällt. Damit soll unter anderem die Einhaltung der Feiertagsruhe erreicht und vermieden werden, dass Gläubiger und dessen Anwalt notgedrungen feiertags im Büro sitzen und Schriftsätze bei Gericht einreichen müssen. Beweggrund des Gesetzgebers war hier sicher auch die Überlegung, dass auch bei Gericht am Feiertag niemand da wäre, um die Eingabe entgegen zunehmen.
Diese Erwägungen des Gesetzgebers sollen aber bei nicht gesetzlichen Fristen nicht gelten, so das LG Bochum und auch OLG Hamm.
Das Ende der “Monatsfrist” fiel im konkreten Fall auf einen Sonntag, der Antrag auf einstweilige Verfügung wurde jedoch erst am darauf folgenden Montag gestellt. Zu spät, findet das OLG Hamm: Der Senat gehe regelmäßig davon aus, dass die Dringlichkeitsvermutung widerlegt ist, wenn er nach Kenntnisnahme länger als einen Monat mit der Stellung des Verfügungsantrages zuwartet. Diese Frist sei aber ein lediglich der Orientierung dienender Richtwert, der sich je nach Sachlage und Eilsituation durchaus auch unterschiedlich darstellen kann. Maßgeblich komme es immer auf die Umstände des Einzelfalls an. Im vorliegenden Fall zeige das Datum des Verfügungsantrags, der mit 07.08.2010 datiert war, dass es dem Antragsteller nun mit der Verschaffung eines Unterlassungstitels nicht oder nicht mehr dringlich gewesen sei. Es habe kein Hindernis bestanden, entsprechend zügig, jedenfalls unter Einhaltung der sog. Monatsfrist, den Verfügungsantrag bei Gericht einzureichen.
So weit, so interessant aber wohl auch falsch.
Es steht zu vermuten, dass der Senat des OLG Hamm auch in dieser Entscheidung seinem Ruf als “Grenzgänger” gerecht werden wollte. Denn diese Rechtsprechung führt nicht nur zu zufälligen und daher unbilligen Ergebnissen, sondern wird auch der Praxis nicht gerecht.
Erstens wird samstags und sonntags weder bei dem gewöhnlichen Antragsteller, noch in einer Anwaltskanzlei gearbeitet. Die Fertigstellung und Freigabe des Antrags hätte nach Auffassung des Senats, zur Einhaltung der “Monatsfrist” somit bereits am Freitag geschehen müssen. Damit aber hinge die Länge der Dringlichkeitsfrist von dem Zufall ab, ob deren Ende auf einen Wochentag oder einen Samstag, Sonntag oder einen Feiertag fällt. Der hiesige Antragsteller hätte 2 Tage weniger Zeit, sich für eine gerichtliche Inanspruchnahme zu entscheiden und seinen Antrag vorzubereiten, als derjenige, bei dem das Ende der Frist zum Beispiel auf einen Freitag fällt. Letzterer könnte die “Monatsfrist” voll ausschöpfen und der wäre der Antrag noch dringlich. Im Falle des Antragstellers ginge dies nicht.
Zweitens hätte auch eine Anhängigmachung bereits am Sonntag keine schnellere Bearbeitung des Antrags bewirkt, da auch bei Gericht niemand da gewesen wäre, um den Antrag entgegen zunehmen, geschweige denn, dass die zuständige Kammer erreichbar gewesen wäre, um eine Entscheidung zu treffen. Demnach würde das Verfahren, selbst wenn man sich an der Zufälligkeit der Ergebnisse noch nicht stören wollte, auch faktisch nicht verzögert.
Im Eilverfahren ist an dieser Stelle leider Schluss. Die Irrevisibilität der Entscheidung des OLG in Eilsachen ist zudem gesetzlich geregelt, so dass daran, anders als bei der Dringlichkeitsfrist, auch nicht zu rütteln ist.
Nicht erst seit Entscheidungen wie dieser unterscheiden wir bei der allwöchentlichen Kanzleibesprechung daher streng die Rechtstheorie von der Rechtswirklichkeit. Erstere steht für ein beliebiges mögliches Ergebnis einer juristischen Prüfung des Falls, letztere für die teilweise nicht mehr vorhersagbaren unterschiedlichen “Entscheidungen” unterschiedlicher Gerichte. Wenn man die Eigenheiten des Standorts vorher kennt, “fliegt” man in Internetsachen zum genehmen Gerichtsstand. Wenn nicht, ist man vor Gericht als auch auf hoher See in Gottes Hand. (la)