Das Handelsgericht Wien hat im Urheberrecht eine im Internet stark umstrittene Entscheidung getroffen. Dies wollen wir zum Anlass nehmen, die Host-Provider-Haftung etwas genauer zu untersuchen. Auf Grundlage der europäischen und deutschen Regelungen soll aufgezeigt werden, welche Bedeutung diese Entscheidung haben kann.
Fernsehsender vs. Internetplattform
Puls4 ist ein österreichischer Privatfernsehsender von ProSiebenSat1. Die Klage richtete sich gegen YouTube, auf dessen Plattform Nutzer Videos hochladen können. In einigen Fällen luden Nutzer urheberrechtlich geschützte Inhalte des Fernsehsenders hoch, wo diese von YouTube weiter vermarktet wurden.
Die Entscheidung des Handelsgerichts Wien liegt uns nicht im Volltext vor. Lediglich die Pressemitteilung der ProSiebenSat.1 PULS 4 GmbH ist derzeit verfügbar.
Der Pressemitteilung zufolge klagte Puls4 vor dem Handelsgericht Wien auf Unterlassung und verlangte, dass YouTube verhindern müsse, dass Dritte urheberrechtsverletzende Inhalte auf der Plattform hochladen. YouTube dagegen berief sich auf das Host-Provider-Privileg des E-Commerce-Gesetzes Österreichs (ECG).
Offenbar stellte das Gericht in seiner Entscheidung fest, dass YouTube im konkreten Fall für die auf seiner Plattform begangenen unmittelbar Urheberrechtsverletzungen haftet. Anscheinend verlässt YouTube nach Ansicht des Gerichts die Rolle eines „neutralen Vermittlers” aufgrund der erfolgten Verknüpfungen, Sortierungen, Filterungen, Verlinkungen sowie dem Anbieten weiterer Services wie Erstellung von Inhaltsverzeichnissen oder Erstellung eines maßgeschneiderten Surfvorschlags und kann sich deswegen nicht mehr auf das Host-Provider-Privileg berufen.
Der Fernsehsender ist der Meinung, dass YouTube nun verpflichtet sei, in Zukunft bereits während des Uploads sicherzustellen, dass keine rechtsverletzenden Inhalte hochgeladen werden. Sollte dies tatsächlich der Fall sein, so hat das Handelsgericht Wien entgegen der derzeit geltenden europäischen Regelungen zur Haftung von Plattform-Betreibern entschieden.
Europäische und deutsche Rechtslage
Das Host-Provider-Privileg aus § 16 Abs. 1 ECG findet seine Grundlage in Art. 14 Abs. 1 der e-Commerce-Richtlinie 2000/31/EG. Im deutschen Recht findet sich die entsprechende Regelung in § 10 S. 1 Telemediengesetz (TMG). Demnach sind Diensteanbieter für fremde Informationen
„die sie für einen Nutzer speichern, nicht verantwortlich, sofern
1. sie keine Kenntnis von der rechtswidrigen Handlung oder der Information haben und ihnen im Falle von Schadensersatzansprüchen auch keine Tatsachen oder Umstände bekannt sind, aus denen die rechtswidrige Handlung oder die Information offensichtlich wird, oder
2. sie unverzüglich tätig geworden sind, um die Information zu entfernen oder de Zugang zu ihr zu sperren, sobald sie diese Kenntnis erlangt haben.“
Dabei sind Diensteanbieter gemäß Art. 15 Abs. 1 der Richtlinie 2000/31/EG bzw. § 7 Abs. 2 TMG nicht verpflichtet, die von ihnen übermittelten oder gespeicherten Informationen zu überwachen oder nach Umständen zu forschen, die auf eine rechtswidrige Tätigkeit hinweisen.
Die deutsche Rechtsprechung
In einem ähnlich gelagerten Fall wie den vorliegenden setzte sich das Oberlandesgericht Hamburg in seiner lesenswerten Entscheidung (OLG Hamburg, Urteil v. 1.7.2015, Az. 5 U 87/12) mit der in Frage stehenden Haftung von YouTube für Urheberrechtsverletzungen umfassend auseinander. Die GEMA hatte vor dem Landgericht Hamburg gegen YouTube auf Unterlassung geklagt, streitgegenständlichen Musikwerke auf dem Gebiet der Bundesrepublik Deutschland öffentlich zugänglich zu machen und/oder zugänglich machen zu lassen bzw. dies Dritten zu ermöglichen.
Das OLG Hamburg stellte fest, dass es sich bei dem Betreiber von YouTube im Grundsatz um einen Host-Provider handelt. Dieser falle unter den Schutz des Art. 14 der Richtlinie 2000/31/EG bzw. § 10 TMG und sei grundsätzlich nicht verpflichtet, die von ihm gespeicherten Informationen zu überwachen oder nach Umständen zu forschen, die auf eine rechtswidrige Tätigkeit hinweisen, vgl. § 7 Abs. 2 TMG.
Der neutrale Vermittler und der Störer
Der Diensteanbieter verlässt nach Ansicht des OLG Hamburg erst dann seine neutrale Vermittlerposition und spielt eine aktive Rolle, wenn er sich die von seinen Nutzern angebotenen bzw. eingestellten Werke zu eigen macht und urheberrechtlich geschützte Werke veröffentlicht. Es verneinte jedoch, dass YouTube sich die Werke allein durch das Anbringen seines Logos zu eigen mache. Eine Haftung als Täter oder Teilnehmer scheidet deswegen aus. Dagegen spreche auch nicht, dass YouTube seinen Nutzern vielfältige allgemein unterstützende Leistungen anbiete und dadurch die Rolle als Host-Provider verlasse. Denn der Nutzer stelle das jeweilige Werk in einem automatisierten Verfahren ohne vorherige Kenntnis von YouTube ein und ermögliche damit Dritten den Abruf.
Nach Ansicht des OLG Hamburg ist YouTube jedoch ab Kenntnis als Störer für diejenigen Rechtsverletzungen (mit-)verantwortlich, die Nutzer über die Internetplattform begangen haben. Dabei betont das Gericht, dass den Dienstanbietern im Sinne der §§ 8 bis 10 TMG keine generelle Prüfungspflicht obliegt. Es sei YouTube nicht zuzumuten, jedes Video vor der Veröffentlichung im Internet auf eine mögliche Rechtsverletzung hin zu untersuchen. Eine Pflicht, eine Rechtsverletzung zu beseitigen und zu verhindern, trifft den Diensteanbieter erst dann, wenn er auf eine klare Rechtsverletzung hingewiesen worden ist.
Weitergehende Prüfungspflichten bestehen nur, wenn das Geschäftsmodell von vornherein auf Rechtsverletzungen durch die Nutzer angelegt ist oder der Gewerbetreibende durch eigene Maßnahmen die Gefahr einer rechtsverletzenden Nutzung fördert.
Die Entscheidung des OLG Hamburg ist vor dem Hintergrund der geltenden Vorschriften der e-Commerce-Richtlinie 2000/31/EG konsequent und richtig.
Und jetzt?
Sollte das Handelsgericht Wien tatsächlich eine Haftung YouTubes als (Mit-)Täter und die Verpflichtung einer Prüfung des Inhalts während des Uplaods bejaht haben, wäre diese Entscheidung vor dem Hintergrund der derzeitigen Entwicklungen bzgl. der EU-Urheberrechtsreform nicht unumstritten.
Anhand des Urteils des OLG Hamburg wird jedoch deutlich, welche Anforderungen derzeit an die Host-Provider und insbesondere an die Betreiber von Plattformen wie YouTube gestellt werden. Es kann von ihnen schon aufgrund der schieren Anzahl von Angeboten, die täglich auf ihrer Plattform eingestellt werden, nicht zugemutet werden, jedes Angebot auf rechtsverletzende Inhalte zu prüfen.
Der Bundesgerichtshof hat derzeit einen ähnlich gelagerten Fall wie den vorliegenden zu entscheiden. Eine endgültige Entscheidung in der deutschen Rechtsprechung bzgl. einer Haftung YouTubes als Störer oder sogar als (Mit-)Täter ist daher noch zu erwarten.