„Fußball ist unser Leben“, sang die deutsche Nationalmannschaft zur Weltmeisterschaft 1974 im eigenen Land.
Diesen kollektivistischen Vereinnahmungsversuch mag man ja für sich persönlich zurückweisen, doch es bleibt das Zugeständnis, dass sich der Fußball seither zu einem Mikrokosmos mit eigenen wirtschaftlichen, sozialen und rechtlichen Aspekten entwickelt hat.
Fußball-Phänomene wie die Schechter–Anleihe, das Fan-Verhalten im Stadion (und außerhalb) sowie das Bosman-Urteil des Europäischen Gerichtshofes (EuGH, Urteil v. 15. 12.1995, Az. C-415/93) hatten und haben eine spürbare Rückwirkung auf gesellschaftliche Debatten neben dem Platz. Sogar zur Sinnstiftung taugt die Jagd nach dem Leder.
Der Berliner Sportphilosoph Gunter Gebauer („Das Leben in 90 Minuten. Eine Philosophie des Fußballs“) erklärt den intrinsischen Sinngehalt des Fußballs mit dessen Nähe zur schicksalhaft erfahrenen Lebenswirklichkeit. Deutlich werde das bei Toren in letzter Minute:
„Mit einem Schlag wird für die Spieler und ihre Anhänger die ganze Schutzlosigkeit des Menschen präsent. Es ist ein tragischer Blick in die Abgründe der menschlichen Existenz.“
Man hat den Eindruck, Franz „Der Kaiser“ Beckenbauer und seine Mitstreiter hatten Recht: „König Fußball regiert die Welt“.
Das Reich braucht Richter
Doch zunächst einmal regiert der Fußball sich selbst. Mächtige Verbände, mit deren Präsidenten man sich weit über den Sport hinaus gern umgibt, Finanzmagnaten, die in ihrer Freizeit Vereine zusammenbauen wie andere Modellflugzeuge, Medienanstalten, die einen Großteil ihres Budgets aufwenden, um die Schau zeigen zu dürfen – das Reich von König Fußball prosperiert. Freilich braucht ein solches System auch eine Gerichtsbarkeit. Ähnlich wie auch in der Welt neben dem Platz hat diese mehrere Instanzen.
Zunächst ist da der Schiedsrichter. Er entscheidet situativ nach der Regellage. Neuerdings unterstützen ihn dabei nicht nur zwei Assistenten (früher: Linienrichter) und eine Torkamera, sondern auch der „Video Assistant Referee“ (VAR), der sich vor dem Fernseher im Hinblick auf die Regelauslegung strittige Situationen anschaut und dem Schiedsrichter ein mögliches Fehlurteil signalisiert. Dieser kann dann erneut in die Beweisaufnahme gehen und das Urteil revidieren, muss das aber nicht. Er entscheidet letztlich allein. Auch über Platzverweise bei „Notbremsen“, groben Fouls oder Unsportlichkeiten aller Art.
Mit einer „Roten Karte“ verbunden ist eine unmittelbar wirksame Sperre für den weiteren Spielverlauf. Wie lange und für welche Spiele der betreffende Akteur danach gesperrt wird, entscheidet die DFB-Sportgerichtsbarkeit. Ein Spiel Sperre ist das Mindestmaß im Profifußball. Doch manchmal brummt der DFB dem Delinquenten auch mehr auf, abhängig von der Schwere der Regelwidrigkeit.
Der lange Weg zur Sperre
Dabei gibt es ein festgelegtes Verfahren. Zunächst geht der Bericht des Schiedsrichters zum Kontrollausschuss, eine Art „Staatsanwaltschaft“ im DFB. Er leitet die Ermittlungen ein und stellt den „Strafbefehl“ aus. In diesem kann er u.a. eine Sperre fordern. Der Kontrollausschuss setzt darüber den Spieler, seinen Verein sowie das Sportgericht in Kenntnis. Akzeptieren Spieler und Verein das geforderte Strafmaß, wird es wirksam. Legen sie hingegen Einspruch ein, wird der Richter des DFB-Sportgerichts aktiv und entscheidet in schriftlichem Verfahren. Legen dagegen entweder der Kontrollausschuss auf der einen oder der Verein bzw. der Spieler auf der anderen Seite Einspruch ein, findet eine mündliche Verhandlung vor dem Sportgericht statt. Bei etwa jeder siebten Entscheidung ist das der Fall. Nach der mündlichen Verhandlung vor dem Sportgericht kann Berufung gegen die Entscheidung eingelegt werden. Als letzte Rechtsinstanz im deutschen Fußball entscheidet dann das DFB-Bundesgericht. Dessen Urteil kann nicht mehr angefochten werden.
Rot ist nicht gleich Rot
In der Sache unterscheiden die Gremien drei Standardfälle: unsportliches Verhalten, rohes Spiel und Tätlichkeit. Unter das unsportliche Verhalten fallen leichtere Regelwidrigkeiten wie „Notbremsen“ zum Verhindern einer Torchance oder ein Festhalten des Gegners. Mindeststrafmaß: ein Spiel Sperre. Rohes Spiel findet Anwendung, wenn im Kampf um den Ball der Gegner rücksichtslos verletzt oder gefährdet wird. Das Mindestmaß für die Sperre beträgt zwei Wochen – unabhängig davon, wieviele Partien der Spieler damit verpasst. Oft gibt es für rohes Spiel zusätzlich eine Geldstrafe. Die Tätlichkeit ist das schwerste Vergehen und zieht eine Sperre von sechs Wochen nach sich. Es gibt jedoch Rabatt beim Strafmaß, wenn der Spieler vorher selbst gefoult oder angegangen wurde oder wenn nur eine leichtere Tätlichkeit (leichtes Stoßen o.ä.) vorliegt. Dann kann die Sperre auf bis zu zwei Spiele reduziert werden. Mitentscheidend bei der Strafbemessung ist zudem, ob der Spieler Erst- oder Wiederholungstäter ist.
Grundsätzlich gibt es also bei der Judikative im Reich von „König Fußball“ eine ganz ähnliche Verfahrensweise und Bemessungslogik wie im Strafrecht der bundesdeutschen Außenwelt. Oder: Ganz wie in unserem Leben.
Der Beitrag stammt von unserem freien Autor Josef Bordat. Er ist Teil unserer Reihe “Berichte aus der Parallelwelt”. Dort werfen Autoren aus anderen Fachbereichen einen Blick auf die Rechtswissenschaft in Theorie und Praxis. Die Beiträge betrachten, anders als unsere sonstigen Fachbeiträge Begebenheiten und Rechtsfälle daher auch nicht juristisch, sondern aus einem völlig anderen Blickwinkel. Aus welchem, das soll der Beurteilung der Leser überlassen bleiben. Interessant wird es, wie wir meinen, allemal.