In der Philosophie gibt es seit jeher den Streit darüber, wie sich die Sachverhalte der Wirklichkeit und ihre Bezeichnung in der Sprache so in Einklang bringen lassen, dass die sprachliche Abstraktion die Realität möglichst genau in unsere Gedanken holt, so dass wir uns verstehen, wenn wir über Dinge sprechen, die wir nicht unmittelbar vor Augen haben, oder über Erlebnisse berichten, die wir nicht gemeinsam gemacht haben.
Um problemlos und widerspruchsfrei kommunizieren zu können, hat sich ein ganz bedeutender Vertreter der Zunft, Gottfried Wilhelm Leibniz, sogar überlegt, wie es möglich sein könnte, durch einen Zahlencode eindeutige Formulierungen zu bilden, die alle Menschen in absolut klarer Weise miteinander ins Gespräch bringen – Missverständnisse ausgeschlossen und damit Streit oder gar Krieg präventiv vermieden. Mag sein, dass der Erfinder dieser characteristica universalis auch deshalb so viel Mühe auf eine exakte Sprache verwand, weil er nicht nur Philosoph war, sondern auch Jurist. Denn Juristen verwenden größte Sorgfalt auf Formulierungen. In Rechtstexten – seien es Gesetze oder Verträge – kommt es nun mal auf jedes Wort an. Und oft scheint es, dass über die Wortwahl die Wirklichkeit bestimmt werden soll – nicht umgekehrt.
Facebook verlagert Einwilligung einfach in einen Vertrag
Ein besonders eklatantes Beispiel hierfür liefert Facebook. Das größte soziale Netzwerk nimmt es mit dem Datenschutz nicht so genau und gestaltet die rechtliche Seite seines Angebots entsprechend raffiniert. So gibt es im Facebook keine Einwilligung des Users zur Datenverarbeitung nach Artikel 6.1 (a) DSGVO, sondern dieser schließt mit Facebook einen Vertrag, der als Vereinbarung über die Verarbeitung der Daten dient; einschlägig ist hier Artikel 6.1 (b) DSGVO. Vertragliche Vereinbarung, nicht Einwilligung – mit diesem wortklauberischen Winkelzug sichert sich das Netzwerk den Zugriff auf die User-Daten, denn der geschlossene Vertrag bietet dafür die Grundlage. Pikant: Die Änderung erfolgte am 25. Mai 2018 – just als die DSGVO in Kraft trat.
Facebooks recht simpler Taschenspielertrick verfängt unterdessen bei der irischen Datenschutzbehörde (DPC). Nach ihrer Ansicht kann Facebook die Einwilligung zur Datenverarbeitung in einen Vertrag verschieben, wodurch die Voraussetzung der DSGVO für eine explizite Einwilligung nicht mehr gelte. Allein für die Intransparenz der Veränderung will die DPC eine Strafe in Höhe von 28 bis 36 Mio. € verhängen – Peanuts für das milliardenschwere Unternehmen, dessen Geschäftsmodell auf dem systematischen Abgreifen der Nutzerdaten basiert.
Max Schrems‘ NOYB wehrt sich gegen den Griff in die Trickkiste
Jemand der das anprangert, ist der österreichische Datenschutz-Aktivist Max Schrems. Mit seiner Organisation NOYB („None of your business“, zu deutsch: „Das geht Sie nichts an“) begleitet er den Prozess zwischen Facebook und der DPC kritisch und ist empört über die Wortklaubereien aus dem Hause Facebook. Die NOYB-website zitiert ihn mit einer glasklaren Einschätzung des Falls:
„Es ist weder innovativ noch klug, eine Vereinbarung einfach umzubenennen, um das Gesetz zu umgehen. Bereits bei den Römern haben die Gerichte eine solche ‚Umetikettierung‘ von Vereinbarungen nicht akzeptiert. Wenn Sie Kokain verkaufen und auf die Rechnung ‚weißes Pulver‘ schreiben, verstoßen Sie dennoch gegen das Suchtmittelgesetz und machen sich strafbar. Nur die irische Datenschutzbehörde scheint auf diesen Trick reinzufallen.“
Dass Schrems richtig liegt und der Vertrag tatsächlich als Einwilligung wahrgenommen wird, zeigt eine von NOYB in Auftrag gegebene Umfrage des Gallup-Instituts, nach der 64 Prozent der Facebook-Nutzer in der fraglichen Vereinbarung eine Einwilligung sehen. Die User lassen sich also nicht an der Nase herumführen. Ein Grund mehr, dass sich der Europäische Datenschutzausschuss (EDSA) mit der Sache befasst. Dass die europäischen Behörden die irischen überstimmen, ist Schrems‘ Hoffnung, andernfalls sieht er schwarz:
„Wenn sie nicht tätig werden, können Unternehmen einfach die Einwilligung in ihre Bedingungen verschieben und so die DSGVO ein für alle Mal umgehen.“
Der Beitrag stammt von unserem freien Autor Josef Bordat. Er ist Teil unserer Reihe “Berichte aus der Parallelwelt”. Dort werfen Autoren aus anderen Fachbereichen einen Blick auf die Rechtswissenschaft in Theorie und Praxis. Die Beiträge betrachten, anders als unsere sonstigen Fachbeiträge Begebenheiten und Rechtsfälle daher auch nicht juristisch, sondern aus einem völlig anderen Blickwinkel. Aus welchem, das soll der Beurteilung der Leser überlassen bleiben. Interessant wird es, wie wir meinen, allemal.