Wer Twitter nicht kennt: Unter jedem Beitrag (= Tweet) gibt es die Möglichkeit für andere User, per Knopfdruck einen retweet zu senden. Dadurch wird der ursprüngliche Beitrag auch den Followern des retweetenden Users angezeigt.
Kann dieser sogenannte Retweet eine Urheberrechtsverletzung eines ausschließlichen Nutzungsinhabers darstellen?
Das Amtsgericht Köln hat entschieden: Das Retweeten stellt bereits keine Verbreitung dar, weswegen eine Urheberrechtsverletzung ausscheidet. Ein paar Voraussetzungen müssen dennoch vorliegen.
„Retweet“ auf Twitter
Der Kläger und der Beklagte sind als Journalisten tätig und besitzen jeweils einen Account bei der Internetplattform Twitter. Der Kläger ließ von einem Fotografen ein Porträtbild von sich erstellen, das er dann auf seinem Twitter-Account als Profilbild verwendete. Im Herbst 2019 twitterte ein Pressesprecher einer Bundestagsfraktion dann einen Text und lud hierzu dieses Porträtfoto des Klägers hoch. Dieses baute der Beklagte in einen Tweet auf seinem Twitter-Account ein. Der Tweet wurde mehrfach retweetet – also durch andere Nutzer hochgeladen, um es mit denen eigenen Nutzern zu teilen. Eine ausdrückliche Einwilligung zur Nutzung des Lichtbildes erteilte der Kläger nicht. Daher forderte der Kläger den Beklagten nach ein paar Tagen auf, es zu unterlassen das bezeichnete Lichtbild zu bearbeiten und/oder zu vervielfältigen und/ oder zum Abruf bereit zu halten, woraufhin der Beklagte eine entsprechende Unterlassungsverpflichtung abgab.
Der Kläger war der Ansicht, er habe ein ausschließliches Nutzungsrecht an dem streitgegenständlichen Portraitbild von dem Fotografen eingeräumt bekommen, welches der Beklagte dadurch verletzt hat, dass er den Tweet des Pressesprechers retweetet hat.
Retweet: Keine Urheberrechtsverletzung nach dem Urhebergesetz
Eine Abmahnung ist immer dann berechtigt, wenn der Abmahnende einen Anspruch auf Unterlassung hat. Dieser besteht nach § 97 Abs. 1 Urhebergesetz (UrhG) gegen denjenigen, der das Urheberrecht oder ein anderes nach dem Urhebergesetz geschütztes Recht widerrechtlich verletzt. Zur Geltendmachung der geregelten Ansprüche sind grundsätzlich die Personen berechtigt, die Inhaber von nach dem Urheberrechtsgesetz gewährten absoluten Rechte sind – also primär die Urheber, die Leistungsberechtigten und der ausschließliche Nutzungsinhaber. Das Gericht war hier jedoch der Auffassung, dass bereits dahinstehen könne, ob der Kläger ein ausschließliches Nutzungsrecht innehabe, denn der Beklagte habe das geschützte Recht jedenfalls nicht widerrechtlich verletzt.
Die Handlung des „Retweetens“ stelle bereits keine Verbreitung im Sinne des Urhebergesetzes dar, so das Gericht (Amtsgericht Köln, Urteil v. 22.04.2021, Az. 111 C 569/19). Es stellt sich jedoch zunächst die Frage, ob die Verbreitung von Beiträgen auf Social Media Plattformen überhaupt der Zustimmung des Urhebers bedarf. Nach Auffassung der Richter, richte sich dies nach der rechtlichen Einordnung der jeweiligen Handlung. Ein Retweet auf Twitter stelle eine Nutzungshandlung dar, was den sogenannten Fall des „Embeddings“ verkörrpere. Bei diesem werden fremde Inhalte nicht kopiert, sondern bestehende Inhalte in das eigene Social-Media-Profil eingebunden. Daher könne man in solchen Fällen weder von einer Vervielfältigung im Sinne des § 16 UrhG noch von einer öffentlichen Zugänglichmachung im Sinne von § 19 UrhG ausgehen. Vor allem liege aber keine öffentliche Wiedergabe im Sinne des § 15 Abs. 2 UrhG vor – das sei nach der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs nur anzunehmen, wenn durch das erneute Hochladen eine große und unbegrenzte Anzahl an Personen erreicht und für ein neues Publikum wiedergegeben werde. Unter „neuem Publikum“ könne man nur die Personen verstehen, an die der Inhaber des Urheberrechts nicht gedacht habe, als er die ursprüngliche Wiedergabe erlaubte.
Unbeschränkte Inhalte bei Twitter können kein neues Publikum ansprechen
Grundsätzlich muss der Urheber eines Bildes, einer Fotografie, eines Videos und anderer urheberrechtlich geschützter Werke also mit der Nutzung durch einen Dritten einverstanden sein. Doch es gibt Ausnahmen: Ist der Inhalt durch den Urheber oder Nutzungsberechtigten bereits unbeschränkt auf Soziale Netzwerken abrufbar, könne der Inhalt nicht erneut dieser Öffentlichkeit zugänglichgemacht werden. Kann also das Werk ohnehin von jedem Nutzer der Plattform eingesehen werden, liege ein „neues Publikum“ nicht vor und ein Einverständnis erübrige sich. Anders wäre der Fall nur, wenn die Privatsphäre-Einstellungen ursprünglich so gewählt wurden, dass der Beitrag öffentlich nicht jedermann einsehbar war oder das Foto in einer geschlossenen Gruppe das erste Mal veröffentlicht wurde.
Aber auch das Retweeten oder teilen ist nicht uneingeschränkt möglich. Nicht erlaubt wäre nämlich, das Foto auf dem eigenen Rechner zu speichern und – als eigenes – neu zu posten. Dann handle es ich gerade nicht um ein Embedding im Rahmen des Teilens oder Retweetens.
Verwendungspraxis von Twitter
Festzuhalten sei, dass die urheberrechtlichen Nutzungshandlungen innerhalb der Funktionalitäten einer Plattform von einer konkludenten Einwilligung des einstellenden Nutzers gedeckt seien, da die konkludente Einwilligung schon aus dem Wesen der Social-Media-Plattformen erfolge. Denn diese sind ja vor allem darauf ausgelegt, dass ihre Nutzer mit ihren Äußerungen und Bildern größtmögliche Breitenwirkung erzielen wollen. Das Gericht ist ferner der Auffassung, wer diese Plattformen nutzt und Inhalte daraufstellt, müsse wissen und damit rechnen, dass andere Nutzer von den Möglichkeiten, die die jeweilige Plattform bietet, auch Gebrauch machen. Werden also Inhalte bewusst eingestellt, dürfen dies von den anderen Nutzern als Zustimmung gewertet werden, die Inhalte nutzen zu dürfen.
Allerdings müssen trotzdem bei jeder Nutzung von Bildern und Videos die Nutzungsbedingungen und Bilderrichtlinien des jeweiligen sozialen Netzwerks beachtet werden – also Augen auf beim tweeten und retweeten!