Das Amtsgericht Charlottenburg hat mit Urteil vom 13.11.2019 entschieden, dass es einem auf die Unterlassung der Zusendung unerwünschter E-Mail.Werbung gerichteten Antrag wegen Verstoßes gegen das allgemeine Persönlichkeitsrecht am Verfügungsgrund fehlt (AG Charlottenburg, Urteil v. 13.11.2019, Az. 11 C 180/19, hier als PDF abrufbar).
Mit merkwürdiger Begründung. Die Mutter des Antragstellers war auch da. Aber der Reihe nach.
Unerwünschte E-Mails sind lästig und unzulässig
Auslöser des Streits war eine Bestellung des Antragstellers im Onlineshop des Antragsgegners gewesen. In der Folgezeit übersandte der Antragsteller dem Antragsgegner, was nach einem Kauf im Internet nicht unüblich ist, E-Mails mit weiteren Angeboten aus seinem Sortiment. Der Antragsteller mahnte den Antragsgegner darauf hin ab und forderte ihn zur Abgabe einer strafbewehrten Unterlassungserklärung auf.
Nachdem der Antragsgegner darauf nicht reagiert hatte, beantragte er – übrigens höchstselbst und ohne Rechtsanwalt – genau zwei Monate nach dem vermeintlichen Rechtsverstoß eine einstweilige Verfügung beim Amtsgericht Charlottenburg. Und nachdem das Gericht die von ihm gewünschte einstweilige Verfügung nicht erlassen wollte, stellte er einen Befangenheitsantrag gegen das erkennende Gericht, der – wie so oft – ohne Erfolg blieb, aber den Rechtsstreit um weitere vier Monate verzögerte. Schließlich beraumte das Gericht Termin zur mündlichen Verhandlung an.
Es erscheinen der Verfügungskläger sowie seine Mutter als Beistand
Der Antragsteller, der zusammen mit seiner Mutter erschien, die laut Protokoll als „Beistand“ agierte, behauptete in der mündlichen Verhandlung, sich an eine Bestellung beim Antragsteller nicht erinnern zu können. Die vorgelegten Bestellbestätigungen und Kontoauszüge seien gefälscht. Bereits die Übersendung einer E-Mail stelle eine schwere Persönlichkeitsrechtsverletzung dar, die auch nach der Rechtsprechung des Berliner Landgerichts sowie des Kammergerichts im Wege der einstweiligen Verfügung unterbunden werden könne.
Das Amtsgericht wies das Anliegen des Antragstellers zurück und hielt seinen Zurückweisungsbeschluss aufrecht.
„Interessante“ Entscheidungsgründe
Das AG begründete seine Entscheidung damit, dass dem gestellten Antrag der Verfügungsgrund fehle. Die Auffassung des Antragstellers unter Verweis auf die Rechtsprechung des Landgerichts Berlin, dass ihm eine Abwehr der Beeinträchtigung mit sofortiger Wirkung möglich sein müsse, sei dem Gesetz so nicht zu entnehmen. Bei der Frage der Dringlichkeit sei zu berücksichtigen, wie stark ein Recht beeinträchtigt ist und wie sehr der Antragsteller auf die sofortige Unterlassung angewiesen ist. Wenn der Antragsteller ernsthaft behaupte, die Zusendung einer E-Mail beeinträchtige ihn in schwerwiegender Art und Weise in seinem Persönlichkeitsrecht, so möge dies eine subjektive Empfindung sein, lasse sich aber objektiv nicht feststellen.
Das AG teilt die Meinung der höheren Instanzen nicht
Das Gericht teile auch die Auffassung des Kammergerichts nicht, dass sich die Antragstellerin Verstöße anderer Anbieter zurechnen lassen müsse. die Annahme einer Wiederholungsgefahr führe entgegen einer wohl verbreiteten Meinung nicht regelmäßig zur für den Erlass einer einstweiligen Verfügung erforderlichen Dringlichkeit. Da eine einstweilige Verfügung auf Unterlassung stets zur Vorwegnahme der Hauptsache führe, seien an ihre Dringlichkeit vielmehr strenge Anforderungen zu stellen, die das Gericht nicht erfüllt sehe.
Auf die vom Antragsteller umfangreich vorgelegte dieser Auffassung entgegenstehende Rechtsprechung unterschiedlicher Kammern des Landgerichts bzw. des Berliner Kammergerichtskomme nicht darauf an, da das Gericht nur an das Gesetz gebunden sei. Einzelheiten können der Entscheidung, die hier als PDF abrufbar ist, entnommen werden.
Berufung „leider“ nicht möglich
Da der vom Amtsgericht auf ausgerechnet 500 € festgesetzte Streitwert dazu führt, dass damit der für eine zulässige Berufung notwendige Wert des Beschwerdegegenstands von über 600 € nicht erreicht wird, werden wir leider nie erfahren, was das Landgericht den Fall entschieden hätte.
Wir vermuten, dass eine Entscheidung der zweiten Instanz nicht viel lobende Worte zur rechtlichen Einschätzung des Amtsgerichts enthalten hätte. Denn obwohl man darüber streiten kann, ob der Erhalt einer E-Mail tatsächlich unbedingt mit den Mitteln der einstweiligen Verfügung bekämpft werden muss und die strenge Rechtslage häufig mit ehrlichen und mit vollständigem Impressum agierenden Unternehmern oft die Falschen trifft, existiert – jedenfalls im zuständigen Berliner Bezirk – nun einmal zahlreiche und eindeutige Rechtsprechung zu diesem Thema, die man vielleicht kritisieren aber nicht leugnen und wie folgt schnell zusammenfassen kann: Unverlangte E-Mail = Persönlichkeitsrechtsverletzung = Unterlassungsanspruch = dringlich = einstweilige Verfügung.
Rechtsstaatlichkeit ist ein hohes Gut
Da wir im vorliegenden Fall die Interessen des Antragsgegners vertreten haben, ist das Ergebnis natürlich in unserem Sinne. Der Gegner kann sich mangels ausreichender Beschwer nicht dagegen wehren. Trotzdem verbleibt angesichts der groben Fehler und teilweise fast höhnischen Ausführungen des Richters ein flaues Gefühl im Magen. Nicht selten steht man nämlich auf der anderen Seite solcher Entscheidungen.
Die Rechtsstaatlichkeit gebietet es, dass ein Richter einen Rechtsstreit, auch oder gerade dann, wenn er erfolglos mit einem Befangenheitsantrag konfrontiert worden ist, objektiv und mit rechtlichen Argumenten entscheidet. Erst recht bedenklich ist es, wenn der Anschein erweckt wird, dass ein Spruchkörper sich durch die Herabsenkung des Streitwerts unter die Berufungsgrenze einer Überprüfung durch das nächste instanzielle Gericht entziehen will.
Denn: Natürlich ist der Richter in seinen Entscheidungen zwar unabhängig und der Auffassung höhere Instanzen auch insoweit nicht unterworfen. Im Regelfall korrigiert die nächste Instanz die untere Entscheidung ganz einfach. Bedenklich wird es jedoch dann, wenn ein Untergericht sich sehenden Auges ausgerechnet in einem Fall gegen höhere Instanzen stellt und den Streitwert im Rahmen eines großen Ermessensspielraums mit 500 € auf einen Betrag unter der Berufungsgrenze festsetzt, während der für diese Fälle im Gerichtsbezirk ansonsten angesetzte Streitwert selten unter 1.000 € liegt. Das ist natürlich keine Rechtsbeugung, aber es kann die Besorgnis der Befangenheit eines Richters begründen.
Vor einigen Jahren haben wir uns mit der Unfähigkeit mancher Richter, sich persönlicher Auffassungen zur Rechtslage zu enthalten, in einer kleinen Glosse befasst:
Der Antragsteller hatte den Antrag selbst erstellt
So konnte einem der Antragsteller fast leid tun. Der offenbar erst Anfang 20-jährige hatte einen handwerklich durchaus brauchbaren Antrag auf Erlass einer einstweilige Verfügung formuliert und stand in der mündlichen Verhandlung ohne rechtsanwaltliche Vertretung (er hatte nur seine Mutter mitgebracht) einem ihm offensichtlich nicht wohlgesonnenen und herablassend agierenden Richter und einer professionell vertretenen Gegenseite gegenüber.
Mutter kommt nicht mehr mit
Der vom uns ans Amtsgericht Charlottenburg entsandte Terminsvertreter teilte mit, dass weitere juristische Schritte des Gegners unabhängig davon, dass eine Berufung wohl ohnehin nicht in Betracht kommt, unwahrscheinlich seien. Er habe nach der Wahrnehmung des Termins ein Gespräch zwischen Mutter und Sohn mit angehört: Die Mutter hatte danach offenbar die Rolle des juristischen Beistands für ihren Sohn das letzte Mal wahrgenommen. Das nächste Mal kommt sie nicht mehr mit.