1 Angelegenheit, 4 Gerichte = 4 Streitwerte zwischen 1.000 € und 20.000 €
In einem Anerkenntnisurteil vom 26.10.2011, Az. 9 U 859/11 hat das Oberlandesgericht Koblenz entschieden, dass ein Verstoß gegen die Pflicht zur Angabe des Grundpreises gemäß Preisangabenverordnung mit einem Streitwert von 20.000 € einhergeht.
Im Berufungsverfahren hatte der der Vorsitzende des Senats wenige Tage vor der mündlichen Verhandlung zum Telefonhörer gegriffen und der Beklagten zwecks Kostenersparnis ein Anerkenntnis nahe gelegt. Die Beklagte erkannte daraufhin den Unterlassungsanspruch an. Da sich um ein Anerkenntnisurteil handelt, ist die Entscheidung leider nicht näher begründet.
4 Gerichte, 4 unterschiedliche Streitwerte
Interessant dabei ist, dass die erste Instanz, das Landgericht Trier per Urteil vom 16.6.2011, Az. 10 HK O 3/11 die Unterlassungsklage noch abgewiesen hatte und dabei den Klägerseits angegebenen Streitwert von 10.000 € übernommen hatte. Das Oberlandesgericht Koblenz hat diese Streitwertschätzung kurzerhand eigenständig und ohne nähere Begründung auf 20.000 € verdoppelt.
Damit aber nicht genug. Dem Hauptsacheverfahren ging ein einstweiliges Verfügungsverfahren vor dem Landgericht Hamburg, Az. 408 O 104/10 voraus. Kurioserweise maß das Landgericht dem Unterlassungsanspruch in diesem Verfahren lediglich einen Wert von 5.000 € bei. In der nächsten Instanz senkte das Hanseatische Oberlandesgericht, Az. 3 W 84/10 den Streitwert sogar auf bloße 1.000 €.
Festzuhalten bleibt damit, dass vier verschiedene Gerichte denselben Unterlassungsanspruch vor dem Hintergrund desselben Sachverhalts mit 1.000 €, 5.000 €, 10.000 € und mit 20.000 € bewertet haben.
Die Streitwertpraxis ist undurchschaubar
Auch die sonstige Streitwertpraxis der verschiedenen Gerichte in Deutschland kann gelinde gesagt nur noch als undurchschaubar bezeichnet werden.
Am unteren Ende der Skala steht der Marken- und Wettbewerbsrechtssenat des Oberlandesgericht Düsseldorf mit 900 €, der der damit den Anwälten den „Spaß an Massenabmahnungen“ zu verderben. In den jeweiligen Gerichtsbeschlüssen steht das natürlich nicht, sondern eine andere, am Einzelfall orientierte sorgfältige Begründung.
Abgesehen davon, dass ein Richter, dem als Inhaber eines öffentlichen Amtes vom Staat Arbeitsutensilien und Kanzleipersonal kostenfrei zu Verfügung gestellt werden, mit der Schätzung der Höhe bzw. der Angemessenheit anwaltlichen Einkünfte vorsichtig sein sollte, ist nur am Rande darauf hinzuweisen, dass Entscheidungen dieser Art dem Gesetzgeber, somit der Legislative vorbehalten sind, die Judikative sich vor dem Hintergrund des Verafssungsgrundsatzes der Gewaltenteilung somit zu enthalten hat.
Interessanterweise kann dem 2. Senat des Oberlandesgerichts Düsseldorf, der vorrangig für Patentstreitverfahren zuständig ist, demgegenüber der Streitwert eines Unterlassungsanspruchs nicht hoch genug sein. Wie die Kollegen von Dr. Damm & Partner hier berichten, hat das Gericht in einem Patentrechtsstreit den Streitwert von 5 Mio. EUR auf 30 Mio. EUR heraufgesetzt und den beteiligten Rechtsanwälten sogar wegen des Ansatzes eines zu niedrigen Werts versuchten Betrug unterstellt.
Die Wahrheit liegt natürlich, wie so oft, natürlich in der Mitte. Fest steht jedenfalls, dass diese beiden Extrempositionen sicherlich nicht Schule machen werden.
Hoher Streitwert = Gut für den Anwalt?
Auch wenn Anwälte von hohen Streitwerten dadurch profitieren, dass die zu verdienenden Anwaltsgebühren auch entsprechend hoch sind und man daher denken könnte, dass Anwälten Streitwerte immer recht sein müssten, ist das nicht immer der Fall.
Erstens werden bei umfangreichen Streitigkeiten oft Stundenhonorare vereinbart, die, solange sie über die gesetzlichen Gebühren eines Gerichtsverfahrens hinausgehen, unabhängig vom gerichtlichen Streitwert von Mandanten gezahlt werden müssen. Zweitens stellt die gleichsam willkürliche Streitwertpraxis der deutschen Gerichte den Anwalt vor ein nicht unerhebliches Beratungsproblem. Denn zu einer sorgfältigen Vorbereitung eines Gerichtsprozesses gehört natürlich auch eine Kostenprognose, die schlicht unmöglich wird, wenn man nicht einmal mehr ansatzweise abschätzen kann, was ein Gericht einem Rechtsstreit an Wert beimessen wird.
Niederiger Streitwert = Gut für Mandanten?
Auch für Mandanten gilt nicht unbedingt das Motto: Je niedriger der Streitwert umso besser. Denn obwohl sich die vom Mandanten zu zahlenden Gerichts- und Rechtsanwaltsgebühren freilich nach dem Streitwert richten und diese umso niedriger sind, je niedriger der Streitwert angesetzt wird, führt die extreme Senkung von Streitwerten nicht nur zu einer geringeren Anwaltsvergütung, sondern letztendlich auch dazu, dass dem Anspruchsteller der Zugang zu adäquater Rechtsberatung und letztendlich auch zu den Gerichten erheblich erschwert wird.
Ein Streitwert von zum Beispiel nur 900 € erschwert die Rechtsdurchsetzung für den Gläubiger darüber hinaus in nicht hinnehmbarer Weise.
Gute Anwälte kosten gutes Geld
Die zahlreiche Stunden umfassende anwaltliche Bearbeitung einer Klage durch zwei Instanzen und die Wahrnehmung der entsprechenden Termine würde bei einem Streitwert von 900 € zu einer Vergütung nach RVG von insgesamt lediglich 344,50 € netto führen. Dafür kann eine Anwaltskanzlei, geschweige denn eine auf Wettbewerbsrecht spezialisierte Kanzlei, die sich mit Fachanwaltstiteln und Fortbildungen auf einem hohen Ausbildungsstand zu halten bemüht und zahlreiche Mitarbeiter beschäftigt, nicht kostendeckend arbeiten.
In den Fällen, in denen daher mit dem Mandanten Stundenhonorare vereinbart werden müssen, kann der Anwalt den Mandanten noch nicht einmal auf seriöse Weise dahingehend beraten, ob und in welcher Höhe er eine Kostenerstattung vom Gegner erwarten kann, wenn er den Fall gewinnt, da bei der Streitwertbemessung offenbar „alles möglich“ ist.
Im Wettbewerbsrecht herrscht gerichtlicher Anwaltszwang
Bei der Zugrundlegung zum Beispiel unseres Stundensatzes von 270,00 € pro Stunde zahlt der verletzte Mandant in jedem Falle „drauf“, da er vor den Landgerichten wegen des Anwaltszwangs ohne Anwalt nicht auskommt oder er sieht von vornherein von der Verfolgung des Rechtsverstoßes ab.
Wenn man das Wettbewerbsrecht, das gem. § 1 S. 2 UWG auch immer das Interesse der Allgemeinheit an einem unverfälschten Wettbewerb schützt und wie bereits erwähnt, darauf angewiesen ist, dass die Mitbewerber sich gegenseitig kontrollieren, an bestimmten Stellen nicht völlig entwerten will, dürfen bestimmte Beträge bei der Streitwertbemessung daher schlicht nicht unterschritten werden. Dies jedenfalls dann nicht, wenn Triebfeder einer solchen Senkung die Steuerung anwaltlichen Einkommens ist.
So, ich muss Schluss machen und los. Der PENNY-MARKT hat Zigarrenhumidore im Angebot. (la)