Es ist ein altes Problem im Urheberrecht: Wie hoch ist der Schaden, wenn das Urhebrrecht verletzt wird? Grundsätzlich besteht Einigkeit darüber, dass etwa bei einem unerlaubten Abdruck von Fotografien der Fotograf seinen Schaden berechnen kann, indem nachträglich ein in Wirklichkeit nie geschlossener Vertrag konstruiert wird (sog. „Lizenzanalogie“). Dabei darf ein Gericht im Streitfall nach § 287 ZPO schätzen, ob und in welcher Höhe ein Anspruch auf Zahlung eines angemessenen Honorars besteht.
Dementsprechend hat das Landgericht München nun in einer neuen Entscheidung vom 17.05.2006 (21 O 12175/04) einem Fotografen rund 30.000 € zugesprochen, dessen Bilder unberechtigt in dem Bildband eines Architekten abgedruckt worden waren. Quelle des Fotos: www.photocase.com
Dabei stützte sich das Gericht auch auf die Honorarempfehlungen der Mittelstandsgemeinschaft Fotomarketing (MFM). Dieser Interessenverband macht zur Höhe der Ansprüche von Fotografen detailierte Angaben. Nur scheinbar setzt sich das Gericht bei der Begründung des Urteils zu einer – fast ebenso jungen – Entscheidung des Bundesgerichtshofes (BGH, Urteile vom 6. Oktober 2005 ? I ZR 266/02 und I ZR 267/02;) in Widerspruch: Der BGH hatte nach der Revision in einem ähnlichen Fall die Sache an das Berufungsgericht zurückverwiesen, da es sich die Richter wohl zu leicht gemacht hatten. Begründet hatte das oberste Zivilgericht dies damit, dass die angemessene Vergütung nach den gesamten Umständen zu bemessen sei. Dazu könne etwa gehören, dass der Abdruck von Fotos zwar in verschiedenen Zeitungen, aber zeitgleich in derselben Region verbreitet werden. Ebenso könne es von Bedeutung sein, ob die Fotos Teil einer „Mantellieferung“ waren, also für miteinander verbundene Publikationen verwendet wurden. Es könne jedenfalls nicht ohne weiteres angenommen werden, dass die MFM-Empfehlungen in der fraglichen Zeit die angemessene und übliche Vergütung wiedergegeben hätten. Mangels eigener Sachkunde hätte das Berufungsgericht davon nicht ohne sachverständige Hilfe ausgehen dürfen.
Einige Juristen sahen in der BGH-Entscheidung offenbar einen „Abschied“ von der Heranziehung von Honorarempfehlungen wie jenen der MFM und behaupteten gar, der BGH habe den Rückgriff auf diese Empfehlungen nun komplett untersagt. Das Landgericht München hat jedoch mit der aktuellen Entscheidung gezeigt, dass – bei einer sorgfältigen Begründung des Urteils – die Heranziehung von Honorarempfehlungen (auch solchen von Interessenverbänden) selbstverständlich als Grundlage für die Schätzung der Angemessenheit von Honoraren taugt. Zwar erwähnt das Münchener Gericht die BGH-Entscheidung nicht – es spricht jedoch alles dafür, dass die Münchener Richter das Urteil ausführlich studiert haben. So werden etwa ausführliche Vergleichsrechnungen unter zugrundelegung der ursprünglichen Vorstellungen der Parteien angestellt, um die Angemessenheit des Honorars zu begründen.
Fazit:
Die Gerichte behalten ihre „Lizenz zum Schätzen“. Ein Blick in die Vergütungstabellen ist ihnen dabei keinesfalls verwehrt.