Das Bundesarbeitsgericht (BAG) hat ein Grundsatzurteil zu Urlaubsansprüchen von Arbeitnehmern gefällt. Urlaub kann demnach nur verjähren, wenn vorher ein Hinweis auf die Verjährung durch den Arbeitgeber erfolgte (BAG, Urteil vom 20.12.2022, Az. 9 AZR 266/20). Arbeitnehmer können nun unter Umständen Abgeltung für lange zurück liegenden Urlaub fordern.
In dem zugrundeliegenden Verfahren ging es um eine Steuerfachangestellte, die gegen ihren Arbeitgeber auf Abgeltung für nicht genommenen Urlaub klagte. Nach der Beendigung des Arbeitsverhältnisses zahlte der Beklagte der Steuerfachangestellten zur Abgeltung von 14 Urlaubstagen 3.201,38 Euro brutto. Die Klägerin verlangte jedoch auch Abgeltung für nicht genommenen Urlaub im Umfang von 101 Arbeitstagen aus Vorjahren – ihr Arbeitgeber weigerte sich. Das Landesarbeitsgericht sprach der Klägerin 17.376,64 Euro brutto zur Abgeltung weiterer 76 Arbeitstage zu.
Aufforderungs- und Hinweisobliegenheiten des Arbeitgebers
Das BAG wies die Revision des Beklagten gegen das Urteil des Landesarbeitsgerichts nun zurück. Darüber hinaus entschied das BAG: Der Urlaubsanspruch beginnt erst dann an zu verjähren, wenn der Arbeitgeber den Arbeitnehmer über seinen konkreten Urlaubsanspruch und die Verfallfristen belehrt und der Arbeitnehmer den Urlaub trotzdem nicht nimmt. Wichtig ist dabei, dass der Arbeitnehmer den Urlaub aus freien Stücken nicht nimmt. Verzichtet der Arbeitnehmer auf seinen Urlaub etwa, weil sein Arbeitgeber ihn dazu drängt, tritt keine Verjährung des Urlaubsanspruchs ein.
Die Urlaubsansprüche der Steuerfachangestellten seien, so das BAG, weder nach § 7 Abs. 3 S. 1 Bundesurlaubsgesetz (BUrlG) am Ende des Kalenderjahres noch nach § 7 Abs. 3 S. 3 BurlG am Ende eines zulässigen Übertragungszeitraums verfallen. Auf die regelmäßige Verjährung nach § 195 Bürgerliches Gesetzbuch (BGB) könne sich der Arbeitgeber hier nicht berufen.
Die neue BAG-Entscheidung kann unter Umständen bedeuten, dass Arbeitnehmer Urlaub auch Jahre später noch nehmen können.
EuGH: BGB-Verjährung nicht immer anwendbar
Das BAG folgt mit seiner Rechtsprechung der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs. Dieser urteilte im September 2022 bereits, dass die regelmäßige Verjährungsfrist des BGB keine Anwendung findet, wenn der Arbeitgeber seiner Hinweis- und Aufforderungsobliegenheit nicht nachgekommen ist.
Arbeitnehmerschutz in Grundrechtecharta höherrangig
Der EuGH legt sein Augenmerk auf Art. 31 Abs. 2 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union. Dieser schützt die Gesundheit von Arbeitnehmern. Der EuGH bewertet den Schutz der Gesundheit von Arbeitnehmern vor der Möglichkeit der Inanspruchnahme durch den Arbeitnehmer höher als den Zweck von Verjährungsvorschriften, Rechtssicherheit zu gewährleisten. Arbeitnehmer sollen sich nicht durch die Berufung auf einen fehlenden Urlaubsantrag des Arbeitnehmers eigenen Pflichten entziehen können.
Die BAG-Entscheidung ist bahnbrechend für viele Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer. Für Arbeitgeber bedeutet sie unter Umständen hohe Nachforderungen von Arbeitnehmern, wenn es um die Abgeltung von nicht genommenem Urlaub aus früheren Jahren geht.