17 Anzeichen, an denen man eine „Massenabmahnung“ erkennt – am Beispiel der aktuellen Facebook-Abmahnung
Gerade hatte man noch gedacht, dass die Zeit der Massenabmahnungen wohl vorbei sei.
Das Netz deckt Massenabmahnungen schnell auf
Zu schnell konnte die Netzgemeinde in der Vergangenheit durch Zusammentragen der entsprechenden Fälle die Versuche entlarven, durch die Fertigung zahlreicher Abmahnschreiben wegen gleicher oder ähnlicher Verstöße an viele Empfänger das schnelle Geld zu machen.
Betroffene sind gewarnt
Das Ergebnis war nicht nur, dass die Namen von Abmahner und des vertretenden Rechtsanwalts (der sich im übrigen bisher häufig gar nicht mit dem Gebiet des gewerblichen Rechtsschutzes, sondern mit völlig anderen Rechtsgebieten beschäftigt hatte) an vielen Stellen im Netz kursierten und die Betroffenen somit gewarnt waren.
Es kommen Indizien für den Rechtsmissbrauch zusammen
Ein weiterer Effekt war auch, dass durch Vorlage der zahlreichen Abmahnungen auch manchmal vor Gericht belegt werden konnte, dass die Anzahl der ausgesprochenen Abmahnungen und das damit einhergehende potentielle Kostenrisiko mit der wirtschaftlichen Betätigung der Abmahner in keinerlei Verhältnis stand. Häufig handelte es sich dabei um Onlinehändler mit einer auffällig großen Produktpalette und mit genauso auffällig geringen Umsätzen.
Die neuste Abmahnwelle findet auf Facebook statt
Jetzt ist es offenbar wieder so weit. Ein „pfiffiges“ Unternehmen, die Binary Services GmbH hat sich mit einer (bisher) unbekannten Anwaltskanzlei, der Kanzlei Hans-Werner Kallert „HKW“ zusammengetan und zahlreiche professionell betriebene Facebookseiten herausgesucht, die entweder kein oder ein angeblich nicht ordnungsgemäßes Impressum hatten, um diese dann kostenpflichtig abzumahnen. Im Blog eines Abgemahnten melden sich aktuell immer mehr Betroffene, so dass davon auszugehen ist, dass die Anzahl der Fälle in die Hunderte gehen könnte. Ob es klug war, sich für diese Abmahnaktion ausgerechnet das soziale Netzwerk Facebook auszusuchen, wird sich zeigen.
Zahlreiche Abmahnungen deuten nicht immer auf einen Missbrauch hin
Um das direkt klarzustellen: Grundsätzlich gestatten zahlreiche Rechtsverstöße auch dazu, entsprechend zahlreich abzumahnen. Alleine die Zahl der ausgesprochenen Abmahnungen ist daher für sich genommen kein Indiz für einen Missbrauch. Dies gilt insbesondere für die so genannten Sonderschutzrechtsgebiete, wie zum Beispiel dem Urheberrecht, Markenrecht oder dem Patentrecht. In diesen Fällen liegt auf der Hand, dass jemand, der ein ihm zustehendes absolutes Recht zahlreich verletzt sieht, sich natürlich auch zahlreich zur Wehr setzen können muss.
Im Wettbewerbsrecht gilt ein strengerer Maßstab
Im Wettbewerbsrecht sieht das allerdings ein wenig anders aus, da sich hier die Mitbewerber untereinander wegen jedes für den Markt spürbaren Rechtsverstoßes abmahnen können und dies grundsätzlich auch sollen. Da ein solches Vorgehen jedoch nicht voraussetzt, dass der Abmahnende von dem Rechtsverstoß unmittelbar betroffen oder sogar geschädigt ist, eröffnet sich hier eher ein Missbrauchspotenzial, das mithilfe des Internets und den entsprechenden Suchfunktionen auch schnell effektiv ausgeschöpft werden kann.
Massenabmahnungen sind oft auf den ersten Blick erkennbar
Oft frisst in diesen Fällen jedoch die Gier das Hirn. Abmahnungen, die in der Absicht ausgesprochen werden, möglichst viele Opfer zu einer Unterlassungserklärung und zu einer Zahlung zu bewegen, sind häufig wenig durchdacht und erinnern an behördliche Formschreiben. Oft sind es fachfremde Kollegen, die sich mit dem Abmahner zusammen tun und dann anlässlich einer aktuellen Gerichtsentscheidung, von der sie annehmen, dass sie ihr Begehren tragen könnte, loslegen.
Anlässlich der aktuellen Facebook-Abmahnwelle haben wir uns eines der uns vorliegenden Abmahnschreiben der Kanzlei Hans-Werner Kallert „HKW“ im Auftrag der Binary Services GmbH mal vorgenommen und auf typische Anzeichen einer „Massenabmahnung“, also eines Schreibens, das bezüglich eines ähnlichen Sachverhalts an zahlreiche Empfänger erstellt und versendet wird, untersucht.
17 Anzeichen, an denen man eine „Massenabmahnung“ erkennt
Herausgekommen ist eine Liste von 17 Anzeichen, die allerdings keinen Anspruch auf Vollständigkeit erhebt (Mit einem Klick auf die Abbildungen können diese zur besseren Lesbarkeit etwas vergrößert werden):
1. Alles muss ganz schnell gehen. Damit die Abfertigung der einzelnen Schreiben einfacher ist, hat die Abmahnung der Kanzlei einen „QR-Code“. Damit können die Schreiben schnell und maschinell auf das Datum der Absendung und auf das Datum der Zustellung überprüft werden.
2. Geld regiert die Welt. Damit der Abgemahnte schnell einen Weg findet, den geforderten Betrag von 265,70 € zu begleichen, steht die Kontoverbindung des Anwalts direkt oben rechts an erster Stelle.
3. Höchstmögliche Diskretion. Man rechnet offenbar schon mit einer unfreundlichen öffentlichen Reaktion auf die Abmahnwelle. Daher gibt der Anwalt nicht seine tatsächliche Adresse, sondern nur ein Postfach an. Nicht, dass einer der Wettbewerber auf die Idee kommt, die Unterlassungserklärung persönlich vorbeizubringen… Erhältlich ist die Postadresse von Anwälten übrigens unter http://www.rechtsanwaltsregister.org.
4. Bitte nicht stören! Vor dem Hintergrund der der auch für ihn geltenden Impressumspflicht kam der Kollege offenbar nicht umhin, im Schreiben auch seine Telefonnummer anzugeben, allerdings versehen mit dem Hinweis, dass sich ein Anruf dort sowieso nicht lohnt, da man mit niemandem spreche. Der “Abmahnvorgang” soll möglichst reibungslos verlaufen.
5. Der Anwalt macht mit beim „Internetz“. Die Domain http://www.kanzlei-hwk.de innerhalb der angegebenen E-Mail-Adresse ist zwar bereits registriert, aber noch nicht mit Inhalten hinterlegt. Laut http://www.rechtsanwaltsregister.org ist Herr Kallert bereits seit dem Jahr 1981 als Rechtsanwalt zugelassen. Wenn man davon ausgeht, dass Herr Kahlert zu diesem Zeitpunkt ca. Ende 20 war, ist er heute ca. 60 Jahre alt.
6. Achtung, Abmahnung! Mit einer großen und fett gedruckten Überschrift soll der Empfänger direkt am Anfang des Schreibens eingeschüchtert werden. Irgendwas mit „straf“ muss auch drinstehen, damit es gefährlich klingt.
7. Über den Abmahner nur das Nötigste. Um das für eine Abmahnung erforderliche Mitbewerberverhältnis darzulegen, wird die Adresse der lieblos gestalteten Internetpräsenz http://www.binary-services.de/ angegeben. Man macht dort fast alles, hat somit natürlich auch viele Mitbewerber. Ausweislich des XING-Profils eines der beiden Geschäftsführer, Marco Hahn (das im übrigen bereits über 28.000 Aufrufe verzeichnet) existiert die GmbH, für die abgemahnt wird, erst etwas über ein Jahr. Auf Facebook ist der Abmahner selbst aber natürlich nicht vertreten (man hört ja so viel über die Abmahngefahr dort).
8. Ordnung muss sein. Der angebliche Rechtsverstoß ist, wie es sich für eine moderne Kanzlei gehört, mit einem Screenshot dokumentiert. Das macht Eindruck, egal, was auf diesen Screenshot tatsächlich zu sehen ist.
9. Keine genaue Ahnung von dem, was abgemahnt wird. Der mit viel Mühe gefertigte Screenshot der Facebookseite des Abgemahnten, zeigt diese gar nicht vollständig, sondern fordert den Besucher auf, sich bei Facebook zu registrieren, um die entsprechende Seite überhaupt erst aufrufen zu können. Es ist zumindest fraglich, ob das für einen Beleg eines Impressumsverstoßes überhaupt ausreicht.
10. Dennoch: Sofort zahlen! Die Frist zur Abgabe der Unterlassungserklärung ist naturgemäß sehr kurz. Um den Druck auf den Abgemahnten zu erhöhen und ihn zu einer möglichst schnellen Zahlung zu bewegen, wird das Ende der Frist für den Erhalt des Betrags von 265,70 € auf das gleiche Datum gesetzt.
11. Man suggeriert Fachkenntnis. Zur allgemeinen Erläuterung der Wiederholungsgefahr und deren Beseitigung, was mit dem Impressum auf Facebook nichts zu tun hat, wird die Entscheidung des Landgerichts Aschaffenburg, die die vorliegende Abmahnwelle wohl erst motiviert hat, zitiert.
12. Es hätte noch viel schlimmer kommen können! Die verlangte Vertragsstrafe in Höhe von 3.000,00 € wegen eines banalen Impressumsfehlers wird als vergleichsweise sehr niedrig dargestellt. Dem Abgemahnten wird so suggeriert, dass er damit noch Glück gehabt habe. Möglich und völlig ausreichend ist demgegenüber aber natürlich die Vereinbarung einer Vertragsstrafe nach dem so genannten neuen Hamburger Brauch, deren Billigkeit dann vom Gericht überprüft werden kann.
13. Es ist Ernst. Es wird der Eindruck erweckt, das der abgemahnte nur dann gerichtlichen Schritten entgehen kann, wenn er die verlangte strafbewehrte Unterlassungserklärung abgibt UND fristgerecht zahlt.
14. Herr oder Frau, egal. Hauptsache Unterschreiben! Aufgrund der Schwärzung kann man es im Schreiben nicht sehen, aber bei dem Abgemahnten handelte es sich in diesem Fall um eine Frau. Trotzdem wird lediglich die männliche Version des Wortes „Verpflichteter“ benutzt. Angesichts der massenhaften Abfertigung der Fälle und der Vielzahl der zu erstellenden Schreiben, wollte man wohl keine Zeit damit verlieren, die Unterlassungserklärungen dem Geschlecht seiner “Opfer” anzupassen.
15. Jeder kleine Fehler wird teuer. Die Vereinbarung des so genannten Ausschlusses der Einrede des Fortsetzungszusammenhanges ist zwar zulässig. Der Bundesgerichtshof hat die Figur des Fortsetzungszusammenhanges jedoch schon vor längerer Zeit abgeschafft. Man spricht heute nur noch von “Handlungseinheit“. Die Formulierung ist daher veraltet und überholt. Sie könnte aber für den Unterlassungsschuldner dennoch sehr schmerzlich werden, bedeutet sie doch nichts anderes, als dass Verstöße auf keinen Fall in zu einer so genannten Handlungseinheit zusammengefasst werden können und damit jeder Verstoß einzeln zur Verwirkung einer Vertragsstrafe von 3.000,00 € führt.
16. Wenn schon, denn schon. Ganz im Sinne des gemäß Ziffer 13 erweckten Eindrucks wird in der vorgefertigten Unterlassungserklärung neben der Unterlassungsverpflichtung auch gleich die Verpflichtung zur Zahlung der Abmahnkosten vorformuliert. Hier erhält der Abgemahnte auch nochmal eine genaue Anleitung, auf welches Konto der Betrag zu zahlen ist. Der Betrag ist zudem absichtlich so gewählt, dass er zu niedrig erscheint, um dafür einen Anwalt einzuschalten. Die Leute sollen schließlich anstandslos zahlen. Andererseits kommt bei einem Betrag von 265,70 € netto einiges zusammen, wenn man davon ausgeht dass es sich um Hunderte von Abgemahnten handelt. Wenn 100 Zahlungen á 265,70 € eingingen, flössen in kürzester Zeit immerhin über 26.000,00 € auf das Konto des Anwalts.
17. Schöne Vollmacht, aber unleserliche Unterschrift. Obwohl der Abmahnung überobligatorisch ein Vollmachtsformular beigefügt ist, findet sich dort nur eine unleserliche Unterschrift eines der beiden Geschäftsführer. Der Abgemahnte weiß letztendlich doch nicht, wer den schreibenden Kollegen legitimiert hat.
Aufmerksame Leser unseres Blogs finden sicherlich noch mehr Anzeichen dafür, dass mit dieser Abmahnung nicht versucht werden soll, die Mitbewerber zur Einhaltung gesetzlicher Vorschriften zu bewegen. Kommentare sind willkommen!
Auch wenn die Motivation der Abmahnung in dem vorliegenden Fall recht offensichtlich ist, so sollte man diese dennoch nicht auf die leichte Schulter nehmen, denn ein Rechtsmissbrauch ist, wie oben bereits erläutert, nur schwer zu beweisen.
Update 5.2.2013: Fehlerhaftes Facebook-Impressum: Massenabmahner gewinnt vor LG Regensburg
Update 19.12.2013: Fehlerhaftes Facebook-Impressum: Massenabmahner verliert vor OLG Nürnberg
Wir haben uns auf den Schutz von Unternehmen und Persönlichkeiten spezialisiert. Falls Sie zu den Betroffenen von zweifelhaften Abmahnungen gehören, rufen Sie uns gerne an oder schreiben uns eine E-Mail.