Wettbewerbswidrige Werbung? Auf den Gesamteindruck kommt es an!
„7 x mehr brauchst du als ich, wirst groß, gesund – ganz sicherlich“. So steht es in einer Werbung für Kindermilch, deren Einnahme in der angebotenen Form die entwicklungsgerechte Zufuhr an wichtigen Nährstoffen und Vitaminen verspricht. Gemeint ist hier („7 x“) das Vitamin D, und das Siebenfache bezieht sich auf die empfohlene Menge dieses lebenswichtigen Stoffs pro Kilogramm Körpergewicht eines Kleinkinds („ich“) im Vergleich zu einem Erwachsenen („du“).
Verbraucherschützer sehen Irreführung
Mal ganz abgesehen davon, dass die Frage künftiger Gesundheit ihre Antwort auch außerhalb der Art und Güte von Kindermilchprodukten zu suchen hat und es dabei mit dem Sicherheitsversprechen auch so eine Sache ist, könnte in der quantitativen Angabe („7 x mehr“ – absolut oder relativ?) und den fraglichen Bezugsgrößen (Wer ist „ich“, wer ist „du“?), deren Bedeutung sich erst aus der Erläuterung im Kleingedruckten auf der Verpackung ergeben, ein wettbewerbsrechliches Problem liegen. Zumindest meinte dies der Dachverband aller 16 Verbraucherzentralen und weiterer verbraucherorientierter Organisationen in Deutschland – und klagte wegen Irreführung der von ihm vertretenen Verbraucher.
Verfahrensgang über drei Instanzen
Das LG München hat der Klage stattgegeben (LG München, Entscheidung vom 5.6.2020, Az.: 39 O 15946/19). Auf die Berufung der Beklagten hat das OLG München das landgerichtliche Urteil jedoch aufgehoben und die Klage abgewiesen (OLG München, Entscheidung vom 27.5.2021, Az.: 29 U 3902/20). Die Verbraucherschützer gingen in die Revision vor den BGH. Mit Erfolg: Der BGH kam nach einer rechtlichen Prüfung der Entscheidung des Berufungsgerichts zu der Ansicht, dieses habe bei seinem Urteil wichtige Aspekte übersehen (BGH, Urteil vom 2.6.2022, Az.: I ZR 93/21).
Den Verfahrensstoff nicht ausgeschöpft
Das Berufungsgericht habe in der Urteilsbegründung nämlich die eigentliche Stoßrichtung der Klage – zumindest teilweise – verkannt und infolgedessen außer Acht gelassen, dass es dem Kläger mit der beanstandeten Irreführung der Verbraucher nicht um falsche Angaben zu den Produktinhaltsstoffen ging, sondern darum, dass suggeriert werde, „in der Zusammensetzung des Produkts werde berücksichtigt, dass ein Kleinkind in der Gesamtmenge ein Vielfaches an bestimmten Nährstoffen benötige wie ein Erwachsener“, also absolut, nicht pro Kilogramm Körpergewicht. Und das sei unzutreffend, genau darin liege die Irreführung. Mit diesem Aspekt habe sich das Berufungsgericht nicht befasst, so der BGH, und damit „den Verfahrensstoff nicht entsprechend § 286 Abs. 1 ZPO ausgeschöpft“. Hätte es dies getan, wäre es zu einer anderen Entscheidung gekommen. Ergo hob der BGH das Urteil auf und verwies die Sache zurück ans OLG München.
Alle Merkmale sind zu berücksichtigen
Das Berufungsgericht hat nach Ansicht des BGH den Fehler gemacht, die Feststellung einer Irreführung allein vom Wortlaut der Werbeaussage abhängig zu machen und die übrigen Merkmale der Werbung unberücksichtigt zu lassen. Über den konkreten Fall hinaus kann man sich also folgenden wettbewerbsrechtlichen Leitsatz der BGH-Entscheidung merken: „Für die Feststellung, welches Verständnis eine mit einem Unterlassungsantrag angegriffene Werbeanzeige und etwaige dort getroffene Werbeaussagen bei dem angesprochenen Verkehr erwecken, ist der Gesamteindruck zu würdigen, den die Werbung vermittelt“.