BVerfG: Bericht über Steuersparmodelle war Werturteil
Die Gegendarstellung ist eine Sicherungsmaßnahme, durch die der Angegriffene die Möglichkeit abweichenden und verteidigenden Vorbringens an gleicher Stelle wie die Angriffspublikation erhält. Denn wer in der Presse, im Internet oder im Rundfunk durch eine falsche, negative oder allgemein unerwünschte Berichterstattung betroffen ist, möchte dies gegenüber dem gleichen Publikum gern richtig stellen. Das betrifft nicht nur prominente Personen, sondern auch Privatpersonen und Unternehmen, die sich gegen „falsche“ Berichte wehren wollen.
Das BVerfG hat nun entschieden, dass ein Bericht über Steuersparmodelle in Malta keine Tatsachenbehauptung, sondern freie Meinungsäußerung war. Demnach hätte die Verlegerin nicht zum Abdruck einer Gegendarstellung verpflichtet werden dürfen.
Maltesische Yachtfirma verklagt Magazin
In dem Verfahren ging es um einen Bericht eines Magazins über den Zusammenhang von Steuersparmodellen mit maltesischen Gesellschaften deutscher Unternehmen und Privatpersonen. In diesem Artikel wurde unteranderem der Beschwerdeführer des Ausgangsverfahrens, ein deutscher Fernsehstar, erwähnt und die Vermutung geäußert, die Steuervorteile könnten ihn dazu bewogen haben, die Gesellschaft, deren Geschäftszweck insbesondere der Kauf, Betrieb, Verleih und Bau von „Schiffen jeder Art“ sei, auf Malta zu gründen.
Diese Berichterstattung stelle eine als Verdacht verbreitete Tatsachenbehauptung dar und treffe nach Ansicht des Antragstellers nicht zu. Das wurde im Ausgangsverfahren bestätigt und ein Anspruch auf Gegendarstellung gewährt.
Werturteil statt Tatsachenbehauptung
Bei der wiedergegebenen Aussage handele es sich nicht um eine erkennbar subjektive Einschätzung der Beschwerdeführerin, sondern um eine Tatsachenbehauptung und daher bestehe die Pflicht zur Veröffentlichung einer Gegendarstellung, so die Gerichte im Ausgangsverfahren. Es werde neben der Mitteilung objektiver Tatsachen der tatsächliche Verdacht zum Ausdruck gebracht, der Antragsteller habe die Gesellschaft auf Malta gegründet, um Mehrwertsteuer zu sparen. Dabei handele es sich um eine Aussage über die angebliche Motivation des Antragstellers, die dem Beweis zugänglich sei und demnach eine Tatsachenbehauptung verkörpere.
Dieser Beurteilung hat das Bundesverfassungsgericht (BVerfG, Beschluss v. 09.12.2020, Az. 1 BvR 704/18) nun widersprochen. Das Gericht legte zunächst entsprechend seiner bisherigen Rechtsprechung dar, wie der Unterschied von Tatsachenbehauptung und Meinung zu ermitteln wäre – denn währende Tatsachenbehauptungen durch die objektive Beziehung zwischen der Äußerung und der Wirklichkeit geprägt werden und der Überprüfung mit Mitteln des Beweises zugänglich sind, handele es sich bei einer Meinung um eine Äußerung, die durch Elemente der Stellungnahme und des Dafürhaltens geprägt sind. Bei der Frage, ob eine Äußerung ihrem Schwerpunkt nach als Tatsachenbehauptung oder als Werturteil anzusehen ist, komme es entscheidend auf den Gesamtkontext der fraglichen Äußerung an. Dabei sei grundsätzlich von einem weiten Verständnis des Meinungsbegriffs auszugehen. Ist also eine Äußerung durch Elemente der Stellungnahme, des Dafürhaltens oder Meinens geprägt, fällt sie in den Schutzbereich des Grundrechts. Das müsse aber auch dann gelten, wenn sich diese Elemente mit Elementen einer Tatsachenmitteilung oder -behauptung verbinden oder vermischen und der tatsächliche Gehalt gegenüber der Wertung in den Hintergrund trete. Andernfalls würde es zu einer wesentlichen Verkürzung des grundrechtlichen Schutzes der Meinungsfreiheit kommen. Daher sei im Zweifel im Interesse eines wirksamen Grundrechtsschutzes davon auszugehen, dass es sich um eine Meinungsäußerung handele.
Gegendarstellung nur gegen Tatsachenbehauptung möglich
Konkret erklären die Verfassungsrichter, in dem Bericht werden unstreitige Fakten genannt, die im Zusammenhang zueinander stehen könnten – denn unstreitig sei, dass in Malta Steuervorteile eine Rolle spielen. Primär handele es sich bei diesen Passagen um Elemente der Stellungnahme und des Dafürhaltens. Es werde zudem deutlich gemacht, dass es lediglich eine Vermutung sei, dass die Steuervorteile der Grund für die Gründung der Gesellschaft seien. Die Verfasserin leite ausschließlich aus den konkret dargelegten Umständen und der Nähe zu Gesellschaftsgründung und Steuervorteilen diese Vermutung ab. Das führe dazu, dass dem beanstandeten Text keine Tatsachenbehauptung dahin zu entnehmen sei, der Antragsteller des Ausgangsverfahren hab eine maltesische Gesellschaft gegründet, um Steuern zu sparen.
Das Bundesverfassungsgericht widerspricht den Fachgerichte, denn sie hätten die Bedeutung und Tragweite der Pressefreiheit nicht hinreichend berücksichtigt. Daher verletzen die Entscheidungen im Ausgangsverfahren die Beschwerdeführerin in ihrem Grundrecht auf Pressefreiheit aus Art. 5 Abs. 1 Satz 2 Grundgesetzt (GG). Denn da nur eine Tatsachenbehauptung der Presse gegendarstellungsfähig ist – nicht jedoch ein Werturteil, welches die streitgegenständliche Passage darstelle, hätte eine Gegendarstellung nie abgedruckt werden müssen.
Grundsätzlich gilt „wer austeilt, muss auch einstecken können“
Sinn und Zweck des Gegendarstellungsanspruchs ist es, für „Waffengleichheit“ zwischen den Medien und dem Betroffenen zu sorgen. Sie eröffnet dem Betroffenen die Möglichkeit, eine Korrektur der Berichte zu fordern. Allerdings wird vorausgesetzt, dass es sich bei der beanstandeten Aussage um eine Tatsachenbehauptung – eine Äußerung also, deren Inhalt auf seine Richtigkeit überprüft werden kann – handelt.
Das BVerfG hat in seinem Beschluss klargestellt, dass es sich nach den zuvor dargestellten Grundsätzen bei den Äußerungen über Sparmodelle in Malta im Ergebnis um ein Werturteil und nicht um eine Tatsachenbehauptung und damit um eine von der Pressefreiheit geschützte Meinungsäußerung handele. Ein Werturteil ist aber gerade nicht gegendarstellungsfähig, weswegen die Beschwerdeführerin nicht zum Abdruck einer Gegendarstellung hätte verpflichtet werden dürfen.