EuGH: Funktionalität eines Computerprogramms ist nicht urheberrechtlich geschützt

Der EuGH hat sich in einer jüngsten Entscheidung (EugH, Urteil vom 2.5.2012 – Rs. C-406/10) mit der Frage des urheberrechtlichen Schutzes von Computer-Software beschäftigt.

Hauptverfahren vor dem englischen High Court

Der EuGH wurde auf eine ausführlichst begründetete Vorlagefrage der altehrwürdigen Chancery Divison des englischen High Court tätig ([2010] EWHC 1829 (Ch)). Die Entscheidung des High Court war insbesondere daher bemerkenswert, da das Gericht feststellte, dass es zwar nicht zur Vorlage zum EuGH verpflichtet ist (Art. 267 AEUV), die Frage aber spätestens vom Berufungsgericht dem EuGH vorgelegt werden würde. Daher würde eine Weigerung, die Frage bereits jetzt dem EuGH vorzulegen, das Verfahren nur unnötig in die Länge ziehen. Diese Erkenntnis ist nicht bei jedem deutschen Instanzgericht vorhanden.

Vorlagefrage

In der Sache ging es um die Auslegung der Richtlinie EWG/91/250, welche in Deutschland in den §§ 69a ff. UrhG umgesetzt wurden. Die Vorlagefrage lautete:

Ist Art. 1 Abs. 2 der Richtlinie 91/250 im Hinblick auf ein Computerprogramm (im Folgenden: Programm 1), das als literarisches Werk urheberrechtlich geschützt ist, dahin auszulegen, dass es keine Verletzung des Urheberrechts an dem Programm 1 darstellt, wenn ein Konkurrent des Rechtsinhabers, der keinen Zugang zu dem Quellcode des Programms 1 hat, entweder direkt oder durch ein Verfahren wie die Dekompilierung des Objektcodes ein anderes Programm (im Folgenden: Programm 2) erstellt, das die Funktionen des Programms 1 vervielfältigt?

Es ging also um die Frage, ob die Funktion eines Computerprogramms Schutz genießt oder der Schutz sich allein auf die dem Computerprogramm zugrundeliegende Beschreibung des Programms in einer Programmiersprache erstreckt.

Entscheidung des EuGH

Der EuGH stellte dazu fest:

Auf der Grundlage dieser Erwägungen entscheidet der Gerichtshof, dass  weder die Funktionalität eines Computerprogramms noch die Programmiersprache oder das Dateiformat, die im Rahmen eines Computerprogramms verwendet werden, um bestimmte Funktionen des Programms zu nutzen, eine Ausdrucksform darstellen. Daher genießen sie keinen urheberrechtlichen Schutz.

Anders stelle sich die Sachlage dar, wenn ein Computerprogramm Funktionalität eines anderen Programms unter Benutzung des Originalquellcodes des anderen Programms nachbaue.

EuGH möchte technische Entwicklung begünstigen

Der EuGH fand starke Worte zur Begründung seiner Position, indem er ausführte, dass „ließe man […] zu, dass die Funktionalität eines Computerprogramms urheberrechtlich geschützt wird, man zum Schaden des technischen Fortschritts und der industriellen Entwicklung die Möglichkeit eröffnen [würde], Ideen zu monopolisieren.“

Zweistufiger Schutz von Software: Urheberrecht und Patentrecht

Diese Begründung lässt zwar zunächst außer Acht, dass die Funktionalität der Software gegebenenfalls durch Patente geschützt werden kann. Andererseits ist der Patentschutz anders als der Urheberschutz aber durch ein Registrierungsverfahren formalisiert, gebührenpflichtig und vor allem Dingen von wesentlich kürzerer zeitlicher Länge, nämlich im Regelfall zwanzig Jahre (§ 16 PatG). Im Ergebnis ergibt sich somit ein Schutz von Software in zwei Stufen: Die Funktionalität und damit die „zündende Idee“ ist kurzzeitig durch das Patent abgesichert, die Umsetzung dieser Idee in der Programmiersprache hingegen sofort und auf lange Zeit durch das Urheberrecht.

Überraschenderweise keine Anwendbarkeit von Europarecht vor amerikanischen Gerichten

Als Kuriosum nebenbei sei bemerkt, dass die EuGH-Entscheidung von Googles Anwälten in der weltweiten Auseinandersetzung aller namhaften Computer-/Mobilfunk-Unternehmen gegeneinander, den sogenannten „Patent Wars“ (wir streiften diese Auseinandersetzung bereits in einem früheren Beitrag), auch schon innerhalb eines Tages in einem amerikanischen Patentverfahren verwertet wurde, obwohl ersichtlich nicht einschlägig. (JJB)

(Bild: © michelangelus – Fotolia.com)

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