Durfte ein Pressebericht einen Tweet zitieren, der ein unverpixeltes Foto eines Bundespolizisten mit „merkwürdigen“ Aufnähern am Rande eines Neonazifestivals zeigt? Ja, hat nun der Bundesgerichtshof auf eine Klage des betreffenden Bundespolizisten hin entschieden (BGH, Urteil vom 08.11.2022, Az. VI ZR 22/21).
Der Kläger in dem Verfahren, ein Bundespolizist, unterstützte die Landespolizei Sachsen bei einem Einsatz bei der Veranstaltung „Rechts rockt nicht!“ im sächsischen Ostritz. Die Veranstaltung richtete sich gegen das gleichzeitig in Ostritz stattfindende, als „Schild- und Schwertfestival“ („SS-Festival“) bezeichnete Neonazifestival.
Aufnäher auf Polizeiuniform bei Neonazifestival
Anschließend berichtete bild.de und zitierte in einem Artikel einen Tweet der Initiative „Rechts rockt nicht!“. Diese, so der Artikel, habe das Foto eines Bundespolizisten, der zur Absicherung des Neonazi-Festivals in Ostritz (Sachsen) eingesetzt gewesen sei, gepostet. Der Artikel zeigte einen Tweet der Initiative mit einem unverpixelten Foto des Bundespolizisten. Der trägt auf dem Foto eine Uniform mit der Aufschrift „POLIZEI“ in Brusthöhe und darunter zwei Aufnäher. Einer davon zeigt ein Schwert mit Schild und Flügeln. Der andere zeigt ein griechisches Omega mit Spartanerhelm und gekreuzten Schwertern, darunter steht übersetzt: „Komm und hol sie dir“. Unter dem Bild des Klägers hieß es in dem Tweet: „Was sollen denn diese Abzeichen bedeuten @PolizeiSachsen @bpol§pir? Sind diese offiziell oder mal wieder ein Einzelfall?“ Am Ende des Tweets stand: „1.454 Nutzer sprechen darüber“.
Keine namentliche Nennung
Der Bundespolizist wurde nicht namentlich genannt. Das Foto zeige den Oberkörper des Bundespolizisten mit unverpixeltem und halb ins Profil gedrehtem Kopf ohne Kopfbedeckung und mit Sonnenbrille, stellten die Richter im Urteil fest. Sein Gesicht sei Ausnahme der Augen gut zu erkennen. Aufgrund des portraitartigen Charakters des Bildes könne er im Kollegen- und Bekanntenkreis identifiziert werden. Der Artikel mit der Überschrift „Aufregung um Polizisten-Abzeichen bei Neonazi-Treffen“ erschien nahezu wortgleich auch auf bz-berlin.de.
Informationswert der Veröffentlichung
Der BGH urteilte, dass die identifizierende Berichterstattung zulässig war. Der bild.de-Berichterstattung komme „erheblicher Informationswert“ zu. Sie werfe im Gesamtzusammenhang die offene Frage auf, ob der Kläger mit der rechten Szene sympathisiere. Darüber hinaus gehe der Bericht der „wichtigen Frage nach möglichen Gründen für Sympathien von Bundespolizisten mit rechtsnationalen Parteien nach“. Die Veröffentlichung teile die Einschätzung eines Vertreters der Gewerkschaft der Polizei mit, wonach viele Bundespolizisten mit rechtsnationalen Parteien sympathisierten und nenne mögliche Ursachen dafür. Als ein Fall, der das zu bestätigen scheine, werde der Kläger genannt, der bei einem Einsatz anlässlich eines Neonazifestivals „merkwürdige“ Aufnäher getragen habe.
Öffentliches Interesse gegeben
Die in dem Artikel aufgeworfenen Fragen seien von großem gesellschaftlichen Interesse und Gegenstand öffentlicher Diskussionen. Einen Beleg dafür sieht der BGH darin, dass der Fall des Klägers eine Diskussion auf Twitter auslöste, welche der Pressebericht aufgriff.
Elemente in der rechten Szene verwendet
Polizisten müssten nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts nach außen eine innere Haltung ausdrücken, die durch Neutralität, Distanz und Objektivität geprägt ist. Wenn bei einem dienstlichen Einsatz aufgrund von Symbolen, die an der Uniform getragen werden, Zweifel an dieser Haltung aufträten, liege eine Auseinandersetzung mit der Bedeutung dieser Symbole und einer dadurch womöglich zum Ausdruck kommenden Haltung im gesellschaftlichen Interesse. Der Bundespolizist habe nach den Feststellungen des Berufungsgerichts eingeräumt, dass einzelne auf den Aufnähern zu erkennende Elemente in der rechten Szene Verwendung fänden.
Kein Anspruch auf Unterlassung
Wenn der Kläger, der anlässlich eines Neonazifestivals mit dem Namen „Schild und Schwert“ eingesetzt worden sei, Aufnäher trage, die Schwert und Schild darstellten, liege für den unbefangenen Betrachter die Vermutung nahe, dass er damit seine Sympathie für die Veranstaltung zum Ausdruck bringe. Dabei komme es allein auf den äußeren Anschein und nicht auf das tatsächlich vom Kläger Gewollte an.
Der Kläger habe keinen Anspruch auf Unterlassung der Veröffentlichung seines Bildnisses im Kontext der Berichterstattungen der Beklagten nach § 1004 Abs. 1 S. 2 analog, § 823 Abs. 1 und 2 Bürgerliches Gesetzbuch i. V. m. §§ 22, 23 Kunsturhebergesetz (KUG), Art. 2 Abs. 1, Art. 1 Abs. 1 Grundgesetz. Durch die Verbreitung des Bildnisses werde kein berechtigtes Interesse des Klägers nach § 23 Abs. 2 Kunsturhebergesetz verletzt.
Abbildungen von Polizisten sorgen immer wieder für Rechtsstreit. Gerichte untersagen identifizierende Berichterstattung, also ohne Verpixelung, bei Routineeinsätzen ohne Anlass.