Einem aktuellen Urteil des Dresdner Oberlandesgericht nach ist es der Plattform Twitter untersagt, Accounts aufgrund bestimmter Beiträge ohne ausreichenden Grund zu sperren.
Nach Ansicht des Mediums hatte der betreffende Tweet zwar gegen die hauseigenen Richtlinien verstoßen. Die Richter sahen diese allerdings als unwirksam an.
Darüber hinaus sei der Post ohnehin von der Meinungsfreiheit gedeckt gewesen.
Covfefe, Bradley Cooper, Corona und Co.
Der Mediendienst Twitter zählt inzwischen zu den ältesten, und nach wie vor am häufigsten genutzten sozialen Plattformen im Netz. Nutzer können per Mausklick in kurzen, geschrieben Statements ihre Meinung kundtun. Diese Tweets können dann von anderen Lesern weiterverbeitet werden („re-tweet“). Im Laufe der Jahre sind so einige Prunkstücke des Beitragsolymps zusammengekommen. Über Ellen de Genres´ Starensemble in der Oscarnacht über Wortkreationen des orange-man in office bis hin zu tatsächlich inhaltsvollen Corona-News sind die Variationen endlos. Mitte letzten Jahres hatte Twitter nun den Account eines Nutzers gesperrt, nachdem sich dieser in satirischer Weise über anstehende politische Wahlen geäußert hatte. Meinungsäußerungen im Netz und deren Löschung spielen im Übrigen auch im Rahmen von Bewertungsportalen wie Jameda eine bedeutende Rolle. Als Betroffener ungerechtfertiger negativer Bewertungen finden Sie daher hier Abhilfe:
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Grundrechte und Geschäftsbedingungen
Gegen die Löschung des Beitrags und seines Accounts legte der Betroffene allerdings Klage vor dem Dresdner Landgericht ein. Mit Erfolg: Sowohl erstinstanzlich (LG Dresden, Urteil v. 12. 11. 2019, Az. 1a O 1056/19) als auch vor dem Oberlandesgericht Dresden entschieden die Richter, dass Twitter den Account wieder zu entsperren habe (OLG Dresden, Beschluss v. 07.04.2020, Az. 4 U 2805/19).
Nach Ansicht der Plattform selbst habe der Text gegen die im April 2019 aufgestellten Richtlinien zur Integrität von Wahlen verstoßen. Diese Bestimmungen enthielten allerdings folgende Passage:
„Wir sind berechtigt, diese Bedingungen gegebenenfalls von Zeit zu Zeit zu überarbeiten“
Darin sahen die Richter einen Verstoß gegen § 307 BGB i.V.m. den aus § 308 Nr. 4 und 5 BGB abzuleitenden Wertungen. In der Urteilsbegründung heißt es:
Die o. a. Klausel erlaubt nach der maßgeblichen kundenfeindlichsten Auslegung Anpassungen nicht nur von einzelnen Details der vertraglichen Beziehungen der Parteien, sondern ermächtigt zu jedweder Änderung der Erklärung der Rechte und Pflichten einschließlich der Essentialia des Vertrages, wie der Unentgeltlichkeit und der Pflicht zur Bereitstellung des Dienstes. Der Verwender erhält damit eine Handhabe, das Vertragsgefüge insgesamt umzugestalten, insbesondere das Äquivalenzverhältnis von Leistungen und Gegenleistungen erheblich zu seinen Gunsten zu verschieben und damit die Position seines Vertragspartners zu entwerten.
Aber auch unabhängig davon sei der Tweet von der Meinungsfreiheit gedeckt, da sich hier offenkundig auf satirische Weise mit dem Thema der Wahlen befasst worden sei. Die Löschung des Accounts sei daher rechtswidrig. Im Lichte der mittelbaren Drittwirkung des Grundrechts müsse sichergestellt sein, dass derartige Aussagen nicht die Entfernung eines Accounts nach sich ziehen. Die Richter führten aus, dass die Grundrechte die Privaten grundsätzlich nicht unmittelbar untereinander selbst verpflichten. Ihnen komme jedoch auch im Hinblick auf privatrechtliche Rechtsbeziehungen eine gewisse Wirkung zu. So seien sie seitens der Fachgerichte, insbesondere über zivilrechtliche Generalklauseln und unbestimmte Rechtsbegriffe hinaus, bei der Auslegung des Fachrechtes bei der Entscheidungsfindung miteinzubeziehen.
Fazit
Die Löschung des Accounts war demnach gleich aus zwei Gründen rechtswidrig: Einerseits wurden die Richtlinien, gegen die angeblich verstoßen wurde, nicht wirksam in den Vertrag zwischen Twitter und dem Kläger miteinbezogen. Und das aus gutem Grund: Klauseln wie „Änderungen vorbehalten“, oder „einzelne Abschnitte können jederzeit geändert werden“ sind generell unzulässig. Jeder Nutzer, der sich mit allgemeinen Geschäftsbedingungen einverstanden erklärt, muss darauf vertrauen können, dass diese auch in der konkreten Form dauerhaft Bestand haben. Schließlich haben auch Plattformen wie Twitter die allumfassende (Dritt)-Wirkung der Grundrechte zu beachten. Da der betreffende Tweet in den Schutzbereich der Meinungsfreiheit fiel, musste die Löschung des Accounts rückgängig gemacht werden.