Dringlichkeitsvermutung im Wettbewerbsrecht: OLG Koblenz ändert seine Rechtsprechung, statt 3 Monate nur noch 1
Das OLG Koblenz galt bisher als eines der antragstellerfreundlichsten Gerichte, was die Dringlichkeitsvermutung des § 12 UWG angeht.
Betrug die Dringlichkeitsfrist für den Antrag auf Erlass einer einstweiligen Verfügung zwischen einem und zwei Monaten, je nach Landgericht, gab die bisherige Rechtsprechung des OLG Koblenz (OLG Koblenz, Urteil v. 31.08.1978, Az. 64537/78 “Eröffnungsangebot”) Grund zur Annahme, es werde grundsätzlich auch eine längere Frist – bis zu drei Monate – nicht als dringlichkeitsschädlich angesehen:
„Dem erkennenden Senat erscheint es mit v. Gamm (WRP 1968, WRP Jahr 1968 Seite 312, WRP Jahr 1968 Seite 313) angemessen, wenn dem Ast. ein Zeitraum von 3 Monaten eingeräumt wird, um sich schlüssig zu werden, ob er den Antrag auf Erlaß einer einstweiligen Verfügung stellt. Freilich können besondere Umstände des Einzelfalles eine andere Beurteilung rechtfertigen. Sache des Ast. ist es aber, auf diese besonderen Umstände hinzuweisen und sie glaubhaft zu machen, wenn er länger als 3 Monate untätig geblieben ist. Solche Umstände können besonders darin liegen, daß der Ast., beispielsweise wegen schwebender Vergleichsverhandlungen der Meinung sein könnte, ohne gerichtliche Inanspruchnahme eine befriedigende Regelung zu erreichen. Veränderte Umstände, etwa die plötzlich einsetzende verstärkte Werbung, können dazu führen, eine verlorengegangene Dringlichkeit wieder zu bejahen (OLG Koblenz, 2. Zivilsenat, WRP 1973, WRP Jahr 1973 Seite 484; Nordemann, Wettbewerbsrecht, 2. Aufl., Rdz. 610).“
Davon ist das OLG Koblenz nunmehr in seiner aktuellen Entscheidung (OLG Koblenz: Urteil vom 23.02.2011, Az. 9 W 698/10) abgerückt:
„Die Vermutung der Dringlichkeit ist widerlegt, wenn der Antragsteller durch sein eigenes Verhalten selbst zu erkennen gibt, dass es „ihm nicht eilig ist“. Das ist dann der Fall, wenn er längere Zeit zuwartet, obwohl er den Wettbewerbsverstoß und die Person des Verantwortlichen kennt oder grob fahrlässig nicht kennt (Hefermehl, Köhler, Bornkamm, § 12 Rn. 3.15; OLG Koblenz GRUR 1978, 718, 720).
Es ist umstritten, wie der Zeitraum des noch hinzunehmenden Zuwartens zu bemessen ist. Deshalb wenden einige Oberlandesgerichte starre Fristen an, die in der Kommentarliteratur im Einzelnen aufgeführt werden (vgl. Hefermehl, Köhler, Bornkamm, § 12 Rn. 3.15). Das OLG Koblenz wird in diesem Zusammenhang bisher dahingehend zitiert, dass nach seiner Rechtsprechung der Antragsteller nach einem Verstoß 2 – 3 Monate Zeit habe, den Antrag auf Erlass einer einstweiligen Verfügung zu stellen, ohne dass die Dringlichkeit entfiele (Hefermehl, Köhler, Bornkamm, § 12 Rn. 3.15 mit Verweis auf OLG Koblenz GRUR 1978, 718, 720; WRP 1985, 578).
Die zitierten Fristen sind jedoch keine starren Fristen, sondern sind und waren auch bisher nur als Richtwert anzusehen, der nicht jede Einzelfallprüfung überflüssig macht, sondern vielmehr nur einen Rahmen setzt. Dem entsprechend weist auch die Kommentarliteratur ausdrücklich darauf hin, dass im Einzelfall auch bei Zugrundelegung von Regelfristen auf Grund besonderer Umstände die Vermutung der Dringlichkeit schon früher widerlegt sein kann (Hefermehl, Köhler, Bornkamm, § 12 Rn. 3.15).
Die zitierten Entscheidungen des OLG Koblenz (OLG Koblenz GRUR 1978, 718, 720; WRP 1985, 578) enthalten weder in den in juris dargestellten Leitsätzen noch in den Urteilsgründen einen Grundsatz, der besagt, dass in jedem Fall die Dringlichkeit bezüglich jeden Antrages auf Erlass einer einstweiligen Verfügung bis zum Ablauf von 2 – 3 Monaten gegeben sei. Vielmehr hat das OLG Koblenz in den zitierten Entscheidungen nur ausgeführt, dass die Vermutung der Dringlichkeit gemäß § 25 UWG a.F. im Allgemeinen widerlegt ist, wenn der Antragsteller erst nach mehr als drei Monaten seit Bekanntwerden der fraglichen Wettbewerbshandlung einen Antrag auf Erlass einer einstweiligen Verfügung stellt (OLG Koblenz, GRUR 1978, 718 ff.; WRP 1985, 578; ebenso OLG Koblenz WRP 1981, 594).
In der Begründung der in GRUR 1978, 718 ff. veröffentlichten Entscheidung weist das Gericht ausdrücklich darauf hin, dass die Dringlichkeitsvermutung des § 25 UWG a. F. den Antragsteller nur der Glaubhaftmachung der Dringlichkeit enthebe. Sie rechtfertige eine einstweilige Verfügung aber nicht, wenn sich aus dem Sachverhalt ergebe, dass eine vorläufige Regelung nicht dringend sei. Außer durch das Vorbringen des Antragsgegners könne die Dringlichkeitsvermutung des § 25 UWG auch durch das eigene Verhalten des Antragstellers widerlegt werden, wenn nämlich objektive Umstände erkennen ließen, dass es dem Antragsteller gar nicht so eilig sei, er also bei der Durchsetzung seines Verfügungsantrages durch eigenes Verhalten Verzögerungen eintreten lasse. Hingewiesen wird in der Entscheidung weiter darauf, dass in Rechtsprechung und Literatur darüber Streit herrsche, welcher Zeitraum die Vermutung der Dringlichkeit widerlege; Einigkeit bestehe nur insoweit, als es bestimmte, generell für alle Fälle geltende Fristen nicht gebe. Die Frage der Dringlichkeit beantworte sich nach rein objektiven Gesichtspunkten (OLG Koblenz GRUR 1978, 718, 720). Die zitierten Entscheidungen hatten somit nicht den Zweck, starre und verbindliche Fristen festzuschreiben.
Der Senat sieht in Abweichung von seiner bisherigen Rechtsprechung als Ausgangspunkt der Prüfung eine Frist von einem Monat grundsätzlich für ausreichend an, nach Kenntniserlangung von einem Wettbewerbsverstoß den Sachverhalt zu ermitteln und einen Antrag auf Erlass einer einstweiligen Verfügung zu stellen. Dabei sind freilich jeweils die Umstände des Einzelfalls zu berücksichtigen. Für den Normalfall kann jedoch von einer Regelfrist von einem Monat ab Kenntniserlangung ausgegangen werden. Dieser Zeitraum gibt dem Antragsteller nach Kenntniserlangung ausreichend Gelegenheit, zunächst zu überlegen, ob er überhaupt gegen den einen Wettbewerbsverstoß vorgehen will. Sodann kann er anwaltliche Hilfe in Anspruch nehmen. Der Rechtsanwalt wird dem Antragsgegner eine Frist zur Abgabe einer Unterlassungserklärung setzen. Wird eine solche nicht abgegeben, kann der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Verfügung – ggf. per Telefax – gestellt werden. Wird die Sache von allen Beteiligten als dringlich behandelt, reicht die Frist von einem Monat zwischen Kenntniserlangung und Antragstellung im Normalfall aus. In besonders schwierig gelagerten Einzelfällen oder wenn Ermittlungen anzustellen sind, Korrespondenz zu führen ist oder Einigungsverhandlungen stattfinden, kann die Frist länger zu bemessen sein.“
Die bisherige Rechtsprechung mit einer Frist von 2 – 3 Monaten begründe auch keinen Vertrauensschutz:
„Diesem Ergebnis stehen auch die Grundsätze des Vertrauensschutzes nicht entgegen. Die Klägerin hat vorgetragen, sie habe auf die in der Kommentarliteratur angegebenen Fristangaben vertraut. Dieses Vertrauen sei schützenswert, der Senat könne nicht ohne Vorankündigung von der bisherigen Rechtsprechung des OLG Koblenz abweichen. Weder die zitierten Entscheidungen noch die Angaben in der Kommentarliteratur begründen jedoch einen Vertrauensschutztatbestand dahingehend, dass die genannte Frist von 2 – 3 Monaten ohne Anlass in jedem Fall voll ausgeschöpft werden kann. Die zitierten Fristen sind und waren auch bisher nur als Richtwert anzusehen, der nicht jede Einzelfallprüfung überflüssig macht, sondern vielmehr nur den Rahmen der üblichen Fristen setzt. Dem entsprechend weist auch die Kommentarliteratur ausdrücklich darauf hin, dass im Einzelfall auch bei Zugrundelegung von Regelfristen auf Grund besonderer Umstände die Vermutung der Dringlichkeit schon früher widerlegt sein kann (Hefermehl, Köhler, Bornkamm, § 12 Rn. 3.15). Die von der Antragstellerin zitierten Entscheidungen des BGH und des Bundesverfassungsgerichts betreffen andere Fallkonstellationen.“
Hinsichtlich der Dringlichkeitsfrist nähern sich die Oberlandesgerichte deutschlandweit einander an, überwiegend wird hier die Monatsfrist als Grenzwert angenommen – soweit keine besonderen Umstände im Einzelfall eine längere Frist rechtfertigen.
Im Hinblick auf die daraus resultierende Rechtsvereinheitlichung und Rechtssicherheit ist diese Entwicklung durchaus zu begrüßen, auch wenn der Antragsteller im vorliegenden Fall damit nicht sehr glücklich sein wird. (be)