Die grüne österreichische Politikerin Glawischnig-Piesczek hatte bereits 2016 vor dem Handelsgericht Wien eine einstwillige Anordnung gegen Facebook Ireland erzielt, die Facebook verpflichtete, ihre Person diffamierende Kommentare unsichtbar zu machen.
Die Reichweite der Anordnung ging nicht über Österreich hinaus. Zuvor hatte sich die Klägerin an Facebook gewendet mit dem Ansinnen, die betreffenden Kommentare zu löschen. Facebook kam dem nicht nach. Dabei handelte es sich um beleidigende Nutzerkommentare, die die Spitzenpolitikerin u.a. als „miese Volksverräterin“ bezeichneten. Sie betrafen einen weiter geteilten Artikel eines Online-Nachtrichten Magazins zu der Grünen-Politik. Das Verfahren landete vor dem Obersten Gerichtshof als Revisionsinstanz. Dieser legte aufgrund von Zweifeln an der Auslegung des EU-Rechts dem EuGH in Luxemburg folgende Fragen vor:
Kann Facebook durch ein mitgliedstaatliches Gericht verpflichtet sein, sog. „Hasskommentare“ zu löschen?
Gälte eine Löschpflicht auch bei nur sinngleicher Wiedergabe des streitigen Nutzerpostings und gegebenenfalls auch über die Grenzen der einzelnen Mitgliedstaaten hinaus?
Das Urteil des EuGH
Der EuGH befand (Eva Glawischnig-Piesczek gegen Facebook Ireland Limited, EuGH 03.10.2019, C-18/18), dass Facebook und die ihm zugehörigen Nachrichtendienste (WhatsApp oder Instagram) zwar nicht verpflichtet sind, aktiv nach Hasskommentaren zu suchen und Nutzer-Posts zu überwachen. Das Gericht wolle die Freiheit der Meinungsäußerung durch die Auferlegung weiterreichender Kontrollpflichten nicht einengen. Nur beim Vorliegen von gerichtlichen Anweisungen hat der Dienstanbieter zur Tat zu schreiten. Aus Datenschutzgründen darf Facebook nicht etwa durch Personaleinsatz Inhalte autonom beurteilen, sondern muss sich automatisierter Filtersysteme bedienen, um die relevanten Inhalte aufzuspüren.
Andererseits aber steht Facebook in der Pflicht, Inhalte der betreffenden Nutzer sowie diese reproduzierende Beiträge oder gar bei anderen Nutzern gespeicherte Inhalte zu entfernen. In Anbetracht der rasanten Verbreitungsgeschwindigkeit von Inhalten in sozialen Medien soll die Löschpflicht international gelten und die wortgetreue wie die bloß sinngleiche Wiedergabe umfassen.
Rezeption des Urteils durch Facebook
Facebook kritisierte das Urteil als potenzielle Gefahr für die Meinungsfreiheit. Toby Parlett, ein Konzernsprecher, warnte in einer öffentlichen Stellungnahme indirekt vor einem sog. „chilling effect“.
Gruppierungen für digitale Rechte
Die Entscheidung erntete Kritik auch von Gruppierungen für digitale Menschenrechte, die ebenfalls Gefahren für die freie Meinungsäußerung absehen. Eliška Pírková, europäische politische Analytikerin bei der Organisation für digitale Rechte „Access now“, warnte vor automatisierten Filtersystemen, die nur auf die wörtliche Affinität der Postings abstellen und diese dann ohne weiteres löschen. Diese Mechanismen können zwischen Beherzigung eines Kommentars und anderweitig motivierte Verbreitung wie Kritik, Ironie, Satire o.Ä. nicht unterscheiden. Den mit der undifferenzierten Behandlung von Beiträgen einhergehenden Gefahren kann nicht leicht entgegengewirkt werden, zumindest solange der Ausfilterungsfilterungsprozess ausschließlich über IT-Systeme abgewickelt werden soll.
Die legislative Lage
Art. 15 der Richtlinie über den elektronischen Geschäftsverkehr (E-Commerce Richtlinie) besagt, dass Dienstanbieter keine allgemeine Überwachungspflicht in Bezug auf Beitragsinhalte trifft: „Die Mitgliedstaaten erlegen Anbietern von Diensten im Sinne der Artikel 12, 13 und 14 keine allgemeine Verpflichtung auf, die von ihnen übermittelten oder gespeicherten Informationen zu überwachen oder aktiv nach Umständen zu forschen, die auf eine rechtswidrige Tätigkeit hinweisen“. Dennoch war trotz der gesetzgeberischen Vorlagen bis zum Urteil unklar, ob die Dienstanbieter auch der Anforderung eines Gerichts nachkommen mussten oder nicht.
In Deutschland ist am 01.01.2018 das Netzwerkdurchsetzungsgesetz (komplett: Gesetz zur Verbesserung der Rechtsdurchsetzung in sozialen Netzwerken) in Kraft getreten. Die Anbieter sozialer Netzwerke, darunter Twitter, Facebook und YouTube, sind hiernach verpflichtet, „offensichtlich rechtswidrige Inhalte“ innerhalb von 24 Stunden nach Eingang einer Nutzerbeschwerde zu entfernen oder zu sperren.
Auch ist bereits die verarbeitete Richtlinie über Audiovisuelle Mediendienste in Kraft getreten. Diese verpflichtet Videoplattformen unter Umständen auch, die Weiterverbreitung von gewaltaufstachelnden Inhalten durch „geeignete Maßnahmen“ zu unterdrücken. Die deutsche Rechtslage muss bis spätestens September 2020 an die Richtlinienvorgaben angepasst werden.
Was das Urteil für die Dienstbetreiber bedeutet
Trotz der Verneinung einer aktiven Nachforschungspflicht zieht das Urteil spürbare Verhaltenspflichten für Facebook nach sich. Neue effektive Softwares mit entsprechenden Filterfunktionen müssen eingesetzt werden, und dafür sind Investitionsmaßnahmen im großen Stil erforderlich.