Der BGH und der digitale Nachlass: Der Volltext der Entscheidung liegt vor
Wir berichteten bereits auf Grundlage der Pressemitteilung über die am 12.07.2018 verkündete Entscheidung des BGH, nach der Facebook den Erben Zugriff auf das Facebook-Konto des Erblassers zu gewähren hat. Mittlerweile liegt uns der Volltext der Entscheidung, der insbesondere die Ausführungen der Karlsruher Richter im Bezug auf das Fernmeldegeheimnis beinhaltet, vor.
Gegenstand der Entscheidung war das Verlangen einer Mutter, Zugriff auf das Facebook-Konto ihrer verstorbenen Tochter zu erhalten. Die Tochter kam im Jahr 2015 durch eine einfahrende U-Bahn im Berliner U-Bahnhof Schönleinstraße um. Die konkreten Umstände des Unglücks sind bis heute ungeklärt. Die Mutter erhofft sich durch den Zugang auf das Facebook-Konto ihrer verstorbenen Tochter vor allem Gewissheit darüber, ob ihre Tochter kurz vor ihrem Tod Suizidgedanken hegte.
Jedoch versetzte Facebook das Facebook-Konto der verstorbenen Tochter in den sogenannten Gedenkzustand. Ein Zugriff durch die Mutter auf das Facebook-Konto – selbst mit den entsprechenden Zugangsdaten – war damit nicht mehr möglich.
Nachdem das Landgericht Berlin der Mutter noch einen Anspruch auf Zugang zu dem Facebook-Konto zugesprochen hatte (LG Berlin, Urteil v. 17.12.2015, Az. 20 O 172/15), legte Facebook Berufung vor dem Kammergericht Berlin gegen das erstinstanzliche Urteil ein – mit Erfolg. Die Berufungsrichter waren der Auffassung, dass vor allem das Fernmeldegeheimnis, das auch die Chat-Partner der Erblasserin schütze, einem Anspruch auf Zugangsgewährung entgegenstehe (KG Berlin, Urteil v. 12.05.2017, Az. 21 U 9/16).
Der BGH entschied nun, dass das Urteil des Kammergerichts Berlin aufzuheben und die Berufung Facebooks gegen das erstinstanzliche Urteil des Landgerichts Berlin zurückzuweisen sei (BGH, Urteil v. 12.07.2018, Az. III ZR 183/17).
KG Berlin: Fernmeldegeheimnis stehe dem geltend gemachten Anspruch entgegen
Wie schon das Landgericht bzw. das Kammergericht Berlin stellte der BGH fest, dass die Erben – u.a. die Mutter – in den “Facebook-Vertrag” der Erblasserin – der verstorbenen Tochter – einrücken und sie somit grundsätzlich auf das Facebook-Konto inklusive der Chat-Inhalte zugreifen dürfen.
Das Kammergericht Berlin war jedoch der Auffassung, dass das Fernmeldegeheimnis, das die Kommunikationspartner vor der Kenntnisnahme ihrer Kommunikationsinhalte durch Dritte schützt, dem Zugriff insbesondere auf die Chat-Inhalte entgegenstehe. So heißt es in § 88 Abs. 3 S. 3 TKG – der einfachgesetzlichen Ausprägung des Fernmeldegeheimnisses:
“Eine Verwendung dieser Kenntnisse für andere Zwecke, insbesondere die Weitergabe an andere, ist nur zulässig, soweit dieses Gesetz oder eine andere gesetzliche Vorschrift dies vorsieht und sich dabei ausdrücklich auf Telekommunikationsvorgänge bezieht.” (Hervorhebungen durch den Autor)
Nach Auffassung der Kammerrichter, rücke die Mutter zwar im Wege der Universalsukzession gem. § 1922 BGB in die Rechtsposition ihrer verstorbenen Tochter ein, jedoch werde sie nicht zur Person der Erblasserin selbst. Es bestehe – juristisch betrachtet – keine Personenidentität. Damit sei die Mutter “andere” im Sinne des § 88 Abs. 3 S. 3 TKG und dürfe keinen Einblick in die Kommunikationsinhalte ihrer Tochter erhalten.
BGH: Erbe werde zum Teilnehmer an den Kommunikationsvorgängen
Der BGH entschied nun, dass das Fernmeldegeheimnis weder den Erblasser noch den jeweiligen Kommunikationspartner vor einer Kenntnisnahme des Erben vom Inhalt des Benutzerkontos schütze. Die Mutter als Erbin sei nicht “anderer” im Sinne des § 88 Abs. 3 TKG. “Andere” seien Personen oder Institutionen, die nicht an dem geschützten Kommunikationsvorgang beteiligt sind.
Der Erbe werde vielmehr mit dem Tod des ursprünglichen Kontoberechtigten als neuer Vertragspartner und Kontoberechtigter zum Teilnehmer der auf Grund der Speicherung und Bereitstellung der Inhalte für das Benutzerkonto fortlaufenden Kommunikationsvorgänge.
Darüber hinaus erfordere auch der Zweck des § 88 Abs. 3 TKG nicht, den Erben den Zugang zu dem Benutzerkonto im Hinblick auf schutzwürdige Interessen der Kommunikationspartner zu versagen. Dem verständigen und durchschnittlichen Nutzer eines sozialen Netzwerks sei ebenso wie dem Absender eines Briefs bewusst, dass er nach dem Versenden einer Nachricht nicht mehr kontrollieren kann, wer letztlich von deren Inhalt Kenntnis nimmt, und dass er grundsätzlich keine Möglichkeit habe, die übermittelte Nachricht beziehungsweise den Inhalt zurückzufordern.
Weiterhin bestätige ein Vergleich der erbrechtlichen Rechtslage bei analoger Briefpost das Ergebnis. Aufgrund der Tatsache, dass die Kommunikationsinhalte bei einem klassischen Brief bspw. auf einem Blatt Papier verkörpert sind, sind Briefe samt den Kommunikationsinhalten vererbbar. Der BGH führte hierzu aus, dass die Zugangsmöglichkeit des Erben zu einer Nachricht – sollte man das Fernmeldegeheimnis anwenden – letztlich davon abhänge, ob die Nachricht ausgedruckt auf einem Blatt Papier vorliege – ein Zugang zu der Nachricht wäre hier möglich – oder aber auf den Servern eines Providers liege – ein Zugang zu der Nachricht wäre nicht möglich. Diese unterschiedliche Behandlung desselben Inhalts abhängig von dem Speichermedium oder der Verkörperung und damit letztlich von Zufällen sei nicht gerechtfertigt.
Vertraulichkeitsinteresse habe gegenüber den Erben zurückzustehen
Darüber hinaus begründete der BGH seine Entscheidung damit, dass die Rechtsordnung auch einen Übergang höchstpersönlicher Inhalte auf die Erben vorsehe. So falle der analoge Briefverkehr nach § 2047 Abs. 2 BGB und § 2373 S. 2 BGB in den Nachlass des Erblassers. Hieraus zog der BGH den Schluss, dass die Rechtsordnung das Geheimhaltungsinteresse des Erblassers und der Kommunikationspartner grundsätzlich dem durch Art. 14 Abs. 1 S. 1 GG geschützten Erbrecht unterordne.
Fazit
Mit Blick auf die Mutter, die nun nach einem langjährigen Gerichtsverfahren endlich die Möglichkeit hat, Aufschluss darüber zu erhalten, ob ihre Tochter Suizidgedanken hegte, ist das Urteil der Karlsruher Richter begrüßenswert. Darüber hinaus sorgt das Urteil nun für mehr Klarheit in dem Umgang mit dem digitalen Nachlass.
Auf der anderen Seite hat der BGH die Chance vertan, das Fernmeldegeheimnis, das ebenso wie das Erbrecht durch ein Grundrecht unseres Grundgesetzes geschützt ist, zu stärken. Dem BGH ist zwar insoweit zuzustimmen, dass einem durchschnittlichen Nutzer eines sozialen Netzwerks ebenso wie dem Absender eines klassischen Briefs bewusst ist, dass er letztlich keine Kontrolle darüber hat, wer von den Kommunikationsinhalten Kenntnis nimmt. Doch gerade wegen dieser fehlenden Kontrolle sollte man den Nutzer so gut wie möglich vor der Kenntnisnahme der Kommunikationsinhalte durch Dritte schützen. Höchstpersönliche Kommunikationsinhalte sind nunmal an eine bestimmte Person adressiert. Der Umstand, dass diese Person verstirbt, ändert nichts an der Tatsache, dass der Erbe nicht der Adressat der Nachricht ist.