Einem aktuellen Urteil des OLG München nach kann das heimliche Lesen fremder E-Mails zu hohen Geldentschädigungen führen.
Nach Ansicht der Richter liegt hierin eine schwerwiegende Persönlichkeitsrechtsverletzung.
Im konkreten Fall wurde so eine Strafe von 5.000 Euro verhängt.
Anwalt auf Abwegen
Als Ausgangspunkt des Rechtsstreits hatte sich der Inhaber einer Rechtsanwaltskanzlei Zugang zum E-Mail-Account eines Geschäftspartners verschafft, um Informationen im Hinblick auf anstehende gerichtliche Verhandlungen mit diesem zu erlangen. In den Jahren 2013 und 2014 konnte er so mehrere geschäftliche Nachrichten mitverfolgen und sich Einblick in vertrauliches Material verschaffen. Auf diese Weise hatte der Beklagte auch Zugriff auf diverse Reisedaten des Geschäftspartners. Als fast schon spektakulärer Höhepunkt wurde der Betroffene nach Hinweis des Anwalts an die Polizei am Flughafen mitsamt Gepäck durchsucht. Gegen das Ausspionieren seiner elektronischen Nachrichten erhob der Unternehmer in der Folge nun Klage vor dem Landgericht München.
Schwerwiegende Spionage stützt Schadensersatz
Mit Erfolg: Sowohl das LG München als auch das Oberlandesgericht als Berufungsinstanz sahen in der Überwachung eine schwerwiegende Persönlichkeitsrechtsverletzung, und gaben dem Kläger Recht (LG München, Urteil v. 4.10.2018, Az. 29 O 6155/16; OLG München, Urteil v. 4.12.2019, Az. 15 U 3688/18).
Damit im Rahmen von Persönlichkeitsrechtsverletzungen tatsächlich eine Geldentschädigung zugesprochen wird, muss es sich um solch einen schwerwiegenden Eingriff handeln. Wann das der Fall ist, ist je nach den individuellen Umständen des Einzelfalls zu beurteilen. Grundsätzlich wird bei der Bewertung der Schwere des Eingriffs die sogenannte Sphärentheorie angewandt. Demnach sind Beeinträchtigungen auf der „mildesten“ Stufe, der Sozialsphäre, im Falle eines schutzwürdigen und berechtigten Interesses auf Seiten des Eingreifenden zulässig. Dieser Sphäre wird das öffentliche Leben inklusive dem erweiterten Freundes- und Bekanntenkreis der Person zugeordnet. Auf der nächsten, stärker geschützten Ebene steht die Privatsphäre. Hierzu gehört der engste Freundes- und Familienkreis, in dem sich die betreffende Person bewegt. Eingriffe in diese sind nur unter strengen Anforderungen zulässig. Die letzte Stufe bildet die Intimsphäre, welche den unantastbaren Kern des Persönlichkeitsrechts verkörpert. Als alltägliches Beispiel können hier Einträge in Tagebücher genannt werden. Eingriffe auf dieser Ebene sind per se immer unzulässig und als schwerwiegend zu qualifizieren.
In der Urteilsbegründung hieß es hierzu, dass die aus den E-Mails gewonnenen Informationen zwar dem geschäftlichen Bereich des Geschädigten zuzuordnen seien, weswegen die Intimsphäre nicht betroffen sei. Dennoch seien diese aufgrund der Relevanz für das Unternehmen und der damit verbundenen Sensibilität Teil der Privatsphäre. Von einer besonders schweren Beeinträchtigung sei man ausgegangen, da der Geschädigte einerseits nachhaltig das Vertrauen in die Sicherheit seiner persönlichen Daten verloren habe. Ausserdem habe der beklagte Anwalt bewusst Sicherheitsvorkehrungen umgangen, da er im Vorfeld der Spionage über Dritte das Passwort des Unternehmers erlangt hatte. In diesem Zusammenhang komme es auch nicht darauf an, wieviele E-Mails tatsächlich gelesen wurden. Die abstrakte Möglichkeit des Eingriffs sei bereits als Beeinträchtigung zu werten.
Bei der Festlegung der Höhe einer Geldentschädigung im Falle von Persönlichkeitsverletzungen werden im Allgemeinen folgende, vom Bundesgerichtshof bereits vor geraumer Zeit aufgestellte Prinzipien angewandt:
Bei der Bemessung der Geldentschädigung stellen der Gesichtspunkt der Genugtuung des Opfers, der Präventionsgedanke und die Intensität der Persönlichkeitsrechtsverletzung Bemessungsfaktoren dar, die sich je nach Lage des Falles unterschiedlich auswirken können (BGH, Urteil v. 5.10.2004, Az. VI ZR 255/03). Einer Darlegung physischer oder psychischer Schmerzen durch den Verletzten bedarf es nicht. Der Geldentschädigungsanspruch aus § 823 BGB in Verbindung mit Art. 2 Abs. 1, Art. 1 Abs. 1 GG soll eine Verletzung des allgemeinen Persönlichkeitsrechts ausgleichen. Dem allgemeinen Persönlichkeitsrecht kommt insoweit ein eigener ideeller Wert aus sich heraus zu (BGH, Urteil vom 1.12.1999, Az. I ZR 49/97), der unabhängig von einer körperlichen oder psychischen Betroffenheit herabgesetzt werden kann, z.B. durch beleidigende Äußerungen.
Da der Schädiger im vorliegenden Fall die Informationen eigensüchtig ausgenutzt, und den Kläger außerdem in die bloßstellende Situation der Pfändung seines Gepäcks gebracht habe, sei die Höhe von 5.000 Euro angemessen. Darüber hinaus wurde das parallel gegen den Anwalt laufende Strafverfahren gegen den Anwalt eingestellt, weswegen der Unternehmer keine anderweitige Genugtuung erfahren könne. Schließlich rechtfertige auch der lange Zeitraum, über den der Kläger überwacht wurde, den Betrag.
Fazit
Da die Verstöße gegen das Persönlichkeitsrecht durch den Anwalt noch vor Inkrafttreten der Datenschutzgrundverordnung begangen wurden, war diese im konkreten Fall nicht anwendbar und damit auch nicht Grundlage des Urteils aus München. Andernfalls wäre hier wohl ein Schadensersatz aus Art. 82 DSGVO herzuleiten gewesen. So heißt es in Absatz 1:
(1) Jede Person, der wegen eines Verstoßes gegen diese Verordnung ein materieller oder immaterieller Schaden entstanden ist, hat Anspruch auf Schadenersatz gegen den Verantwortlichen oder gegen den Auftragsverarbeiter.
Hinsichtlich der Höhe ist auch bei Anwendung der DSGVO je nach individuellem Einzelfall zu entscheiden. Da dann die Erwägungen die gleichen gewesen wären, wäre vorraussichtlich auch eine ähnliche Geldsumme festgesetzt worden. Das Urteil steht demnach im Einklang mit der aktuellen Rechtslage.