Einschränkung des Bildnisschutzes durch Appell an die Öffentlichkeit
Die Kollegen Rechtsanwälte LOH berichten über ein Urteil des Kammergerichts vom 17.01.2013 (10 U 148/12), mit dem der angerufene Senat eine in einer Nachrichtensendung erfolgte Bildberichterstattung über eine Privatperson für zulässig erachtet hat.
Was war geschehen?
Die Beklagte berichtete über ein strafrechtliches Verfahren, das gegen die Klägerin wegen des Vorwurfs einer fahrlässigen Körperverletzung geführt wurde. Das Verfahren knüpfte an einen Vorfall aus dem Jahre 2010 an, bei dem der Kampfhund der Klägerin einen Freund ihres Sohnes gebissen und schwer verletzt hatte. Der Klägerin wurde daraufhin vorgeworfen, ihre Aufsichtspflichten als Halterin des Hundes verletzt und dadurch den Hundebiss verursacht zu haben.
Das zuständige Bezirksamt erließ zudem eine Verfügung, wonach der Hund eingeschläfert werden sollte. Hiergegen hatte sich die Klägerin u.a. intensiv dadurch gewehrt, dass sie das Fahrzeug eines Mitarbeiters des Tierheims blockierte und ihn zur Herausgabe des Hundes aufforderte. In diesem Zusammenhang ließ sie sich auch in einer örtlichen Boulevard-Zeitung im Rahmen eines Artikels abbilden, der über den Kampf um das Leben des Hundes berichtete.
Einige Zeit später wurde die Klägerin in der Bildberichterstattung der Beklagten, anlässlich des gegen sie laufenden Strafverfahrens, im Gerichtssaal neben ihrem Verteidiger sitzend gezeigt. Hiergegen wehrte sich die Klägerin – in der ersten Instanz erfolgreich – mit einer Unterlassungsklage.
Keine Einwilligung in die Filmaufnahme
In dem anschließenden Berufungsverfahren wurde das erstinstanzliche Urteil jedoch abgeändert und der Unterlassungsantrag der Klägerin nach §§ 1004 Abs. 1 Satz 2, 823 Abs. 1 BGB, §§ 22 f. KUG i.V.m. Art 1 Abs. 1, Art. 2 Abs. 1 GG abgewiesen. Nach Ansicht des Kammergerichts sei die Veröffentlichung der beanstandeten Filmaufnahme rechtmäßig gewesen.
Nach dem abgestuften Schutzkonzept der §§ 22, 23 KUG war zunächst zu untersuchen, ob das Verhalten der Beklagten aufgrund einer Einwilligung der Klägerin gerechtfertigt war. Eine solche konnte der Senat jedoch nicht feststellen. Insbesondere käme eine stillschweigende Einwilligung nur dann in Betracht, wenn der Betroffene ein Verhalten an den Tag gelegt hätte, das für den objektiven Erklärungsempfänger als Einwilligung verstanden werden könnte. Dies sei aber nicht der Fall gewesen:
„Die Klägerin hat sich passiv verhalten, kein Interview gegeben, nicht freundlich gewunken und auch nicht in die Kamera gelächelt. Als Angeklagte im Strafprozess konnte sie sich der Situation des Gefilmtwerdens auch nicht entziehen. Dem Unterlassen der Verhüllung des Gesichts ist der Erklärungswert einer schlüssigen Einwilligung nicht zu entnehmen.“
…eine solche war aber auch nicht erforderlich
Nach Ansicht des Kammergerichts sei die Einwilligung der Klägerin in diesem konkreten Fall nach § 23 Abs. 1 Nr. 1, Abs. 2 KUG entbehrlich gewesen, da es sich bei den beanstandeten Filmaufnahmen um Bildnisse aus dem Bereich der Zeitgeschichte gehandelt habe und durch deren Verbreitung berechtigte Interessen der Klägerin nicht verletzt worden seien.
Der Begriff des Zeitgeschehens sei vom Informationsinteresse der Öffentlichkeit her zu bestimmen und umfasse neben Vorgängen von historisch-politischer Bedeutung oder spektakulären und ungewöhnlichen Vorkommnissen auch alle Fragen von allgemeinem gesellschaftlichem Interesse. Dies seien insbesondere wirtschaftliche oder kulturelle Geschehnisse, Naturkatastrophen, Unfälle, Kriegshandlungen sowie grundsätzlich auch Straftaten. Das jeweilige Informationsinteresse der Öffentlichkeit sei von den Medien selbst nach ihrer eigenen publizistischen Kriterien zu bestimmen, wobei der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit stets zu berücksichtigen sei.
Die Beurteilung, ob ein Bildnis dem Bereich der Zeitgeschichte zuzuordnen sei oder nicht, erfordere damit eine einzelfallbezogene Abwägung zwischen den Rechten des Abgebildeten auf informationelle Selbstbestimmung und Achtung seines Privat- und Familienlebens (Art. 1 Abs. 1, 2 Abs. 1 GG, Art. 8 Abs. 1 EMRK) einerseits und der Meinungs- und Pressefreiheit nach Art. 5 Abs. 1 GG, Art. 10 Abs. 1 EMRK andererseits.
Unter Zugrundelegung dieser Kriterien bejahte das Kammergericht das Vorliegen eines zeitgeschichtlichen Ereignisses:
„Zwar ist die der Klägerin zur Last gelegte Straftat einer fahrlässigen Körperverletzung der leichten Kriminalität zuzuordnen. Zu berücksichtigen ist jedoch, dass der Umgang mit den Attacken von Kampfhunden in der Öffentlichkeit breit diskutiert wird; an der Frage, mit welchen Sanktionen hierauf reagiert wird, besteht ein öffentliches Interesse. Ungewöhnlich ist der Vorfall deshalb, weil die Klägerin das Fahrzeug eines Mitarbeiters des Tierheims blockiert und sich im Zusammenhang mit ihrem Kampf um das Leben des Hundes mit einer öffentlichen Berichterstattung einverstanden erklärt hat. Die begleitende Wortberichterstattung der Beklagten greift dies auf, in dem beanstandeten Beitrag wird der gesamte Hergang einschließlich der Aktivität der Klägerin geschildert. Entgegen der Ansicht der Klägerin lag auch ein aktueller Berichterstattungsanlass vor, nämlich die Hauptverhandlung vor dem Amtsgericht Tiergarten.
Das gegenläufige Schutzinteresse der Klägerin muss zurücktreten, weil sie sich im Zusammenhang mit den Vorfällen um ihren Hund in die Öffentlichkeit begeben hat. Die Beklagte weist zutreffend darauf hin, dass die Klägerin bewusst aus der Anonymität herausgetreten ist, um etwas zu erreichen, nämlich „Stimmung zu machen“ gegen die Einschläferung ihres Hundes. Die Klägerin muss daher auch die aus ihrer Sicht negativen Seiten der dadurch hergestellten Öffentlichkeit ihrer Person tragen. Die Filmaufnahmen sind ferner nicht durch Ausnutzung von Heimlichkeit oder beharrlicher Nachstellung entstanden. Sie enthalten auch keine Einzelheiten, welche thematisch die Privatsphäre betreffen.“
Fazit
Die Entscheidung zeigt, dass der Schritt in die Öffentlichkeit gut überlegt sein muss. Soweit man sich als Privatperson an die Öffentlichkeit wendet und damit freiwillig die eigene Anonymität aufgibt, muss man naturgemäß mit dem dadurch hergestellten gesteigerten Interesse der Öffentlichkeit an der eigenen Person und den damit zusammenhängenden – möglicherweise negativen – „Nebeneffekten“ rechnen.
Auf der anderen Seite ist zu beachten, dass die Pressefreiheit nicht schrankenlos gewährleitet und ihrerseits durch kollidierende Grundrechte des Betroffenen eingeschränkt wird. Insbesondere aus Sensationslust und durch die Hoffnung gestärkt, der Rechtsverstoß würde toleriert, sind die Medien häufig dazu geneigt, die Grenzen des Zulässigen zu überschreiten und ohne die erforderliche Rücksicht auf die Belange des Betroffenen zu agieren. Dies muss aber nicht in jedem Fall so hingenommen werden. Dem Betroffenen steht grundsätzlich eine Vielzahl von Möglichkeiten einschließlich der Unterlassungs- und ggf. Schadensersatzansprüche zur Verfügung, mit denen er sich zur Wehr setzen kann. (pu)
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