Das OLG Hamburg verhandelte am 27. Februar erneut über die Frage, ob das allseits bekannte und mit hoher Brisanz geladene „Schmähgedicht“ von Comedian Jan Böhmermann über den türkischen Präsidenten Erdogan weitestgehend verboten bleiben soll.
Das Urteil wird am 15. Mai 2018 verkündet.
Ursprung der Affäre im März 2016
Zur Auffrischung der Entstehungshistorie: Am 31.03.2016 verlas Böhmermann in seiner Sendung „Neo Magazin Royale“ bei ZDF Neo die berüchtigten Zeilen – ein erzürnter türkischer Staatspräsident beantragte daraufhin eine einstweilige Verfügung vor dem Hamburger Landgericht, hatte der Moderator diesen dabei doch unter anderem als „sackdoof, feige und verklemmt“ bezeichnet, sowie ihn mit Kinderpornografie und Sodomie in Verbindung gebracht.
Zunächst gaben die Hamburger Richter im Zuge eines Eilverfahrens dem Staatspräsidenten weitestgehend Recht (LG Hamburg, 17.05.2016, Az. 324 O 255/16): So handele es sich bei dem Text zwar insgesamt um Satire, schmähende und ehrverletzende Aussagen seien dennoch unzulässig – der überwiegende Teil des Gedichtes stelle eben solche dar, so das Landgericht. Im Zuge einer einstweiligen Verfügung wurde Böhmermann die Wiederholung eben dieser Zeilen dementsprechend untersagt.
Auch im Hauptverfahren bestätigten die Richter diese Entscheidung (LG Hamburg, 10.02.2017, Az. 324 O 402/16) – wir berichteten:
Gegen diese Entscheidung legten sowohl Erdogan als auch Böhmermann Berufung ein: Der türkische Politiker wollte das Gedicht in seiner Gesamtheit verbieten lassen, der Late-Night Moderator pochte auf eine großzügigere Auslegung der Kunstfreiheit sowie eine differenzierte Analyse des Textes als Gesamtwerk – auch hierzu berichteten wir bereits:
Die Kernfrage lautet: Schmähgedicht oder zulässige Satire?
Das Oberlandesgericht Hamburg teilte Inder mündlichen Verhandlung durch den Vorsitzenden Richter Buske seine Auffassung mit, dass es sich bei dem Gedicht zunächst grundsätzlich um Satire handele. Diese Satirefreiheit kenne dennoch Grenzen, spätestens bei Verletzungen der Menschenwürde seien diese erreicht. Laut Aussage der Richter habe man darüber zu entscheiden, ob das Gedicht als Gesamtwerk zu sehen sei, dementsprechend also zur Bewertung die Umstände der Veröffentlichung miteinbezogen werden müssten – oder aber alternativ die Maßstäbe der Satirefreiheit auf einzelne Passagen oder Zeilen anzuwenden seien.
Ferner könne dem Gedicht nicht entnommen werden, dass hier tatsächlich auf die Person Erdogans abgezielt werde – vielmehr sei „sonnenklar“, dass Erdogan hier nicht in aller Ernsthaftigkeit gemeint sein könne. Dennoch teilte Buske mit, dass die Entscheidung der Vorinstanz in den Vorberatungen einhellig als nachvollziehbar und sorgfältig erarbeitet erachtet worden sei.
Böhmermann-Anwalt contra OLG Hamburg
Auf die Aussage, die Zeilen zielten nicht eindeutig auf die Person des Präsidenten ab, stürzte sich im Anschluss an die Mitteilung Böhmermanns Anwalt Christian Schertz: Wenn Erdogan nicht persönlich angegriffen werde, könne es sich faktisch auch nicht um Schmähkritik handeln. Denn diese setze immer die unsachliche, direkte und persönliche Diffamierung des Gegenparts voraus – für eine Schmähung sei stets ein realer Bezug erforderlich, an einem solchen mangele es ganz offensichtlich, Persönlichkeitsrechte des Präsidenten könnten demnach nicht verletzt worden sein.
Zur Kontroverse Schmähkritik contra zulässige Satire hatten wir bereits im April 2016 berichtet:
Besagte Gesamtbetrachtung, ergo die Bewertung des Gedichtes im Rahmen der „Einbettung“ in die Fernsehshow, sei laut Ansicht des Anwalts bei der Entscheidungsfindung in der Vorinstanz viel zu sehr vernachlässigt worden – die Zeilen seien im Rahmen einer Satiresendung dargeboten worden, was eindeutig gegen den Charakter einer Schmähung spreche.
Dem hielt Mustafa Kaplan, Anwalt des türkischen Staatspräsidenten, entgegen, dass der durchschnittliche Zuschauer eine derartige Differenzierung überwiegend nicht vornehme – es verbleibe der Eindruck, Erdogan solle primär beleidigt werden. Darüber hinaus sei Rassismus und Menschenverachtung stets widerwärtig und verabscheuungswürdig, und könne daher auch nie mit der Kunst- oder Meinungsfreiheit gerechtfertigt werden.
Böhmermann selber äußerte sich primär zu der Frage, inwiefern Satire tatsächlich vom Zuschauer auch als solche verstanden werden müsse: Satire diene dabei primär der Aufklärung, ohne einen Machtanspruch zu verwirklichen – ihr tieferer Sinn müsse dabei nicht von jedermann gleichermaßen erkennbar und interpretierbar sein.
Fazit: Entscheidung des Oberlandesgericht noch nicht absehbar
Die Aussagen im Anschluss an die Verhandlungen sprechen durchaus für eine brisante Entscheidung im Mai. Offenkundig ist man sich über eine endgültige Bewertung aktuell noch nicht im Klaren: Zwar begrüßten die Richter am OLG die Entscheidung der Vorinstanz. Ein persönlicher, ernsthafter Angriff gegen Erdogan sei aber aufgrund der offenkundigen Überzogenheit der Zeilen wiederum nicht anzunehmen. Ob und inwieweit das Geschriebene als Gesamtwerk, unter Einbezug der Art und Weise des Vortrags und Ausstrahlung betrachtet werden wird, ist derweil auch noch offen.