Die Funktion des § 19a GWB
Am 19. Januar 2021 ist der § 19a Abs. 1 GWB in Kraft getreten. Zweck dieser Regelung ist die Modernisierung und Stärkung der wettbewerbsrechtlichen Missbrauchsaufsicht. Nach § 19a GWB kann das Bundeskartellamt durch eine Verfügung feststellen, das einem Unternehmen, welches in erheblichen Umfang auf Märkten i.S.d. § 18 Abs. 3a GWB tätig ist, eine überragende marktübergreifende Bedeutung zukommt. Folge dieser Feststellung ist, dass das Bundeskartellamt ein umfassendes Kontrollrecht über diese Unternehmen erhält und den Unternehmen bestimmte missbräuchliche Geschäftspraktiken untersagen kann, welche potentiell geeignet sind die eigenen Produkte mehr hervorzuheben und anderen Markteilnehmern die Mitwirkung am Markt zu erschweren. Betroffen sind insbesondere große Digitalkonzerne, welche eine sog. Gatekeeperfunktion haben. Gatekeeper sind Unternehmen, die zentrale Plattformdienste anbieten, sie haben eine Schlüsselposition. Es handelt sich vor allem um Unternehmen, die Dienste anbieten, welche eine Schnittstelle zwischen einer großen Anzahl von Geschäftskunden und Verbrauchern bieten. Die EU-Kommission hat bspw. die Unternehmen: Alphabet, Amazon, Apple, ByteDance, Meta und Microsoft zu Gatekeepern erklärt.
Der Konzernriese Amazon
Amazon ist aktuell das sechstwertvollste Unternehmen weltweit. Es verfügt über eine Marktkapitalisierung von 1,7 Billionen USD. In Deutschland erzielte Amazon im Jahr 2023 Umsätze in Höhe von 37,6 Mrd USD. Amazon ist nicht nur im Bereich des E-Commerce tätig, sondern ist ebenfalls Anbieter von cloudbasierten IT- und vielen weiteren Dienstleistungen. Deutschland ist nach der USA der wichtigste Absatzmarkt des Unternehmens.
Der Beschluss des Bundeskartellamtes
Mit Beschluss vom 05. Juli 2022 hat das Bundeskartellamt gem. § 19a Abs. 1 GWB festgestellt, dass Amazon.com, Inc. einschließlich der mit Amazon verbundenen Unternehmen eine überragende marktübergreifende Bedeutung für den Wettbewerb in Deutschland hat. Eine solche Feststellung erfolgt in einem zweistufigen Verfahren und ist auf fünf Jahre nach Eintritt der Bestandskraft befristet. Im ersten Schritt werden die Normadressateneigenschaften festgestellt, d.h. die überragende Bedeutung des Unternehmens für den Wettbewerb. Im zweiten Schritt darf das Bundeskartellamt dem Unternehmen bestimmte Verhaltensweisen untersagen, wie z.B. eigene Angebote gegenüber den von Wettbewerbern bevorzugt zu behandeln (§ 19a Abs. 2 Nr. 1 GWB). Amazon hat gegen den Beschluss Beschwerde eingelegt. Der Bundesgerichtshof (BGH) ist gem. § 79 Abs. 5 Nr. 1 GWB für die Beschwerde in erster und letzter Instant zuständig.
Die Entscheidung des BGH
Der BGH hat entschieden, dass das Bundeskartellamt zu Recht davon ausgeht, dass es sich bei Amazon um ein Konzern mit überragender marktübergreifender Bedeutung für den Wettbewerb handelt. Amazon hat weltweit 21 länderspezifische Handelsplattformen (Amazon Store) und vertreibt über diese als Hersteller und Einzelhändler physische und digitale Waren an Endkunden (bspw.: Amazon Retail, Home Entertainment, Twitch, Prime Video, Kindle Content, Amazon Music, Amazon Games, Amazon Echo, Amazon Alex, Amazon Fire, Fire TV, SmartHome-Geräte). Diese Handelsplattformen werden ebenfalls als Marktplätze betrieben auf denen dritte Online-Händler gegen Provisionszahlungen ihre Produkte dem Endkunden zum Kauf anbieten können. Darüber hinaus hat Amazon ein eigenes Logistikunternehmen und vermittelt Versandaufträge zwischen dritten Online-Händlern und Versanddienstleistern. Amazon Advertising vermittelt zwischen Werbekunden und Anbietern von Werbeflächen.
Damit die überragende marktübergreifende Bedeutung festgestellt werden kann, muss keine tatsächliche Wettbewerbsbeeinträchtigung oder Wettbewerbsgefahr vorliegen. Es genügt vielmehr, dass das Unternehmen über strategische und wettbewerbliche Möglichkeiten verfügt, die ein abstraktes Gefährdungspotential darstellen. § 19a GWB soll dem Kartellamt die Möglichkeit eröffnen die großen Digitalunternehmen effektiv zu kontrollieren, deren Ressourcen und strategische Positionierung es ermöglichen, erheblichen Einfluss auf die Geschäftstätigkeit Dritter zu nehmen, den Wettbewerbsprozess zum eignen Vorteil zu verfälschen sowie die bereits bestehende Marktmacht auf immer neue Märkte und Sektoren auszuweiten.
Fazit
Amazon hat aufgrund unterschiedlicher Aspekte eine marktbeherrschende Stellung auf dem deutschen Markt für Online-Marktplatzdienstleistungen für gewerbliche Händler. Amazon ist auf einer Vielzahl von verschiedenen, vertikal integrierten und konglomerater Weise verbundenen Märkten tätig. Es verfügt über eine überragende Finanzkraft und einen überragenden Zugang zu wettbewerbsrelevanten Daten (z.B. Kunden- und Nutzerdaten, Daten aus dem Betrieb der Plattform). Schlussendlich hat Amazon als Betreiber eine Schlüsselposition für den Zugang von Einzelhändlern zu den Absatzmärkten inne und hat dadurch die Möglichkeit eheblichen Einfluss auf die Vertriebstätigkeit von Dritthändlern auszuüben.
Es bleibt abzuwarten inwieweit das Bundeskartellamt die neugewonnen Befugnisse nutzen wird, um Amazons Verkaufstaktiken Einhalt zu gebieten.