Darf ein Arbeitgeber ein Kopfgeld auf Mitarbeiter aussetzen, um den anonymen Verfasser eines Kummerkastenbriefs ausfindig zu machen? Der Fall, der wie ein Groschenroman aus dem wilden Westen anmutet, landete vor dem Arbeitsgericht Braunschweig.
Die niedersächsische Privatbrauerei Wolters betreibt betriebsintern einen Kummerkasten. Dieser soll den Mitarbeitern die Möglichkeit geben, anonym Kritik zu äußern. So müssen die Verfasser der Kummerkastenbriefe nicht befürchten, dass ihnen ihre Kritik zum Nachteil gereicht. Das Unternehmen verspricht sich von dem Betrieb des Kummerkastens, dass Missstände aufgedeckt werden können, um die betrieblichen Abläufe im Sinne aller Beteiligten zu verbessern.
Die Kummerzettel werden bei Betriebsversammlungen verlesen, wobei die Mitarbeiter grundsätzlich davon ausgehen können, dass ihre Kritik vertraulich behandelt wird. Doch nach Ereignissen des vergangenen Dezembers wollte die Geschäftsführung der Vertraulichkeit ein Ende bereiten.
Wanted – Identifiziert oder Identifizierbar
Kurz vor der betriebsinternen Weihnachtsfeier befanden sich mehrere Briefe in dem besagten Kummerkasten, die „es in sich hatten“.Dort wurden einige Kollegen und Vorgesetzten mit vollem Namen genannt und als „überflüssig“ und „ohne Ahnung“ bezeichnet. Wie üblich, wurden auch die diese Briefe seitens des Betriebsrats während der Weihnachtsfeier verlesen.
Die öffentlichen Verunglimpfungen hatten Folgen. Die Geschäftsführung beurteilte die gegenständlichen Aussagen als „äußerst feige und unkollegial“. Die Verantwortlichen sollten Stellung beziehen, um den Vorfall aufzuklären. Dass die Verantwortlichen sich nicht freiwillig meldeten, leuchtet in Anbetracht möglicher arbeitsrechtlicher Konsequenzen, wie einer Kündigung, ein.
Zwei der Geschäftsführer lobten sodann eine Belohnung von je 1.000 € für denjenigen aus, der mit seinen Hinweisen zur Ermittlung der Verantwortlichen beitragen könne.
Der Betriebsrat: Ein „Unglücksrabe“
Der Betriebsrat, der die Briefe noch selbst vorgetragen hatte und sich aus diesem Grund selbst als „Unglücksrabe“ bezeichnete, ging gegen das Kopfgeld im Rahmen eines Eilverfahrens gerichtlich vor. Er selber sei durch das Kopfgeld „in seiner Arbeit beeinträchtigt“. Der Antrag des Betriebsrats wurde auf § 78 BetrVG gestützt. Diese Norm garantiert, dass der Betriebsrat nicht in seiner Tätigkeit gestört oder behindert wird.
Die Geschäftsführung argumentierte, dass es ihr lediglich darum gegangen sei, „den Betriebsfrieden wieder herzustellen“. Keinesfalls sollte der Belegschaft oder dem Betriebsrat ein „Maulkorb“ angelegt werden.
Einigung vor Gericht
In der mündlichen Verhandlung vor Gericht kam es schließlich zu einer Einigung zwischen den Parteien. Das Kopfgeld wurde zurückgezogen und der Betriebsrat versicherte, den Kummerkasten 48 Stunden vor einer Betriebsversammlung zu schließen, um künftig ausreichend Zeit zu haben, sich mit der Kritik auseinanderzusetzen und zu entscheiden, wie damit umgegangen werde.
Der Geschäftsführung wurde außerdem auferlegt, gegenüber de betroffenen Mitarbeitern einzuräumen, dass diesen „ein unentschuldbares Unrecht widerfahren“ sei. Beide Parteien hoffen nun, dass der Betriebsfrieden rasch wieder einkehrt.
Recht auf Anonymität?
Der zwischen den Parteien geschlossene Vergleich hinderte das Gericht an einer Entscheidung in der Sache. Wie aber hätte eine solche ausfallen müssen?
Dass Briefe eines Kummerkastens vertraulich behandelt werden sollten, ist plausibel. Doch kann es ein Recht auf Anonymität für Beschwerdeführer geben? Zur Beantwortung dieser Frage muss Sinn und Zweck eines Kummerkastens berücksichtigt werden. Dieser liegt darin, konstruktive Kritik zum Anlass zu nehmen, betriebliche Vorgänge im Sinne aller Beteiligten zu verbessern. Kritik zu äußern, umso leichter, je weniger der äußernde Konsequenzen befürchten muss.
Wird der Kummerkasten nun aber genutzt, um Kollegen zu beleidigen, ist der Sinn und Zweck des Kummerkastens verfehlt. In solchen Fällen kann der gesamte Betrieb kein Interesse an der Anonymität der Äußernden haben.
Recht auf Selbstjustiz?
Selbst wenn das Gericht ein Recht auf Anonymität verneint hätte, hätte es sich die Frage stellen müssen, ob die Geschäftsleitung eines Betriebs tatsächlich auch das Recht hat, durch die Aussetzung eines Kopfgelds zu versuchen, die Identität der Äußernden herauszufinden. Hier hätten die schwere der Verletzung des Persönlichkeitsrechts der Beschimpften und das Bedürfnis, die Fälle aufzuklären einerseits mit dem Interesse der Belegschaft, nicht durch „Kopfgelder“ unter Druck gesetzt zu werden andererseits, miteinander abgewogen werden müssen.
Diese Abwägung wäre höchstwahrscheinlich zulasten der Geschäftsführung ausgefallen. Denn zur Sorgfaltspflicht eines Arbeitgebers gehört es unter anderem auch, das Betriebsklima nicht unnötig durch „Wildwest“-Methoden zu strapazieren.