Ein Ex-Fußballnationalspieler steht unter dem Verdacht der Verbreitung kinderpornographischen Materials. Mittlerweile steht fest, dass es die Bild-Zeitung war, die die Hamburger Polizei von dem Verdacht in Kenntnis setzte, um daraufhin die Ermittlungen aufzunehmen.
Der justizielle Vorfall entfacht erneut den Disput, wie weit die Presse in solchen Fällen gehen darf.
Die namentliche Bekanntmachung des Falles im Rahmen der Berichterstattung wirft nicht nur Fragen der journalistischen Berufsmoral auf, sondern auch rechtlich relevante Fragestellungen. Wie in den meisten gesellschaftspolitischen Themen, so auch hier, lässt sich die intuitive Empörung des Durchschnittsrezipienten aufgrund der Titelseite der Bild in juristische Normen abstrahieren und übersetzen.
Was hat es mit der Verdachtsberichterstattung auf sich?
Die Gefährlichkeit der namentlichen Bekanntmachung von Verdachtstätern liegt in der damit verbundenen unumkehrbaren Reputationsvernichtung. Der betroffene Sportler ist nunmehr gesellschaftlich gebrandmarkt und weder eine Einstellung des Verfahrens gem. § 170 Abs. 2 StPO, die unzureichende Verdachtsgründe bedeuten würde, noch ein gerichtlicher Freispruch könnten seinen guten Ruf wiederherstellen.
Juristisches Stichwort ist hier die identifizierende Verdachtsberichterstattung und der BGH hat sich bereits in früheren Urteilen umfassenden dazu geäußert (vgl. nur BGH, Urteil v. 16.2.2016, Az. VI ZR 367/15). In verfassungsrechtlichen Vokabeln sind die widerstreitenden Rechtsgüter die Informationsfreiheit der Bürger und die Pressefreiheit einerseits und das allgemeine Persönlichkeitsrecht des Betroffenen andererseits. Der bekannteste Grundsatz des deutschen materiellen und prozessualen Strafrechts, die Unschuldsvermutung oder im Lateinischen das „in dubio pro reo“-Prinzip, entfaltet Auswirkungen auch im Verhältnis von Medien zum Betroffenen. Die strikte Beachtung der Unschuldsvermutung sieht ausdrücklich auch Ziffer 13 des Pressekodex vor, die wichtigste Sammlung publizistischer Grundsätze.
Die Verdachtsberichterstattung: Ein Überblick mit 5 Tipps für Blogger & Journalisten
Immer wieder bearbeiten wir Fälle unberechtigter Verdachtsberichterstattung. Was versteht man unter Verdachtsberichterstattung? Worauf müssen Blogger und Journalisten achten? Was für Folgen kann eine zulässige bzw. unzulässige Verdachtsberichterstattung haben?
Bei bloßem Anfangsverdacht ist Vorsicht geboten!
Besteht lediglich ein Anfangsverdacht, also die bloße Möglichkeit für das Vorliegen einer Straftat, muss sich die Presse möglichst zurückhalten. Dieses Gebot nimmt bei Verdichtung der Verdachtsstufe graduell ab, etwa bei dringender Annahme der Schuld. Dennoch gilt: Je schwerer der Vorwurf wiegt, desto gründlicher muss die Eigenrecherche der Presse sein. Dabei ist unserer Meinung nach nicht nur der rechtliche Strafrahmen, der vorliegend gem. § 184b StGB ein Höchstmaß von fünf Jahren betrüge, sondern auch die soziale Zusatzbestrafung und Anprangerungswirkung der Verurteilung zu berücksichtigen. Eine Verurteilung wegen Verbreitung von Kinderpornographie zieht unerbittliche Reputationsvernichtung nach sich.
Wie ist die Bild verfahren?
Zum Zeitpunkt der erstmaligen Berichterstattung über den Fußballspieler am 03.09.2019 durch die Bild stand als einzige Tatsache fest, dass eine Bekannte von ihm über sein WhatsApp-Konto kinderpornographische Bilder erhalten hatte. Zwar begründet eine solche Tatsache Anfangsverdacht, jedoch stellt sie mitnichten einen Grund zur dringenden Annahme der Schuld des Betroffenen dar. Allein die Auffindung solchen Materials und dessen Zuordnung zu einem Nutzer qualifiziert noch nicht die Möglichkeit der Tatbegehung als überwiegend wahrscheinlich, also fast sicher. Immer noch könnte es sich dabei um Falschbezichtigung handeln. Die Namensnennung erfordert dann vielmehr ein qualifiziertes Interesse der Öffentlichkeit an der Information. Ein solches lässt sich aber erst dann bejahen, wenn der Verdacht sich genügend erhärtet hat.
Was sagt die Hamburger Staatsanwaltschaft?
Die Hamburger Staatsanwaltschaft hat bisher noch keinen Haftbefehl gegen den Sportler erlassen, weil sie keine Flucht-, Wiederholungs- oder Verdunkelungsgefahr annimmt und vor allem den dringenden Tatverdacht nicht als begründet ansieht, siehe § 112 Abs. 2 StPO.
Abgesehen davon äußerte sich die Staatsanwaltschaft erstmals am 04.09.2019 (die Pressemitteilung wurde zwischenzeitlich gelöscht, siehe UPDATE vom 20.11.2019 unten), also einen Tag nach den Bild-Schlagzeilen. Unserer Auffassung nach hätte sich die Bild somit jedenfalls am 3.9.2019, also noch vor der Pressemitteilung angesichts dieser Umstände zurückhalten müssen, wie dies andere Medien wie die Süddeutsche Zeitung, Der Spiegel oder FOCUS getan haben.
Bereits aus diesen Gründen halten wir die identifizierende Berichterstattung für rechtswidrig.
Was der BGH davon hält
Dennoch stellt der BGH insgesamt mehrere und höhere Anforderungen an die Rechtmäßigkeit der identifizierenden Verdachtsberichterstattung. Diese sind: die Gelegenheit zur Stellungnahme des Betroffenen (1), ein hohes Informationsinteresse der Öffentlichkeit (2) und die Nichtvorverurteilung durch die Presse (3).
Tatsächlich fragte offenbar ein Bild-Reporter den Fußballer, was er zu den Vorwürfen gegen sich sage. Eine weiter konkretisierte Anfrage ließ sich seitens der Bild vermissen. Außerdem erscheint die überrumpelnde Konfrontierung mit den Vorwürfen im frühen Ermittlungsstadium ohnehin mehr als provisorische Formalien-Einhaltung und lässt nicht zwingend auf fundierte Eigenrecherche und Respektierung des Verhaltenskodex schließen.
Hätten wir nicht bereits zur Zulässigkeit der Berichterstattung Stellung bezogen, würden wir uns vielleicht fragen, ob das Informationsinteresse der Öffentlichkeit so hoch wäre, dass die Bild doch hätte berichten dürfen. Der Fußballer ist in diversen Bereichen sozial engagiert. Nach Bekanntmachung des Vorstands wird der Sportler seine Ämter bis zur finalen Aufklärung des Ermittlungsverfahrens ruhen lassen.“
Rechtfertigt die Prominenz der Person und deren soziales Engagement eine identifizierende mediale Auseinandersetzung mit dem gegen ihn gehegten Verdacht? Die Antwort ist nicht leicht zu finden und ist nach unserer Meinung unmittelbar mit dem letzten vom BGH aufgestellten Kriterium verwoben, nämlich mit der Nichtvorverurteilung durch die Presse. Je prominenter die Person und je relevanter die Vorwürfe zu derer sozialen und beruflichen Tätigkeit, desto leichter facht die öffentliche Kritik an, was eine jedenfalls gesellschaftliche Vorverurteilung nährt. Der berufliche Schaden ist schon seit dem 3.9. angerichtet und irreversibel.
Es ist nicht die erste Verletzung des Pressekodex durch die Bild
Auch in der Vergangenheit hat die Bild-Zeitung die Grundsätze der zulässigen Verdachtsberichterstattung missachtet. Im damaligen Fall bewahrheitete sich der Verdacht und somit war das kollektive Gerechtigkeitsgefühl retrospektiv nicht so spürbar betroffen. Noch ist aber im vorliegenden Fall alles offen. Kommt es gar nicht zur Erhebung der öffentlichen Klage oder wird der Fußballer freigesprochen, so wird es bei ihm trotz aller Schadensersatzgewährung und errungener Unterlassungserklärungen nie wieder gleich aussehen.
Kurzum: Die Zulässigkeit der identifizierenden Verdachtsberichterstattung soll sich primär anhand einer Folgenabwägung beimessen lassen. Je nachteiliger und tiefgreifender die Folgen für den Betroffenen im Fall des Nichtbewahrheitens der Vorwürfe, desto zurückhaltender soll die Presse verfahren. Vor allem das Abwarten der offiziellen Mitteilungen der Staatsanwaltschaft als Herrin des Vorverfahrens trägt zum respektvollen Umgang zweier der wohl „vier Gewalten“ miteinander bei. Nach diesen Grundsätzen halten wir die Berichterstattung der Bild für nicht rechtmäßig.
UPDATE 26.9.2019
Wie die Bild-Zeitung selbst (wieder mit Foto und unter Wiederholung der Vorwürfe, daher von hier kein Link dorthin) berichtet, hat das Landgericht Köln die Berichterstattung der Bild nun per einstweiliger Verfügung verboten. Man werde entschieden dagegen vorgehen.
Besonders „bizarr“ sei, dass BILD nun vom Kölner Landgericht verboten werde, über den Fall zu berichten, obwohl die Hamburger Staatsanwaltschaft selbst die Öffentlichkeit darüber informiert hatte. Nähere Details oder ein Aktenzeichen teilt die Bild nicht mit.
UPDATE 20.11.2019
Wir haben den Namen des Sportlers aus dem Artikel entfernt. Wir hatten uns nach sorgfältiger Prüfung mit Hinblick auf die Tatsache, dass die Staatsanwaltschaft Hamburg eine identifizierende Pressemitteilung herausgegeben hatte, zunächst dazu entschlossen, den Namen des Sportlers ebenfalls zu nennen.
Die rechtliche Vertretung des Sportlers hat uns nun gebeten, Identifizierung der Berichterstattung über den Fußballer zu unterlassen. Dieser Bitte sind wir nachgekommen und haben die namentlichen Erwähnungen des betreffenden Sportlers aus unserer Publikation entfernt. Dies insbesondere deswegen, weil wir nach nochmaliger Prüfung und Rücksprache mit der Staatsanwaltschaft Hamburg festgestellt haben, dass diese ihre Pressemitteilung nachträglich entfernt hat. Auch wenn wir uns nicht zu klassischen Journalisten zählen, wollen wir den journalistischen Standards, die wir bei anderen für unsere Mandanten häufig anmahnen, natürlich auch selbst gerecht werden und uns nicht an rechtsverletzender Berichterstattung beteiligen.
Der Wortlaut der uns auf unsere Nachfrage gegenüber abgegebenen Erklärung der Staatsanwaltschaft Hamburg lautet wie folgt:
Sehr geehrte Frau …,
die Entscheidung des Landgerichts Köln hat sich mit der Pressearbeit der Staatsanwaltschaft Hamburg nicht befasst und war für unsere Entscheidung, die hiesige Pressemitteilung von unserer Homepage zu nehmen, nicht relevant. Die identifizierende Verdachtsberichterstattung unterliegt einer permanenten Verhältnismäßigkeitsprüfung, ebenso wie die entsprechende Pressearbeit der Ermittlungsbehörden. Nach der Abgabe des Ermittlungsverfahrens an die Staatsanwaltschaft Düsseldorf ging die Pressehoheit in dieser Sache auf die übernehmende Behörde über. Da die Staatsanwaltschaft Hamburg mit dem Verfahren nicht mehr befasst war und den Verdachtsgrad gegen den Beschuldigten auch nicht länger überprüfen konnte, hielten wir ein Aufrechterhalten der aktiven Veröffentlichung unserer identifizierenden Pressemitteilung nicht länger für verhältnismäßig und haben die Pressemitteilung entfernt.
Mit freundlichen Grüßen
Oberstaatsanwältin
Generalstaatsanwaltschaft Hamburg
Pressesprecherin der Staatsanwaltschaften“