Der Kollege Thomas Stadler berichtet in seinem Blog von einer Entscheidung des Landgerichts Hamburg (Beschluss vom 09.06.2011, Az.: 303 O 197/10), in der sich das Gericht in Bezug auf eine Domainstreitigkeit für örtlich unzuständig erklärt und den Rechtsstreit an das Landgericht Lübeck, den Sitz des Beklagten verweist.
Der Kollege weist darauf hin, dass in der Rechtsprechung bereits von anderen Gerichten vereinzelt versucht worden sei, die Wahl des fliegenden Gerichtsstands durch Missbrauchserwägungen einzuschränken. Es bleibe abzuwarten, ob es bei Einzelfallentscheidungen bleibt, oder sich ein entsprechender Trend herausbilde.
Klage verloren, Recht missbraucht?
Mir stellt sich angesichts einer solchen Entscheidung eine ganz andere Frage.
Nämlich die, ob sich der zur Zeit abzeichnende Mode bei den Gerichten durchsetzt, dem Kläger in Fällen, bei denen er sich mit den geltend gemachten Ansprüchen bzw. Auffassungen aus Rechtsgründen nicht durchsetzen kann, in Zukunft durchweg immer ohne Not einen Missbrauch des Rechts vorzuwerfen.
Nichts anderes macht das Landgericht Hamburg nämlich in der Bezug genommenen Entscheidung, in dem es dem Kläger Rechtsmissbrauch vorwirft, nur weil dieser einem ihm genehmen Gerichtsstand Klage erhoben hat.
Zur Begründung seiner örtlichen Unzuständigkeit führt das Landgericht Hamburg durchaus vertretbar aus, dass eine Zuständigkeit nach § 32 ZPO zumindest einen sachlichen Bezug zum Gerichtsstand voraussetze und die bloße Tatsache, dass eine Domain bundesweit abrufbar sei, nicht dazu führe, das vor jedem Gericht Deutschlands geklagt werden könne. Im vorliegenden Fall bestehe der zu fordernde sachliche Bezug zum Gerichtsstand Hamburg nicht. Die Klägerin sei eine Gemeinde in Lübeck, der Beklagte wohne in Kassel und die technische Betreuung der Domain erfolge in Aachen.
Damit hätte es das Landgericht Hamburg sein Bewenden lassen und lediglich feststellen können, dass es sich auf und dieser rechtlichen Erwägungen für örtlich nicht zuständig halte und die Klage daher an das zuständige Landgericht Lübeck verweise.
Aus unerfindlichen Gründen fühlt sich das Landgericht jedoch zu der Feststellung berufen, das in diesen Fällen die allein auf den Kanzleisitz des Klägervertreters abstellende Begründung des Gerichtsstands missbräuchlich (!) sei.
Der Missbrauch des Rechts kommt selten vor
Dieser Satz ist insbesondere, weil das Landgericht seine örtliche Zuständigkeit bereits mit vertretbaren Argumenten abgelehnt und dem Kläger insoweit bereits das Nichtbestehen des behaupteten “Rechts” bescheinigt hat, nicht nur überflüssig, sondern schlichter Unsinn. Denn ein “Recht”, das der Kläger nicht hat, kann dieser nicht missbrauchen. Rechtsmissbrauch kommt somit denklogisch immer nur dann in Betracht, wenn sich das Vorbringen des Anspruchstellers als schlüssig erweist, dieser somit im “Recht” ist, er aber dieses Recht zur Durchsetzung sachfremder Ziele missbraucht.
Abgesehen davon, gibt es keine Veranlassung, prozessuale Überlegungen eines Klägers als Missbrauch zu bezeichnen, nur weil dieser bestrebt ist, ein für ihn günstiges Ergebnis zu erzielen. Geschickte taktische Prozessführung, mag sie auch zulasten des Gegners gehen, ist kein Missbrauch, sondern ein von der Rechtsordnung vorgesehener schlauer Gebrauch der zur Verfügung stehenden Vorschriften. Der Vorwurf des Rechtsmissbrauchs ist in diesem Fall daher nicht nur unsinnig, sondern schlicht unverschämt, da dem Anspruchsteller völlig grundlos und ohne Not niedere, zu missbilligende Motive unterstellt werden.
Damit keine Missverständnisse aufkommen: Der Missbrauch von Rechtspositionen kommt vor. Dieser ist auch zu Recht unzulässig. Allerdings kommt dieser seltener vor als man denkt. Er ist eine seltene Ausnahme. Dringt ein Kläger mit seinen Ansprüchen schlicht nicht durch, zum Beispiel weil er eine höhere Geldsumme von seinem Schuldner fordert, als ihm rechtlich zusteht, missbraucht er nichts. Er gebraucht bzw. behauptet allenfalls ein “Nichtrecht”. Für einen Rechtsmissbrauch ist dagegen Voraussetzung, dass der geltend gemachte Anspruch besteht, dessen Geltendmachung aber missbräuchlich ist, zum Beispiel weil er sachfremd nur dazu eingesetzt wird, einem anderen Schaden zuzufügen.
Gerade weil der Missbrauch eines Rechts sein Bestehen voraussetzt, liegt schließlich auf der Hand, dass an das Vorliegen eines Missbrauchs höchste Anforderungen zu stellen sind und ein Rechtsmissbrauch nur in äußersten Ausnahmefällen vorliegt. Das ist auch nicht schlimm. Denn wie im vorliegenden Fall besteht oft bereits schlicht der behauptete Anspruch nicht, so dass das Ergebnis das gleiche ist. Eine schnöde Klageabweisung bzw. -verweisung ist aber natürlich weniger interessant, als die Feststellung, dass der Kläger verloren hat, weil ihm ein Missbrauch vorzuwerfen sei. (la)
(Bild: © Torbz – Fotolia.com)
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