Die Datenschutzgrundverordnung (DSGVO) hat Öffentlichkeit, Medien und Politik in gehörige Aufregung versetzt.
Wer von der DSGVO bis dato noch nichts gehört hatte, erfuhr spätestens aktuell nicht nur, dass es sich dabei um ein “Bürokratie-Monster” handele, das bereits für sich genommen nur schwer zu verstehen und noch schwieriger umzusetzen sei.
Sondern auch, dass eine “Abmahnwelle” zu befürchten sei, die von gierigen “Abmahnanwälten” zu Lasten der wirtschaftlichen Existenz “kleiner Handwerker” durch das Land gejagt werden würde.
Zum Beispiel hier Politik will DSGVO-Abmahnungen schnell stoppen, oder hier DSGVO: Innenminister Seehofer drängt auf rasche Lösung des Abmahnproblem.
Wir hatten bereits darauf hingewiesen, dass die vielbeschworene Abmahnwelle nicht existiert und auch wahrscheinlich nie kommen wird: 3 Dinge, die man zur DSGVO-Abmahnwelle wissen muss.
Süddeutsche Zeitung über Abmahner, Anwälte und Abzocker
Die vermeintlichen Unannehmlichkeiten für Unternehmer durch die DSGVO waren aber offenbar nicht genug. Das Thema Abmahnungen musste demnach noch weiter ausgeschlachtet werden.
Am 13.6.2018 erschien in der Süddeutschen Zeitung ein Kommentar von Nils Wischmeyer
in dem der Autor die These aufstellt, dass Anwälte auch über die DSGVO hinaus das “Konzept der Abmahnungen missbrauchten”. Meiner Meinung zu dem Elaborat habe ich dann mit dem folgenden Tweet Ausdruck verliehen:
Der Artikel ist so unfassbar schlecht recherchiert, dass es einem fast die Sprache verschlägt. Jedes Klischee wird bedient – Abmahnungen sind lebensgefährlich? DAS läuft falsch im Journalismus, @wischmeyer_n. https://t.co/K00713nD8q
— RALampmann (@RALampmann) 13. Juni 2018
Warum der Kommentar in der SZ nicht akzeptabel ist
Ich möchte hier der über Twitter an mich herangetragenen Bitte des Autors nachkommen, ihm zu erläutern, was an dem Artikel alles falsch ist. Dies insbesondere deswegen, da Herr Wischmeyer mit einem in seinem Twitterprofil oben “angehefteten” Tweet zwar öffentlichkeitswirksam darauf aufmerksam macht, dass seiner Meinung nach etwas “falsch läuft im Journalismus”, sich aber offenbar nicht als Teil des Problems sieht.
Grundsätzlich gilt: Als Gegenstück zur Pressefreiheit, die dem Journalisten umfassende Privilegien einräumt, sind die journalistischen Sorgfaltspflichten zu beachten. Das kann dazu führen, dass der Journalist vor einer Veröffentlichung weiter recherchieren, oder sogar ganz von einer Veröffentlichung absehen muss.
Man muss es zur Einhaltung dieser Pflichten nicht als verpflichtend ansehen, neben den Tatsachen auch die Rechtslage vor der Veröffentlichung eines Beitrags sorgfältig zu recherchieren bzw. fachkundigen Rat einzuholen – schlechte Berichterstattung ist nicht per se verboten. Ein Journalist bei der SZ sollte aber doch selbst dem Qualitätsanspruch genügen, den er bei anderen einfordert.
Jeder, der sich im gewerblichen Rechtsschutz oder dem Urheber– und Medienrecht auskennt, sieht dem Artikel sofort an, dass im Vorfeld kein solcher fachlicher Rat eingeholt wurde. Den Artikel durchzieht eine Darstellungsweise, die – wenn nicht schlicht falsch – im Einzelfall am Punkt vorbeigeht. Jedenfalls kann derart harsche Kritik an “Abmahnungen” nicht auf eine derartige Grundlage gestellt werden.
Im Einzelnen werden Behauptungen aufgestellt, die jedenfalls in ihrer Pauschalität nicht haltbar sind bzw. journalistischen Ansprüchen nicht gerecht werden.
Lediglich beispielhaft sollen die folgenden 13 Aussagen aufgegriffen, analysiert und korrigiert werden.
1. Überschrift: “Wie Anwälte mit Abmahnungen abzocken”
Mit dieser Formulierung wird beim Leser der Eindruck erweckt, dass es Anwälte seien, die Abmahnungen aussprechen. Das Gerücht, dass es (spezialisierte) (Abmahn-)Anwälte gebe, die in eigenem Namen und auf eigene Rechnung im Internet Verstöße aufspüren und kostenpflichtig abmahnen könnten, hält sich in Politik und sogar seriösen Medien hartnäckig. Es trifft aber nicht zu und wird durch den Artikel dennoch gefördert.
Ansprüche (seien es Schadensersatzansprüche zB nach einem Verkehrsunfall oder Unterlassungsansprüche bei einer Wettbewerbsrechtsverletzung) können nur deren Inhaber geltend machen und durchsetzen. Das können sie auf eigene Faust oder mithilfe eines Anwalts machen, dessen Kosten – unter bestimmten Voraussetzungen – vom Anspruchsgegner erstattet werden müssen.
Wenn Ansprüche – gegebenenfalls im Rahmen einer Zusammenarbeit zwischen vermeintlichem Wettbewerber und Rechtsanwalt – lediglich vorgetäuscht werden, um damit Geld zu verdienen – und das meinen offenbar die meisten, die von “Abzocke” sprechen – handelt es sich nicht um den Missbrauch eines Rechts, sondern um einen strafbaren Betrug, dem, soweit er tatsächlich wie behauptet begangen wird, mit den Mitteln des Strafrechts Einhalt geboten werden kann. Gesetzgeberischer Maßnahmen bedarf es dafür nicht.
2. “Anwälte und Vereine überziehen Kleinunternehmer mit Abmahnungen. Es drohen Unterlassungserklärungen und hohe Strafen.”
Siehe Ziffer 1. Während es stimmt, dass Vereine unter bestimmten Voraussetzungen eine eigene Aktivlegitimation haben, trifft dies für Anwälte nicht zu.
Die Behauptung, dass mit Abmahnungen gezielt „Kleinunternehmer“ bzw., wie weiter unten im Artikel behauptet, „kleine Onlineshops“ bzw. “Existenzgründer” oder “Teilzeit-Selbständige” angegangen würden, ist nicht belegt. Sie liegt auch nicht nahe. Es ist nämlich nicht ausgeschlossen, dass „gestandene“ Unternehmer schlicht professioneller damit umgehen. Selbst, wenn es zutreffen würde, dass Anfänger verstärkt von Abmahnungen betroffen sind, könnte das auch schlicht daran liegen, dass diese sich nicht genug um die Einhaltung der gesetzlichen Vorschriften kümmern. Das wäre allerdings kein Grund, das “Abmahnwesen”, also die Durchsetzung dieser Vorschriften zu erschweren, sondern, darüber nachzudenken, die entsprechenden Gesetze zu ändern. Kritik an denjeinigen, die sich an die geltenden Gesetze halten, ist jedenfalls nicht zielführend.
Der Begriff “überziehen” suggeriert zudem, dass eine Abmahnung ähnliche Rechtswirkungen habe, wie eine Klage, mit der man für gewöhnlich seinen Gegner “überzieht”. Das stimmt nicht. Eine Abmahnung entfaltet grundsätzlich keinerlei rechtliche Pflichten, schon gar nicht irgendwelche Rechtsfolgen, die der einer Klage ähneln würden. Abgesehen vom fehlerhaften Gebrauch des Wortes wird damit ein völlig falscher Eindruck erweckt.
Und durch den nächsten Satz noch verstärkt. Eine Unterlassungserklärung “droht” nämlich nie, auch wenn sie vorformuliert in einer Abmahnung enthalten sein mag. Sie ist eine freiwillige Möglichkeit für den Schuldner, sich einem Rechtsstreit zu entziehen. Sie sollte, wenn überhaupt, nur mit Bedacht und wohlformuliert abgegeben werden. Vor Abgabe einer solchen weitreichenden und mindestens 30 Jahre wirksamen Erklärung kann man sich anwaltlich beraten lassen.
Selbst nach Abschluss eines Unterlassungsvertrags droht dem Schuldner keine “Strafe” (im strafrechtlichen Sinne), sondern eine sogenannte Vertragsstrafe, d.h. eine Geldzahlung, deren Höhe der Schuldner zudem in seiner eigenen Erklärung entweder selbst bestimmen oder durch den sogenannten Hamburger Brauch in das Ermessen eines Gerichts legen kann.
Die Vertragsstrafe „droht“ wiederum aber auch nur, wenn der Schuldner sich an die selbst bestimmte Unterlassungsverpflichtung nicht hält.
3. “Eine Petition fordert, Betroffene besser zu schützen und die Abmahn-Industrie einzubremsen.”
Bereits der Begriff “Betroffene” ist irreführend. Er verniedlicht die Tatsache, dass es sich bei dem Abgemahnten – unterstellt, ausgesprochene Abmahnung ist berechtigt (ist sie es nicht, kann man sie getrost ignorieren) – nicht um einen von einer Handlung eines Dritten unbedarften “Betroffenen” handelt, sondern um den Täter einer von der Rechtsordnung sanktionierten Rechtsverletzung.
Interessanterweise wird der genaue Grund für die gegenüber dem Computerzubehörhändler ausgesprochene Abmahnung im Artikel nicht gennant. Es habe sich um einen „Fehler in der Rückgabebelehrung“ gehandelt. Der Verbraucherschutz gebietet es aber nun einmal, bestimmte Informationen richtig und transparent anzugeben. Hätte sich der Händler bei der Erstellung der Belehrung anwaltlicher Hilfe bedient, hätte sich der „Fehler“ vermeiden lassen. Bei einer Falschberatung wäre der Anwalt haftbar gewesen.
Man fragt sich, warum die Verpflichtung, einen Experten zu Rate zu ziehen, zugunsten professioneller (Online-)Händler beim Thema „Abmahnungen“ immer wieder (subtil) in Zweifel gezogen wird. Niemand käme auf die Idee, ohne Architekt ein Haus zu bauen oder sich bei einer ernsthaften Krankheit selbst zu diagnostizieren. (Online-)Händlern wird demgegenüber zugestanden, die rechtlichen Vorgaben – mehr schlecht als recht – selbst umzusetzen.
Auch der Begriff „Abmahn-Industrie“ stößt bei einem Experten für gewerblichen Rechtsschutz auf Unverständnis. Es ist vom Gesetzgeber insbesondere des Gesetzes gegen den unlauteren Wettbewerb (UWG) gewollt, dass Mitbewerber sich untereinander auf die Einhaltung der entsprechenden Vorschriften überprüfen und abmahnen. Und dies (Achtung!) auch „massenhaft“, wenn Verstöße zahlreich begangen werden.
In anderen Ländern mag das anders sein. In Kanada zum Beispiel gibt es den „Competition Act“, der vom Competition Bureau Canada überwacht wird. Abmahnungen von Vereinen, Verbänden oder Mitbewerbern kennt man dort nicht. Ob deutsche Onlinehändler mit ihren kanadischen Kollegen wirklich tauschen wollen, darf dennoch bezweifelt werden.
Unsere Kanzlei vertritt aktuell einen deutschen Händler, der seine Produkte unter anderem auch in Kanada anbietet. Er befindet sich zurzeit in einer Auseinandersetzung mit besagtem Competition Bureau, das sich an einer bestimmten Preiswerbung stört und damit droht, die Webseite des Händlers abzuschalten. Die Kosten allein des kanadischen Kollegen belaufen sich – nur in Bezug auf das inoffizielle Vorverfahren – auf mittlerweile ca. 6.000 €.
4. “Am Ende brach Ferhat Kalpaslan zusammen, innere Blutungen, Krankenhaus. Er überlebte nur knapp. Mehrere Nebenjobs hatte er zwischenzeitlich, arbeitete sieben Tage die Woche und alles nur, um Abmahnungen zu bezahlen.”
Diese Äußerungen sind ebenfalls in einem seriösen Artikel inakzeptabel. Es ist selbstverständlich, dass die Gesundheit bzw. das Lebens eines Menschen wichtiger ist, als die Einhaltung von Verbraucherschutzvorschriften zur Rückgabemöglichkeit von Kaufsachen. Dass die konkrete kausale Verknüpfung von „Abmahnungen“ und „inneren Blutungen“ nicht statthaft ist, dürfte indes ebenso auf der Hand liegen.
Dies insbesondere deswegen, weil der abgemahnte Computerzubehörhändler sogar nach den Ausführungen des Autors eben nicht – erstens – bloß abgemahnt worden war, sondern (anscheinend ohne anwaltlichen Rat) – zweitens – eine Unterlassungserklärung abgegeben hatte, an die er sich dann – drittens – offenbar nicht hielt. Die Behauptung, dass er sieben Tage die Woche arbeite, nur um die „Abmahnungen“ zu bezahlen, trifft somit nicht zu.
5. “Durch Zufall wurden Anwälte und Vereine auf ihn aufmerksam, die mit Abmahnungen ihr Geld verdienen. Sie durchstöberten seinen Onlineshop, fanden den Fehler und mahnten ihn ab, er musste eine Unterlassungserklärung unterschreiben.”
Auch diese Sätze werden einer seriösen Berichterstattung vielfacher Hinsicht nicht gerecht.
Die „Vereine“, mit denen der Autor offenbar die in § 8 Abs. 3 Nr. 2 UWG genannten rechtsfähigen Verbände zur Förderung gewerblicher oder selbständiger beruflicher Interessen meint, dürfen mit Abmahnungen gerade kein Geld verdienen, sondern müssen im Gegenteil nach ihrer personellen, sachlichen und finanziellen Ausstattung selbst imstande sein, ihre satzungsmäßigen Aufgaben der Verfolgung gewerblicher oder selbständiger beruflicher Interessen tatsächlich wahrzunehmen.
Dass im gewerblichen Rechtsschutz tätige Anwälte (unter anderem) „mit Abmahnungen ihr Geld verdienen“ ist demgegenüber eine Binsenweisheit, die im konkreten Kontext den Eindruck erweckt, als sei daran etwas auszusetzen. Hier übersieht der Autor vermutlich, dass – wie unter Ziffer 1 bereits erläutert – Anwaltskosten nicht vom Gegner bzw. vom „Abgemahnten“, sondern zunächst einmal von demjenigen bezahlt werden müssen, der den Anwalt in Anspruch nimmt und nur unter bestimmten Voraussetzungen vom Anspruchsgegner erstattet werden müssen. Das ist übrigens nicht nur bei „Abmahnungen“ der Fall, sondern auch immer dann, wenn ein Anwalt in einem Schadensfall tätig wird (zB bei einem Verkehrsunfall oder einer Vertragsverletzung).
Auch mit der Formulierung “sie durchstöberten seinen Onlineshop, fanden den Fehler und mahnten ihn ab, er musste eine Unterlassungserklärung unterschreiben.” wird ein Vorwurf in den Raum gestellt wird, der auf einem grundsätzlichen Missverständnis des Wettbewerbsrechts beruht. Der Gesetzgeber des Wettbewerbsrechts wollte, dass sich Mitbewerber gegenseitig kontrollieren. Wenn ein Onlinehändler weder Kosten noch Mühen scheut, alle für ihn geltenden Vorschriften genau einzuhalten, ist nichts daran auszusetzen, wenn er auch seine Mitbewerber ebenso zur Einhaltung der Vorschriften anhalten möchte.
Zu der Behauptung, dass der Onlinehändler eine Unterlassungserklärung unterschreiben “musste”, gilt das unter Ziffer 2 Gesagte. Niemand kann gezwungen werden, einem Mitbewerber gegenüber eine Unterlassungserklärung abzugeben. Wenn man es tut, muss man sich daran halten.
6. “Für jeden weiteren Fehler in seinem Onlineshop muss er 5000 Euro zahlen. Schon bald fanden die Anwälte zwei kleine Verstöße, und Kalpaslan musste zahlen.”
Die Formulierung suggeriert, dass der Schuldner eines Unterlassungsvertrags für jeden irgendwie gearteten weiteren Fehler eine Vertragsstrafe schulde. Das trifft nicht zu. Selbstverständlich wird eine Vertragsstrafe nur für die Wiederholung des Verhaltens verwirkt, zu dessen Unterlassung man sich verpflichtet hat. Zudem erscheint die Summe von 5.000 € insbesondere für die Formfehler, die im Onlineshop des Händlers angeblich vorhanden waren, sehr hoch. Wie bereits unter Ziffer 2 erläutert, wird die Höhe der Vertragsstrafe nicht, wie suggeriert, zwingend vom Gläubiger vorgegeben, sondern kann vom (anwaltlich beratenen) Schuldner modifiziert werden.
Selbst wenn der Gläubiger meint, mehrere Verstöße gegen den Unterlassungsvertrag festgestellt zu haben, muss der der Schuldner nicht zwingend das jeweilige Vielfache der versprochenen Vertragsstrafe zahlen. Auch wenn der Schuldner die Höhe der Vertragsstrafe nicht bereits in das Ermessen des Gerichts gestellt sondern sie beziffert hat, kann diese in mehrfacher Hinsicht noch auf ihre Angemessenheit überprüft (§§ 343, 242 BGB) oder bei Vorliegen einer sogenannten Handlungseinheit zu einem herabgesetzten Betrag zusammengefasst werden.
7. “Die Abmahner, so sagt er, haben ihn ins Krankenhaus gebracht.”
Wie oben bereits erwähnt, geht die Gesundheit der Einhaltung gesetzlicher Vorschriften natürlich vor. Im vorliegenden Fall scheint die Kausalität zwischen Abmahnung und den gesundheitlichen Problemen – vorsichtig ausgedrückt – jedoch durch einige selbstverschuldete Vorkommnisse durchbrochen worden zu sein.
8. “Kalpaslan ist nur einer von Abertausenden Selbstständigen, die die Anwälte und Abmahnvereine systematisch wegen Kleinigkeiten abmahnen und so in den Ruin treiben.“
Das Lauterkeitsrecht ist vom Gesetzgeber darauf angelegt, dass Mitbewerber sich gegenseitig “systematisch” und falls nötig auch massenhaft abmahnen und damit außergerichtlich zu gesetzeskonformen Verhalten anhalten. Abmahnungen treiben niemanden “in den Ruin”. Unbedacht abgegebene Unterlassungsklärungen, an die man sich dann nicht hält, schon eher.
9. “Seit etwa zwei Jahren verschärft sich das Problem drastisch, wie Zahlen des Händlerbundes zeigen. 2015 noch war es jeder fünfte Händler, der abgemahnt wurde, 2017 war fast jeder Dritte betroffen.”
Der Autor scheint das “Problem” allein in den Abmahnungen als solchen zu sehen, von denen Onlinehändler “betroffen” seien.
Wenn man ausgewogen berichten wollte, könnte man die Frage aufwerfen, ob die Händler Abmahnungen nicht durch die Einhaltung der einschlägigen Vorschriften selbst vermeiden könnten und sollten. Oder man könnte die Verbraucherschutzvorschriften, deren Zahl insbesondere in letzter Zeit immer weiter zugenommen hat und die Onlinehändlern das Leben schwer machen, kritisieren und deren Abschaffung fordern.
Die Kritik an der rechtskonformen Durchsetzung bestehender Gesetze hat so allenfalls Stammtischniveau.
10. “Zuerst durchsuchen sie kleine Onlineshops nach winzigen Fehlern, beispielsweise abgekürzten Namen im Impressum oder Fehlern in der Widerrufsbelehrung. Dann folgen serienweise Abmahnungen, berichtet Hildegard Reppelmund, Rechtsanwältin bei der DIHK.”
Unabhängig davon, ob es zutrifft oder nicht, dass “sie” (gemeint sind wohl Verbände und Anwälte) “kleine” Onlineshops nach “winzigen” Fehlern “durchsuchen”, sind die Beispiele für die vermeintlichen Kleinigkeiten schlecht gewählt.
Ein abgekürzter Vorname im Impressum kann im Einzelfall eine Bagatelle darstellen, ist es im Regelfall jedoch nicht, da damit der Vertragspartner für den Verbraucher nicht eindeutig identifizierbar ist und im Ernstfall auch nicht gerichtlich in Anspruch genommen werden kann.
Es ist auch nicht einzusehen, weshalb einem professionellen Händler nicht zugemutet werden soll, die klaren und verständlichen Vorschriften zur Impressumspflicht einzuhalten. Das Gleiche gilt für die Widerrufsbelehrung. Händler müssen hier lediglich das vom Gesetzgeber vorgegebene Muster übernehmen.
Für beide Verstöße gilt wie für alle anderen Vorschriften auch, dass von einem seriösen Händler erwartet werden kann, dass er einen gewissen Betrag in eine fachkundige Beratung investiert, anstatt die Schuld für die Konsequenzen von Gesezesverstößen bei der (gesetzestreuen) Konkurrenz zu suchen. Mit einer ordentlichen Beratung können Abmahnungen im besten Fall völlig vermieden werden. Falls der Händler dennoch von einem Mitbewerber in Anspruch genommen wird, kann er seinen Anwalt wegen eines etwaigen Beratungsfehlers in Regress nehmen.
Zu dem Begriff “serienweise” gilt das oben unter Ziffer 3 gesagte: “Serienweise” begangene Rechtsverstöße rechtfertigen “serienweise” ausgesprochene Abmahnungen. Dieser Realität muss sich ein Journalist, der sich mit den Besonderheiten des Lauterkeitsrechts beschäftigt, stellen.
An dieser Stelle nochmals der Hinweis: Das Vortäuschen einer unternehmerischen Tätigkeit allein zum Zwecke der Abmahnung von Onlinehändlern stellt weder eine “Abzocke” noch “Rechtsmissbrauch” dar. Dabei handelt es sich um Betrug.
11. “Ob Letztere [Wettbewerbsvereine] aber klageberechtigt sind, ist oft nicht zu erkennen. „Hier besteht dringend gesetzgeberischer Handlungsbedarf“, sagt Reppelmund.”
Die Frage, ob ein Wettbewerbsverein klagebefugt ist oder nicht, stellt sich naturgemäß erst dann, wenn dieser eine in der Sache berechtigte Abmahnung ausgesprochen hat. Wer als Onlinehändler an dieser Berechtigung zweifelt, sollte diesem Verein gegenüber schlicht keine Unterlassungserklärung abgeben.
Spätestens in einem gerichtlichen Verfahren wird die Aktivlegitimation vom Gericht geprüft. Aus welchem Grund Frau Reppelmund hier gesetzgeberischen Handlungsbedarf sieht, und vor allem, welche Maßnahmen sie diesbezüglich für erforderlich hält, erfährt der Leser leider nicht.
12. “Alternativ zerren die Anwälte die Betroffenen vor möglichst weit entfernte Gerichte, was die Verteidigung kostspielig macht.”
Diese Behauptung ist unzutreffend. Sie entspringt einem rein subjektiven Empfinden, das zwar nachvollziehbar ist, in der Realität aber keinerlei Stütze hat.
Erstens ist bereits der durch die Darstellung, dass “Betroffene” vor Gerichte “gezerrt” werden, erweckte Eindruck falsch. Der Rat an den Mandanten, ein bestimmtes Gericht auszuwählen, gründet jedenfalls in den uns bekannten Fällen nicht auf der Überlegung, dem Gegner durch diese Wahl größtmöglichen Aufwand und Kosten entstehen zu lassen, sondern darauf, dort auf günstige Rechtssprechung zu stoßen, die den geltend gemachten Anspruch stützt.
Zweitens ist auch nicht einzusehen, weshalb ein Onlinehändler, der seine Tätigkeiten nicht regional einschränkt, sondern bundesweit entfaltet, den Gläubiger auf ein bestimmtes Gericht verweisen können sollte.
13. “Vera Dietrich unterzeichnete die Unterlassungserklärung nicht und erhielt kurz vor Weihnachten 2017 ein neuerliches Schreiben. Sollte sie den Fehler erneut begehen, drohen die Abmahner mit einer Strafe von bis zu 250 000 Euro.”
In diesem Passus gipfelt die Ignoranz, mit der der Autor an die Aufarbeitung des Sachverhalts gegangen ist. Denn Frau Dietrich erhielt natürlich kein “neuerliches Schreiben” der “Abmahner” (mehrere? Kurz vor Weihnachten?), sondern eine einstweilige Verfügung des zuständigen Landgerichts, somit einen gerichtlichen Verbotstitel. Denn nur dieser ist mit der gesetzlich vorgesehenen Sanktion, nämlich einem Ordnungsmittel von bis zu 250.000 € bedroht.
Hier wäre es für den Leser zudem interessant gewesen, zu erfahren, dass das Ordnungsgeld in dieser Höhe die ultima ratio darstellt und dies bei einem ersten Verstoß eines kleinen Händlers gegen Formvorschriften selten 1.000 € übersteigt.
Eigentlich selbstverständlich: Journalisten sollten vorher jemanden fragen, der sich auskennt!
Die Aufzählung könnte man sicherlich noch um einige Punkte ergänzen. Sie erhebt daher keinen Anspruch auf Vollständigkeit. Es soll insbesondere nicht der Eindruck entstehen, dass der Kommentar im Übrigen in Ordnung ginge. Das ist nicht der Fall. Es handelt sich um ein in jeder Hinsicht inakzeptables, jedenfalls der SZ unwürdiges Arbeitsergebnis.
Es gibt neben unserer Kanzlei zahlreiche Kollegen, die jederzeit bereit sind, Journalisten zu Fragen Rede und Antwort zu stehen. Man muss nur wollen.