Seit einigen Wochen geht es durch die Presse, das Thema ACTA. Videos darüber werden in den Umlauf gebracht und verbreiten große Skepsis unter Internetnutzern. Das sei nur Panikmache der Internetpiraten meinen manche. Viele aber sind verunsichert.
Doch worum geht es wirklich?
ACTA, das steht für Anti-Counterfeiting Trade Agreement. Beabsichtigt ist ein Vertragsschluss teilnehmender Nationen, der einheitliche Standards in Bezug auf Produktpiraterie und Urheberrechtsverletzungen schaffen soll. Eigentlich eine gute Idee, denn jedes Land behandelt die Verletzung von Urheberrechten anders. Das eine mehr, das andere weniger strikt. Durch das Internet kommt es aber schnell zu grenzüberschreitenden Bezügen.
Durchsetzung von Urheberrechten im Ausland
Ein Bildnis, was in Deutschland online gestellt wird, kann ohne technische Schwierigkeiten von einem Engländer ohne Erlaubnis im Internet kopiert und verbreitetet werden. Welches Recht in solchen Fällen angewendet wird, regelt Artikel 40 I S. 2 EGBGB. Hiernach wird dem Verletzten ein Wahlrecht zwischen deutschem Recht und dem Recht des Staates eingeräumt, in dem der Handlungserfolg eingetreten. Was in dem Fall England wäre. Ein Deutscher kann sich somit für das Recht entscheiden, mit dem er seine Ansprüche am effektivsten durchsetzen kann. Das Brüsseler Übereinkommen und das Lugano Abkommen erleichtern dann die internationale Rechtsdurchsetzung und die Vollstreckung von Gerichtsurteilen.
Der Engländer aus unserem Beispiel hat in der Regel keine Kenntnis davon, was in anderen Ländern illegal ist oder im schlimmsten Fall noch nicht mal, aus welchem Land das Bild stammt und im welchen Land er gerade Recht verletzt. Für den Internetnutzer ergibt sich daher das Risiko, dass er die Folgen seiner Handlungen im Internet nicht einschätzen kann. Insofern ist meiner Einschätzung nach,die Grundidee von ACTA eigentlich eine gerechte, die dem Internetnutzer zu Gute kommen soll.
Vorwurf: ACTA lässt zu viel Spielraum in der Umsetzung
Stark umstritten ist die Umsetzung der einzelnen ACTA-Artikel. Denn schon in Artikel 2 heißt es:
„Jede Vertragspartei wendet dieses Übereinkommen an. (…)Es steht jeder Vertragspartei frei, die für die Umsetzung dieses Übereinkommens in ihrem eigenen Rechtssystem und in ihrer Rechtspraxis geeignete Methode festzulegen.“
oder in Artikel 27 IV:
„Diese Verfahren sind so anzuwenden, dass rechtmäßige Tätigkeiten, (…) in Übereinstimmung mit den Rechtsvorschriften der jeweiligen Vertragspartei beachtet werden.“
Die Artikel zeigen, dass den einzelnen Ländern ein großer Spielraum gelassen wird, wie sie ACTA im eigenen Land umsetzen. Meiner Ansicht nach wird dadurch der Sinn des ACTA-Vertrages verfehlt. Denn dieser sollte darin bestehen, einheitliche Standards zwischen den unterzeichnenden Staaten zu schaffen. Wenn aber zu viel Freiraum besteht, die ACTA -Artikel in das Rechtssystem der jeweiligen Staaten umzusetzen, so weiß der Engländer aus unserem Beispiel wieder nicht, inwiefern seine Handlung fremdes Recht verletzen könnte.
ACTA bringt für das deutsche Recht nicht viel Neues
ACTA schreibt zu einem großen Teil Rechte und Pflichten vor, die auch bereits jetzt schon in deutschen Gesetzen, etwa im Urheberrechtsgesetz umgesetzt sind. So wird in Artikel 6 ein Eilverfahren bei Verletzungen des geistigen Eigentums verlangt, was in Deutschland durch die Zivilprozessordnung in den §§ 916 ff. schon heute gewährt wird. Auch, dass es zivilgerichtlich möglich sein soll gemäß Art. 8 und 9 Unterlassungsansprüche durchzusetzen und Schadensersatz zu verlangen, ist in Deutschland ein alter Hut. Zudem ist es auch nicht neu, dass Urheberrechtsverletzungen strafrechtlich geahndet werden sollen. Dies ist schon in § 106 UrhG normiert. ACTA regelt also für deutsches Recht nicht viel Neues.
ACTA soll zu unbestimmt sein
Kritiker monieren außerdem, dass der ACTA-Vertrag zu unbestimmt sei. Art. 6 regelt zum Beispiel das Folgende:
„Die zur Durchführung der Bestimmungen dieses Kapitels eingeführten, aufrecht erhaltenen oder angewandten Verfahren müssen fair und gerecht sein und gewährleisten, dass die Rechte aller solchen Verfahren unterliegenden Teilnehmer angemessen geschützt werden. Diese Verfahren dürfen nicht unnötig kompliziert oder kostspielig sein und dürfen keine unangemessenen Fristen oder ungerechtfertigten Verzögerungen mit sich bringen“
Dieser Artikel beinhaltet nach meiner Auffassung mindestens fünf unbestimmte Rechtsbegriffe.
- Was ist fair und gerecht? Sollten nicht alle Schadensersatz und Unterlassungsklagen fair und gerecht geführt werden?
- Wann wird ein Teilnehmer angemessen geschützt? Wenn Waren ohne weiteres beschlagnahmt werden können oder Auskünfte zu seiner Person auf Verdacht erteilt werden müssen?
- Wann sind Verfahren unnötig kompliziert? Wenn vorab Schriftsätze verfasst werden müssen?
- Wann ist ein Verfahren kostspielig? Ist die Gerichtskostenordnung haltbar?
- Welche Fristen sind unangemessen? Eine 1- Wochenfrist, eine 2-Wochenfrist?
Unbestimmte Rechtsbegriffe sind auszulegen. Dies kann dadurch geschehen, dass man die Unterlagen, die der Abfassung eines Gesetzes oder hier eines Vertrages dienten zur Auslegung heranzieht. Diese Unterlagen sind derzeit nicht zugänglich. Hieraus würden sich also große Schwierigkeiten bei der gewünschten Umsetzung des Vertrages ergeben.
ACTA der heimliche Vertrag
Kritisiert wird auch, dass ACTA unter Umgehung anderer Organisationen, wie der WIPO (Weltorganistation für geistiges Eigentum) verfasst wurde. Damit musste man sich nicht einer öffentlichen Debatte aussetzen. Auch die Verhandlungsdokumente sollen bis dato unter Verschluss gehalten werden. Es ist daher nachvollziehbar, dass Kritiker meinen, dass an ACTA etwas „nicht stimme“.
Gefahr des Behördeneinflusses im Internet
Neu ist, dass im Internetverkehr die Behörden dazu ermächtigt werden sollen, Internetdienstanbieter zur Offenlegung von Informationen über mutmaßliche Rechtsverletzer gemäß Art. 27 IV anzuordnen, wofür eigens Spezialbehörden gemäß Art. 28 gebildet werden sollen.
Daher wächst unter Internetusern die Angst davor, dass das historisch geprägte und im Grundgesetz manifestierte Verbot der Zensur durch staatliche Behörden verletzt werden könnte. Man befürchtet eine Kontrolle durch Behörden im Internet, die im Ausmaß der eines Überwachungsstaates gleich kommen könnte.
Die Umsetzung des ACTA-Vertrages in das deutsche Recht könnte an der deutschen Verfassung scheitern. Das Grundgesetz setzt hinsichtlich der Überwachung und Kontrolle durch den Staat gegenüber dem Einzelnen in den Artikeln 10, 13 GG sehr hohe Standards. Durch diese Artikel wird die Unverletzlichkeit der Wohnung, die der Telekommunikation und das Briefgeheimnis geschützt.
Ausnahmsweise lassen die §§ 99 ff. StPO, Eingriffe in diese Grundrechte zu, um zum Beispiel die Telekommunikation zu überwachen oder Wohnungen zu durchsuchen. Gemeinsam haben diese Paragraphen, dass sie einen Verdacht einer besonders schweren Straftat voraussetzen, wie etwa Mord und Totschlag, Hochverrat oder Straftaten gegen die sexuelle Selbstbestimmung.
Die Bundesrepublik sollte dies vor der Ratifizierung bedenken.
Fazit
Meiner Ansicht nach wird derzeit der ursprünglich gewünschte Zweck des ACTA-Vertrages verfehlt. Denn ACTA ist nicht so formuliert, dass einheitliche Standards zwischen den teilnehmenden Nationen geschaffen werden können. Denn die Formulierungen der Artikel sind zu allgemein gefasst. Dies führt im Ergebnis dazu, dass die Differenzen innerhalb der verschiedenen Rechtssysteme der Nationen nicht so ausgeglichen werden können, dass der einzelne Internetnutzer einen Überblick über seine Pflichten im Internet erhält.
Für das deutsche Recht regelt ACTA nicht viel Neues. Es gibt viele Übereinstimmungen im Urheberrecht oder in der Zivilprozessordnung. Die Angst der Kritiker ist diesbezüglich unbegründet.
Sollte die Bundesrepublik unterschreiben und damit sich dazu verpflichten, Befugnisse zur Kontrolle des Internets auf Spezialbehörden zu übertragen, könnte dies zu Konflikten mit dem Grundgesetz führen.
Der Kerngedanke von ACTA ist zwar gut, die Umsetzung aber noch nicht gelungen.
Deutschland wird zunächst nicht unterschreiben. (jr)