Der Bundesgerichtshof hat Ende letzter Woche die Gründe für sein bereits am 19.3.2015 verkündetes Urteil (BGH, Urteil v. 19.3.2015, Az. I ZR 4/14 – Green-IT) veröffentlicht. Damit geht, wenn man die Abmahnung und das vorher vor dem Landgericht Frankfurt geführte einstweilige Verfügungsverfahren einbezieht, ein über 6-jähriger Rechtsstreit zwischen einem mittelständischen Softwarehändler und dem weltweit bekannten Unternehmen Symantec zuende.
6 Jahre Streit in 2 Verfahren durch 3 Instanzen
Die Chronologie der in dem Fall ergangenen Entscheidungen ist nicht nur mit Hinblick auf deren Anzahl interessant, sondern auch in Bezug auf die Zäsur, die die EuGH-Entscheidung im Juli 2012 im Verfahren verursacht hat:
- LG Frankfurt, Beschluss v. 16.7.2010, Az. 2-03 O 331/10 – einstweiliges Verfügungsverfahren
- LG Frankfurt, Urteil v. 31.3.2011, Az. 2-03 O 331/10 – einstweiliges Verfügungsverfahren
- LG Frankfurt, Urteil v. 15.3.2012, Az. 2-03 O 302/11 – Hauptsacheverfahren
- EuGH, Urteil v. 3.7.2012, Az. C-128/11 – UsedSoft
- OLG Frankfurt, Urteil v. 12.11.2013, Az. 11 U 32/12 – Hauptsacheverfahren
- BGH, Urteil v. 19.3.2015, Az. I ZR 4/14 – Hauptsacheverfahren
Nachdem das Landgericht Frankfurt in seinen Entscheidungen den Antrag bzw. die Klage von Symantec quasi „durchgewunken“ hatte, musste das Oberlandesgericht in seinem Urteil aus dem Jahr 2013 die Vorgaben des EuGH bereits beachten und entschied den Fall differenzierter.
Die Entscheidung reiht sich in einige höchstrichterliche Urteile ein, die sich mit dem Thema „Gebrauchtsoftware“ beschäftigen und die im Jahr 2012 ergangene “Grunsatzentscheidung” des EuGH umsetzen, mit der einer der wichtigsten und jahrzehntelang unangetasteten Grundsätze des Immaterialgüterrechts, der Erschöpfungsgrundsatz seine “Körperlichkeit” verloren hat. So zum Beispiel BGH, Urteil v. 17.7.2013, Az. I ZR 129/08 – UsedSoft II und BGH, Urteil v. 11.12.2014, Az. I ZR 8/13 – UsedSoft III.
BGH trifft Leitsatzentscheidung zum Geschäftsmodell „Green-IT“
Es handelt sich dabei zudem um eine Leitsatzentscheidung, das heisst, um eine, die der Bundesgerichtshof für so wichtig hält, dass er die elementaren Überlegungen selbst in Leitsätzen zusammengefasst hat.
Der Softwarehersteller Symantec leitete die Streitigkeit Mitte des Jahres 2010 mit einer Abmahnung ein, mit der er einer Softwarehändlerin das Angebot seiner Virenschutzsoftware “Symantec Norton 360” verbieten wollte und berief sich dazu auf das Urheber- und Markenrecht. Die Software war (wie die meisten Vienschutzprodukte auch anderer Hersteller) ab Aktivierung für ein Jahr ohne weitere Kosten nutzbar und wurde – ansonsten wäre ein zuverlässiger Virenschutz auch nicht gewährleistet – in dieser Zeit fortlaufend aktualisiert und an neue Virenbedrohungen angepasst. Zusätzlich konnte der Kunde laut Lizenzvereinbarung seine womöglich durch die zwischenzeitliche Auflage einer neuen Version (z.B. 4.0 statt 3.0) veraltete Software in der Laufzeit immer an die jeweils neuste Version upgraden. Auf den „Box-Produkten“ der Software befand sich der Hinweis, dass ein Erwerber, der den in der Box befindlichen Datenträger nicht nutzen kann, beispielsweise weil sein Notebook kein Laufwerk hat, die Software mithilfe des Produktschlüssels unmittelbar von der Internetseite der Klägerin herunterladen könne.
Die Beklagte bot die Software als „Retail-Ware“ (vollständiges Box-Produkt), „Bulk-Ware“ (vollständiges Box-Produkt ohne Verpackung) und „Green-IT-Ware“ (nur Downloadmöglichkeit nebst Produktschlüssel) jeweils mit dem Hinweis auf die Aktualisierungen und Upgrademöglichkeit an.
Symantec störte sich dabei insbesondere bei einer Verkaufsvariante “Green-IT”, bei die Händlerin dem Käufer nach dem Kauf lediglich die Seriennummer des Computerprogramms und einen Link per E-Mail übersandte. Mit deren Hilfe konnten die Kunden das Programm von der Internetseite der Klägerin und – wie in den Nutzungsbedingungen vorgesehen – in der neusten Version herunterladen. Der Erwerber konnte die gesamte Box oder auch nur den Datenträger nachfordern und erhielt diese umgehend. Nicht nachgeforderte Datenträger ließ die Beklagte regelmäßigen Abständen von einem Dienstleistungsunternehmen vernichten.
Die bei einem von Symantec durchgeführten Testkauf übermittelte Seriennummer gehörte zu einem „Box-Produkt“ der Klägerin, das einen Datenträger mit dem Programm „Symantec Norton 360“ in der Version 3.0 enthielt. Nach den auf diesem Datenträger befindlichen Lizenzbedingungen ist es dem Erwerber gestattet, über die Internetseite der Klägerin ein kostenloses Update der Software auf die Version 4.0 vorzunehmen. Die Beklagte machte sich somit nicht nur die erst im Verlaufe des Verfahrens vom EuGH bestätigte Möglichkeit der “unkörperlichen” oder “Online-„Erschöpfung an der Programmkopie zu Nutze, sondern zusätzlich die in den Lizenzbedingungen vorgesehene Upgrademöglichkeit auf die jeweils neueste Version der Software im einjährigen Laufzeit der Software.
Der BGH entschied 6 von 7 streitigen Punkten zugunsten der Beklagten
Auch wenn die Beklagte aus dem Rechtsstreit nicht als Siegerin hervorging, so zeigt nicht nur die Kostenentscheidung, dass sie sich mit der Mehrzahl der bereits im Jahre 2010 vor Kenntnis der EuGH-Entscheidung von ihr vertretenen Standpunkte beim BGH durchsetzen konnte, die sich unter anderem in den Leitsätzen a) bis c) der Entscheidung niederschlagen:
a) Verfolgt der in erster Instanz erfolgreiche Kläger mit einem erstmals im Berufungsrechtszug gestellten Hilfsantrag dasselbe Klageziel wie mit dem erstinstanzlich erfolgreichen Hauptantrag, stellt dies keine Klageerweiterung dar, die mit der Anschlussberufung geltend gemacht werden muss (Fortführung von BGH, Urteil vom 22. Januar 2015 – I ZR 127/13, NJW 2015, 1608).
b) Räumt der Inhaber des Urheberrechts an einem Computerprogramm dem Erwerber einer Programmkopie das Recht zur Nutzung für die gesamte Zeit der Funktionsfähigkeit des Computerprogramms ein, liegt eine Veräußerung im Sinne von § 69c Nr. 3 Satz 2 UrhG vor, die zur Erschöpfung des Verbreitungsrechts an der Programmkopie führen kann.
c) Die Erschöpfung des Verbreitungsrechts an der Kopie eines Computerprogramms gemäß § 69c Nr. 3 Satz 2 UrhG erstreckt sich auf das Recht zum Weiterverbreiten der Programmkopie sowohl durch Weitergabe eines die Programmkopie enthaltenden Datenträgers als auch durch Bekanntgabe eines zum Herunterladen des Programms erforderlichen Produktschlüssels. Dabei kommt es nicht darauf an, ob der Weiterverkäufer die „erschöpfte“ Kopie des Computerprogramms seinerseits von dem Verkäufer durch Übergabe eines Datenträgers oder durch Bekanntgabe des Produktschlüssels erhalten hat.
Zusätzlich hat der BGH zugunsten der Beklagten festgestellt, dass das Recht zur zeitlich begrenzten Nutzung unter den Umständen des Streitfalls dem Recht zur zeitlich unbegrenzten Nutzung im Sinne der Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europäischen Union gleichstehe, da das in Rede stehende Computerprogramm nach Ablauf der Servicelaufzeit automatisch deaktiviert und funktionsunfähig werde.
Zudem hat der Senat betont, dass der Erschöpfung des Verbreitungsrechts nicht entgegenstehe, dass der Nutzer der Software nach den Lizenzbedingungen der Klägerin nur zur Überlassung der Rechte an der Software berechtigt ist, wenn er alle Kopien der Software und der Begleitdokumentation übergibt und der Empfänger der Software sich mit den Bestimmungen der Lizenzvereinbarung einverstanden erklärt. Dabei handele es sich allenfalls um schuldrechtliche Beschränkungen des Nutzungsrechts, die sich nicht dinglich auswirkten.
Der BGH hat schliesslich nochmals klargestellt, dass sich die Erschöpfung nicht nur auf die aktuelle Version der Software, sondern auf die verkaufte Programmkopie in der vom Urheberrechtsinhaber verbesserten und aktualisierten Fassung bezieht. Nach den auf dem Datenträger des erworbenen Programms befindlichen Lizenzbedingungen war es dem Erwerber gestattet, über die Internetseite der Klägerin ein kostenloses Update der Software von der Version 3.0 auf die Version 4.0 vorzunehmen, so dass sich die Erschöpfung auch auf diese Version beziehe.
Der Zweitererwerber war nicht zur Vervielfältigung durch Download berechtigt
In dem nachfolgenden Leitsatz zu Ziffer d) hat der BGH für die Beklagte allerdings eine nachteilige Entscheidungen getroffen, die letztendlich zu einem überwiegenden Verlust des Rechtsstreits auch in markenrechtlicher Hinsicht zu Ziffer e) führte:
d) Wird die „erschöpfte“ Kopie eines Computerprogramms durch Bekanntgabe des Produktschlüssels weiterverkauft, setzt die Berechtigung des Nacherwerbers zum Herunterladen und damit Vervielfältigen des Computerprogramms nach § 69d Abs. 1 UrhG voraus, dass der Vorerwerber seine Kopien dieses Programms zum Zeitpunkt des Weiterverkaufs unbrauchbar gemacht hat.
e) Der Markeninhaber muss es nach Art. 13 Abs. 2 GMV nicht hinnehmen, dass seine Marke für den weiteren Vertrieb der von ihm oder mit seiner Zustimmung unter dieser Marke in Verkehr gebrachten Kopie eines Computerprogramms verwendet wird, wenn die ernstliche Gefahr besteht, dass der Er- werber der Kopie das Urheberrecht am Computerprogramm verletzt (Anschluss an BGH, Urteil vom 6. Oktober 2011 – I ZR 6/10, GRUR 2012, 392 = WRP 2012, 469 – Echtheitszertifikat).
Wie im vierten Leitsatz unter d) zusammengefasst, vertritt der BGH die Auffassung, dass das rechtmäßige Herunterladen der Software durch den Zweiterwerber voraussetze, dass der Vorerwerber, in dem Fall die Beklagte seine Kopien dieses Programms zum Zeitpunkt des Weiterverkaufs unbrauchbar gemacht hat. Diese Voraussetzung konnte die Beklagte nicht hinreichend nachweisen. Sie handelte demnach nach Auffassung des Senats urheberrechtswidrig, da sie damit – vereinfacht gesagt – die Gefahr schaffe, dass zu einem Zeitpunkt zwei Progammkopien – statt wie ursprünglich nur eine – in der Welt sind.
Die Unbrauchbarmachung der Programmkopien beim Erstwerber als Voraussetzung für die Berechtigung des Zweiterwerbers?
Der Senat bezieht sich diesbezüglich auf die “UsedSoft”-Entscheidung des EuGH und dort insbesondere die Ziffern 70 und 78 (EuGH, Urteil vom 3. Juli 2012 – C-128/11, GRUR 2012, 904 Rn. 70 und 78 = WRP 2012, 1074 – UsedSoft/Oracle). Interessanterweise sagt der Europäische Gerichtshof dort aber gar nichts über Handlungen des Zweiterwerbers, sondern lediglich des Ersterwerbers, der das ausschließliche Recht des Urhebers auf Vervielfältigung des Computerprogramms verletze, wenn seine eigene Kopie zum Zeitpunkt des Weiterverkaufs nicht unbrauchbar mache. Es geht dort somit explizit um eine mögliche Rechtsverletzung durch den Ersterwerber, nicht durch den Zweiterwerber.
In Randnummer 79 weist der EuGH sogar explizit auf das mit seiner großzügigen Handhabung der Erschöpfung einhergehenden Problem hin, nämlich, dass sich die Überprüfung, ob eine Kopie unbrauchbar gemacht worden ist, als schwierig erweisen kann. Dem Urheberrechtsinhaber, der auf einem Datenträger wie einer CD-ROM oder einer DVD gespeicherte Programmkopien verbreitet, stehe jedoch vor demselben Problem, da er kaum nachprüfen könne, ob der Ersterwerber nicht doch Programmkopien erstellt hat, die er nach dem Verkauf des materiellen Datenträgers weiterhin nutzen kann. Zur Lösung dieses Problems stehe es dem – „herkömmlichen“ oder „digitalen“ – Vertreiber frei, technische Schutzmaßnahmen, etwa Produktschlüssel, anzuwenden.
Der Bundesgerichtshof behauptet demgegenüber in den Leitsätzen seiner Entscheidung “UsedSoft II” (BGH, Urteil v. 17.7.2013, Az. I ZR 129/08 – UsedSoft II) lapidar, dass die Erschöpfung des Verbreitungsrechts nach den Vorgaben des EuGH voraussetze, dass der Ersterwerber seine Kopie unbrauchbar gemacht habe.
Abgesehen davon, dass der EuGH das so nie gesagt hat, ist diese Auffassung auch deswegen bedenklich, da sie dem Sinn des Erschöpfungsgrundsatzes, nämlich dem Schutz des freien Warenverkehrs zuwiderläuft. Zum Erhalt von klaren und übersichtlichen Verhältnissen im Rechtsverkehr nimmt der Erschöpfungsgrundsatz dem Berechtigten die Möglichkeit, die Art und Weise der Weiterverbreitung einzuschränken. Es steht ihm natürlich frei, die Art und Weise der Erstverbreitung zu beschränken. In diesem Falle tritt keine Erschöpfung ein, so dass der Berechtigte gegen eine Weiterverbreitung vorgehen kann (Dreier/Schulze/Schulze UrhG § 17 Rn. 25). Im vorliegenden Fall war der Urheberrechtsinhaber aber nicht schutzwürdig, da er die Erstverbreitung nicht nur auf körperliche Vervielfältigungsstücke beschränkt, sondern – wie im Internet und auf den Produktverpackungen herausgestellt – auch den Download der Software ermöglicht hatte. Diesen Umstand hatte das OLG Frankfurt in seiner Entscheidung noch gewürdigt und eine Urheberrechtsverletzung abgelehnt.
Mit dem oben genannten Leitsatz unter d) weicht der BGH jetzt sogar noch von seiner ursprünglichen Behauptung ab, nach der sich das Unterlassungen der Unbrauchbarmachung auf das Verbreitungsrecht auswirke und bezieht dies im vorliegenden Fall auf das Vervielfältigungsrecht aus § 69d Abs. 1 UrhG zu dem der Zweiterwerber nicht berechtigt sein soll, wenn der Vorerwerber ihm seine Kopien des Programms nicht ausgehändigt oder unbrauchbar gemacht hat.
Man hat das Gefühl, dass der BGH den Vorgaben des EuGH nur widerwillig folgt und sich die Deutungshoheit in Bezug auf den althergebrachten Erschöpfungsgrundatz dadurch letztendlich faktisch doch erhält, indem er die Umsetzung der europarechtlichen Vorgaben mit der Forderung der Unbrauchbarmachung vor „Weiterverkauf“ in der Praxis erheblich erschwert.
Der Markenrechtsinhaber kann sich der Verwendung der Marke bei Gefährdungen seines Urheberrechts widersetzen
Wie der Leitsatz zu Ziffer e) zeigt, wollte der BGH der Beklagten als “Urheberrechtsgefährderin” – aus seiner Sicht wiederum konsequenterweise – die Nutzung der Marke der Klägerin nicht gönnen, obwohl das Markenrecht, ähnlich wie das Urheberrecht grundsätzlich erschöpft war. Der Markeninhaber müsse es nämlich nicht hinnehmen, dass seine Marke für den weiteren Vertrieb der von ihm oder mit seiner Zustimmung in Verkehr gebrachten Produkte verwendet wird, wenn dieser Vertrieb – wie im vorliegenden Fall der Vertrieb des Computerprogramms durch Übermittlung der Seriennummer unter Zurück- behaltung der Programmkopie – die ernstliche Gefahr begründet, dass der Erwerber des Produkts das Urheberrecht an diesem Produkt verletzt.
Kein urheberechtlicher Schadensersatz
Bemerkenswert ist, dass der BGH betont, dass das Verhalten des Beklagten lediglich die Gefahr einer Rechtsverletzung durch seine Kunden berge und solche aber nicht vorgetragen bzw. nachgewiesen worden seien. Aus diesem Grund hat der Senat die ebenfalls geltend gemachten urheberrechtlichen Annexanträge abgewiesen.
Ausblick
Sogar 3 Jahre nach dem wegweisenden “UsedSoft”-Urteil des EuGH versuchen aktuell verschiedene Softwarehersteller, darunter zum Beispiel Kaspersky und Haufe immer noch, Händlern das Leben schwer zu machen, die vom “körperlichen” Vertriebsweg “Box-Produkt” abweichen und stattdessen – wie es die Hersteller in der Regel auch selbst zusätzlich vorsehen – lediglich einen Downloadlink nebst Produktschlüssel übersenden. Dies obwohl die Händler jedenfalls seit der ersten “UsedSoft”-Entscheidung – unserer Auffassung überobligatorisch – darauf achten, die Unbrauchbarmachung etwaiger bei ihnen verbliebener Programmkopien genauestens zu dokumentieren.
Spätestens mit dieser Entscheidung dürfte der Spuk ein Ende haben.
(Offenlegung: Unsere Kanzlei hat die Beklagte in den Rechtsstreiten vertreten bzw. dem BGH-Anwalt vor dem Bundesgerichtshof zugearbeitet. Die Rechtsstreite gegen Kaspersky und Haufe werden ebenfalls von unserer Kanzlei geführt.)