Das Bundesverfassungsgericht hat unter dem 18.02.2010 (BVerfG, Urteil v. 18.02.2010, Az. 1 BvR 2477/08) abermals zwei Entscheidungen der so häufig kritisierten Gerichte Hamburg und Berlin, in diesem Fall Berlin, aufgehoben.
In dem Streit ging es um Veröffentlichungen aus einer anwaltlichen E-Mail, mit der die Einwilligung zur Veröffentlichung von Abbildungen widersprochen worden war, zu der der Betroffene zuvor unter anderem wie folgt aufgefordert worden war:
„Noch eine Frage: Da ich in der nächsten N.-Ausgabe einen Artikel über R.s Termin in Berlin veröffentlichen werde, an dem Ihr Kollege H. so schön beteiligt war, wäre ich Ihnen dankbar, wenn Sie mir erlauben würden, das Foto von Ihrer website (…) dafür zu verwenden. Teilen Sie mir doch bitte auch gleich mit, an welcher Stelle Herr H. zu sehen ist. Dass Sie in der Mitte stehen, dürfte ja klar sein. Dann wissen unsere LeserInnen doch auch, wie Sie und Ihre Kollegen sich öffentlich präsentieren…“
Darauf reagierte der Betroffene wie folgt:
„…wir widersprechen ausdrücklich jedweder Nutzung von Bildnissen von Herrn H. und meiner Person. Sollten Sie hiergegen verstoßen, werden wir eigenständige rechtliche Schritte einleiten. Wir weisen darauf hin, dass wir unlängst auch anderen Medienunternehmern die Veröffentlichung von Bildnissen unsererseits verboten haben.“
Am selben Tag erschien der Artikel auf der Website des Beschwerdeführers. Darin wurde über den Verlauf einer mündlichen Verhandlung in dem Rechtsstreit über das Buch berichtet, wobei das Auftreten des Rechtsanwalts H., aber auch seine äußere Erscheinung abfällig kommentiert wurden. Dem Text war eine Anmerkung der Redaktion beigefügt, in deren Rahmen mitgeteilt wurde, dass der Kläger auf Anfrage „ein eindrucksvolles homepage-Foto seiner ‚Kanzlei’ zu R.s Glosse“ nicht habe freigeben wollen. Zudem wurde der Inhalt der E-Mail des Klägers sowie einer weiteren E-Mail, mit der der Rechtsanwalt H. ebenfalls mit deutlichen Worten der Veröffentlichung eines Bildnisses entgegengetreten war, wörtlich wiedergegeben.
Die Berliner Instanzgerichte haben diese Veröffentlichung verboten. Das Urteil des Landgerichts Berlin (LG Berlin, Urteil vom 5. Juni 2007, Az. 27 O 184/07) haben die Kollegen von sewoma veröffentlicht.
Das oberste Gericht hat die Entscheidungen aufgehoben und die Sache an das Landgericht Berlin zurückverwiesen. Es hat an den Entscheidungen vor allem bemängelt, dass die „Prangerwirkung“ der Äußerungen, die Gerichte in Fällen mit Internetbezug oft (zu Recht) diskutieren, im vorliegenden Fall zu voreilig angenommen und nicht näher begründet worden sei. Bemängelt wurde außerdem, dass die Abwägung zwischen Persönlichkeitsrecht einerseits und Recht auf freie Meinungsäußerung andererseits bereits mit dem Argument zu Gunsten des Persönlichkeitsrechts ausgefallen war, dass das das öffentliche Informationsinteresse an der streitgegenständlichen Äußerung gering sei.
Das Bundesverfassungsgericht meint dazu:
„Die Meinungsfreiheit ist jedoch nicht allein unter dem Vorbehalt des öffentlichen Interesses geschützt, sondern gewährleistet primär die Selbstbestimmung des einzelnen Grundrechtsträgers über die Entfaltung seiner Persönlichkeit in der Kommunikation mit anderen. Bereits hieraus bezieht die Meinungsfreiheit ihr in eine Abwägung mit dem allgemeinen Persönlichkeitsrecht einzustellendes Gewicht, das durch ein mögliches öffentliches Informationsinteresse lediglich weiter erhöht werden kann.“
Wenn man sich die Begründung der Instanzgerichte näher anschaut, ist diese insoweit sogar in sich bereits nicht ganz widerspruchsfrei. Einerseits soll eine Meldung so einschneidend sein, dass sie den Betroffenen an den „Pranger“ stellt. Damit wird die Eingriffsstärke in das Persönlichkeitsrecht bewertet. Andererseits besteht an der Mitteilung angeblich gar kein oder nur äusserst geringes Interesse. Damit wird das Zurücktreten des Infromationsinteresses und das Abwägungsergebnis zu Gunsten des Persönlichkeitsrechts begründet. Um beim Bild des Prangers zu bleiben, stelle ich mir dazu einen mittelalterlichen Marktplatz vor, in dessen Mitte jemand angekettet, „angeprangert“ ist, sich aber kein interessierter Bauer mit Mistgabel findet, der verfaultes Gemüse wirft.
Die Instanzgerichte haben mit der Bewertung von Veröffentlichungsfällen im Internet eine schwere Aufgabe. Denn das Äußerungsrecht und dessen Prinzipien entstammen einer internetlosen Zeit, in der Medien vergänglicher waren. Eine Fernseh- oder Radiosendung lief einmal und auch ein Zeitungsartikel verlor irgendwann nicht zuletzt wegen der begrenzten Haltbarkeit des Papiers, auf dem er gedruckt war, seine Wirkung. Heute bleibt alles für (vorerst) immer, wo es ist. Nämlich in einem allzeit und vor allem auch dank Google präzise zugänglichen Informationsnetzwerk Internet. Der technische Fortschritt erlaubt es nun auch, anders als vor zum Beispiel 10-15 Jahren, jedem, der einen Internanschluss hat, selbst bundes- und sogar weltweit Verleger zu spielen.
Diese Umstände sind es wohl, die bei jedem Verbotsurteil der Pressekammern bei der Entscheidungsfindung mitspielen. Das Bundesverfassungsgericht moniert diesbzüglich aber, dass diese Erwägungen von den Gerichten nicht ausreichend dargestellt werden und oft nur mit dem Wort „Prangerwirkung“ überhaupt in die Urteilsbegründung miteinfließen. Das höchste Gericht teilt aber (zu Recht) auch nicht mit, wie die Instanzgerichte mit dem Internet fertig werden sollen. Unterscheidet sich eine Internetöffentlichung bereits per se von einer in „vergänglichen“ Medien? Oder erst nach Ablauf einer gewissen Zeit? Ist Angriffspunkt eines persönlichkeitsrechtlichen Unterlassungsanspruchs demnach überhaupt immer die Äußerung als solche oder nicht vielmehr oft deren Intensität und Extensität, die durch das Medium bestimmt werden? Wie formuliert man ein entsprechendes Petitum in einem Antrag?
Diese Fragen zu beantworten, ist Aufgabe der befassten Anwälte und Instanzgerichte, die durch trial and error eine angemessene Linie ermitteln müssen.
Abgesehen von der rechtlichen Beurteilung des vorliegenden Falles beschleicht mich jedenfalls ein ungutes Gefühl, wenn es gestattet sein soll, jemanden unter Hohn und Spott zu einer Erlaubnis aufzufordern, die dieser wohl ausdrücklich ablehnen muss, wenn er sichergehen will, dass sein Abbild nicht veröffentlicht wird, um eben diese Mitteilung, mit der der Betroffenene eine Veröffentlichung von ihn betreffenden Daten gerade vermeiden will, ihrerseits wieder im Internet für alle und für ewig abrufbar zu machen. Äußert sich der Betroffene nicht, wird diese Nichtäußerung öffentlich mitgeteilt und ihm zum Nachteil ausgelegt. Äußert er sich hingegen, wird diese Miteilung im Internet wörtlich ausgebreitet.
Der Hexenprozess des kleinen Mannes. (la) Zum Urteil