Einem aktuellen Urteil des Frankfurter Oberlandesgerichts nach finden die vor Inkrafttreten der neuen Datenschutzgrundverordnung (DSGVO) geltenden Grundsätze zum sogenannten „Recht auf Vergessenwerden“ keine uneingeschränkte Anwendung mehr.
Artikel 17 der DSGVO setzt eine Abwägung zwischen dem öffentlichen Informationsinteresse und dem Interesse des Betroffenen an der Löschung seiner Daten voraus, bevor diese tatsächlich entfernt werden. Eine solche Abwägung sei nun in entsprechenden Fällen vorzunehmen, so der Senat in Frankfurt.
Gesundheitliche Gebrechen bei Google – Go or No-Go ?
Ausgangspunkt der Entscheidung war ein Rechtsstreit zwischen einer gemeinnützigen Organisation als Kläger und der Suchmaschine Google auf Beklagtenseite. Nachdem die karikative Einrichtung in finanzielle Schwierigkeiten geraten war, berichteten diverse Pressestellen über deren missliche Lage. In diesem Zusammenhang wurden auch Informationen zum damals schlechten gesundheitlichen Zustand des Geschäftsführers publik gemacht.
Dieser verlangte in der Folge von Google, insgesamt fünf Suchergebnisse aus dem Netz zu nehmen. Diese führten zu entsprechenden Beiträgen, welche die Umstände seiner Erkrankung weiter darlegten. Als der Internetriese sich weigerte, erhob der Betroffenen schließlich Klage vor dem Frankfurter Landgericht.
Löschung persönlicher Daten muss „erforderlich“ sein
Die Kammer wies diese jedoch ab (LG Frankfurt, Urteil v. 26.10.2017, Az. 3 O 190/16), und auch die Berufung vor dem Oberlandesgericht blieb ohne Erfolg (OLG Frankfurt, Urteil v. 6.9.2018, Az. 16 U 193/17).
Ausschlaggebende Norm in Frankfurt war Artikel 17 der DSGVO. Dieser lautet (auszugsweise):
Die betroffene Person hat das Recht, von dem Verantwortlichen zu verlangen, dass sie betreffende personenbezogene Daten unverzüglich gelöscht werden, und der Verantwortliche ist verpflichtet, personenbezogene Daten unverzüglich zu löschen, sofern einer der folgenden Gründe zutrifft:
(a) Die personenbezogenen Daten sind für die Zwecke, für die sie erhoben oder auf sonstige Weise verarbeitet wurden, nicht mehr notwendig.
(…)
(d) Die personenbezogenen Daten wurden unrechtmäßig verarbeitet.
An einer solchen „unrechtmäßigen Verarbeitung“ mangele es im vorliegenden Fall, so die Richter.
Umfangreiche Interessenabwägung erforderlich
Ob von einer solchen ausgegangen werden kann, müsse anhand einer umfangreichen Interessenabwägung entschieden werden. Dabei sei das Recht des Klägers auf informationelle Selbstbestimmung der Kommunikationsfreiheit von Google und dessen Nutzern gegenüberzustellen.
Schlussendlich kam der Senat zu dem Ergebnis, dass die Interessen des Klägers hinter denen der Öffentlichkeit zurückzutreten haben. Zwar seien mit Hilfe der Suchmaschine durchaus persönliche und sensible Informationen auffindbar gewesen. Aber selbst solche Daten seien nur schützenswert, solange dies „erforderlich“ ist. Die Berichterstattung und die entsprechenden Artikel seien aber zum Zeitpunkt der Veröffentlichung rechtmäßig gewesen. So habe die Öffentlichkeit ein relevantes Interesse an der finanziellen Situation der Organisation gehabt. Dazu zählten eben auch Informationen zum Gesundheitszustand des Klägers, da diese erklärten, warum der Geschäftsführer in wirtschaftlich schweren Zeiten nicht zur Verfügung stand.
Schließlich seien Suchmaschinen wie Google erst nach konkretem Hinweis auf eventuelle Verletzungen des Persönlichkeitsrechts im Zusammenhang mit Suchergebnissen zum Handeln verpflichtet. Präventive Maßnahmen könnten Google demnach nicht auferlegt werden. Sowohl aus organisatorischen als auch finanziellen Gründen seien Schritte bereits im Vorfeld der Suchmaschine nicht zumutbar.
Fazit: Nichts genaues weiß man nicht
Der europäische Gerichtshof hatte sich in einem ähnlich gelagerten Fall bereits zum Recht auf Vergessenwerden positioniert (EuGH, Urteil v. 13.5.2014, Az. C-131/12). Das Urteil des EuGH erging bereits vor Inkrafttreten der Datenschutzgrundverordnung. In der Urteilsbegründung gaben die Richter an, dass das Interesse des Betroffenen, nicht länger namentlich im Internet auffindbar zu sein, dem Interesse an einer fortbestehenden Verlinkung grundsätzlich vorzuziehen sei. Nur in wenigen Konstellationen könne ein Eingriff in die Grundrechte des Betroffenen durch ein Interesse der Allgemeinheit gerechtfertigt werden.
Die Richter in Frankfurt nahmen in der Urteilsbegründung Bezug zu der Entscheidung des EuGH: Die Abwägungskriterien des europäischen Gerichtshof könnten nicht ohne Weiteres auf die DSGVO übertragen werden. Vielmehr müsse „mit Vorsicht den jeweiligen Besonderheiten des Einzelfalls“ Rechnung getragen werden. Aufgrund der nahezu unbegrenzten Anzahl von Konstellationen, in denen Persönlichkeitsrechte im Internet potentiell verletzt werden können, und dem oftmals schmalen Grat zur Unzulässigkeit bei der Verwertung personenbezogener Daten, erscheint dies der durchaus richtige Ansatz.
Neben den Zweifeln bezüglich des „Ob“ der Löschung gewisser Suchergebnisse besteht bisher auch Unklarheit in Bezug auf das „Inwieweit“: Der EuGH hat sich zurzeit mit der Frage zu beschäftigen, ob Google im Zusammenhang mit der DSGVO weltweit Suchergebnisse entfernen muss. Einzelheiten dazu hier: