Am 2.12.2020 trat das „Gesetz zur Stärkung des fairen Wettbewerbs“ in Kraft. Dieses “Anti-Abmahngesetz” gilt als Maßnahme gegen die vom Gesetzgeber teils als überzogen erkannte Abmahnpraxis gegenüber Internethändlern, die wegen formaler Fehler abgemahnt werden. Solche Abmahnungen können rechtsmissbräuchlich sein – weil sie den fairen Wettbewerb schwächen.
Doch: Woran erkennt man rechtsmissbräuchliche Abmahnungen?
Ein Urteil des LG Traunstein gibt Hinweise darauf, welche Umstände im Einzelfall für das Vorliegen einer rechtsmissbräuchlichen Abmahnung sprechen können, denn in dem vorliegenden Fall zeigten sich fast alle „Zutaten“ einer solchen (LG Traunstein, Urteil vom 23.9.2022, Az. 1 HK O 436/22). Sieben Aspekte hob das Gericht hervor, insbesondere auf Basis des einschlägigen § 8c Abs. 2 UWG.
1. Zu hohe Vertragsstrafe
Das LG Traunstein rügte zunächst die Vertragsstrafe von 10.000 Euro als zu hoch, zumal es sich bei dem abgemahnten Verhalten um einen sogenannten Erstverstoß handelte. Das spreche für ein vordergründiges Kosteninteresse der Abmahnung und damit für die Missbräuchlichkeit der Abmahnung (§ 8c Abs. 2 Nr. 4 UWG).
2. Ausschluss des Fortsetzungszusammenhangs
Normalerweise (also: wenn es um die Sache geht und nicht darum, die Kosten in die Höhe zu treiben), bezieht sich die Abmahnung auf ein Verhalten, das insgesamt abgestellt und künftig unterlassen werden soll, auch, wenn dieses zum Zeitpunkt der Abmahnung unterschiedliche Produkte betraf. Die klagegegenständliche Abmahnung sah jedoch die Zahlung der Vertragsstrafe für jedes einzelne Produkt vor und schloss somit den Fortsetzungszusammenhang aus. Damit, so das Gericht, gehe es nur um künftiges „Abkassieren“ – und das ist nicht der Sinn einer Abmahnung.
3. Erstattung von Abmahnkosten im Zentrum
Auch der unangemessen hohe Gegenstandswert (100.000 Euro) spreche für diese These, denn auf dieser Basis werden die Abmahnkosten berechnet. In diesem künstlichen „Hochschrauben“ der Kosten sah das LG Traunstein ebenfalls einen Aspekt missbräuchlicher Abmahnungen verwirklicht (§ 8c Abs. 2 Nr. 3 UWG).
4. Forderung von Verzugszinsen
Es ging aber noch weiter: Obwohl Abmahnkosten keine verzinslichen Entgeltforderungen darstellen, verlangte die Klägerin Verzugszinsen i.H.v. 9 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz. Auch das spricht gegen die Seriosität der Abmahnung – und für das eigentliche Interesse dahinter: Geld zu machen.
5. Zu weit gefasste Unterlassungspflicht
Ferner ging die vorgeschlagene Unterlassungsverpflichtung über die abgemahnte Rechtsverletzung hinaus, da die Klägerin ihr Unterlassungsbegehren auf alle Produkte ausgeweitet hatte. Die Traunsteiner Richter sahen hier § 8c Abs. 2 Nr. 5 UWG realisiert.
6. Anforderungen an die korrekte Form nicht gewahrt
Weiterhin entschieden sie, dass die Abmahnung nicht den seit dem 2.12.2020 geltenden Formerfordernissen hinsichtlich der Darlegungspflichten gemäß § 13 Abs. 2 UWG entspreche. So fehle es an der nachvollziehbaren Erklärung der Anspruchsvoraussetzungen gemäß § 8 Abs. 3 UWG.
7. Umfang der Vertriebsgröße nicht dargelegt
Die Darlegungslast wiegt allerdings noch schwerer. Es ist in der Abmahnung auch der Umfang der Vertriebstätigkeit, also die Größenkategorien der Verkaufszahlen anzugeben. Das ist hier nicht erfolgt. Es wird rein qualitativ auf die Beklagte als „Mitbewerberin“ Bezug genommen, ohne Zahlen und Daten zu nennen.
Das reichte dem LG Traunstein nicht, das die Klage somit ablehnte und mit seinem Urteil über den Fall hinaus einen Kriterienkatalog anbietet, mit dem eine Abmahnung auf mögliche Missbräuchlichkeit hin untersucht werden kann.
Der Beitrag stammt von unserem freien Autor Josef Bordat. Er ist Teil unserer Reihe “Berichte aus der Parallelwelt”. Dort werfen Autoren aus anderen Fachbereichen einen Blick auf die Rechtswissenschaft in Theorie und Praxis. Die Beiträge betrachten, anders als unsere sonstigen Fachbeiträge Begebenheiten und Rechtsfälle daher auch nicht juristisch, sondern aus einem völlig anderen Blickwinkel. Aus welchem, das soll der Beurteilung der Leser überlassen bleiben. Interessant wird es, wie wir meinen, allemal.