Ein Bereich, in dem der Themenkomplex „Cancel Culture“ und „kulturelle Aneignung“ sich mit dem zeitgemäßen Bemühen um Diversität und Nichtdiskriminierung paart und ganz besondere Blüten treibt, ist die Filmindustrie.
Amazons Werk…
Ausgerechnet Amazon, ein Konzern, der das Soziale bisher nicht groß schrieb, will dabei Vorreiter sein. Der Konzern entwickelte Richtlinien, mit denen er für „Diversity, Equity, and Inclusion“ eintreten will. Inhalt der Normen: Geschlechter- und Herkunftsquoten für die Besetzung künftiger Produktionen (vor und hinter der Kamera), dazu eine strikte beachtung der Identitätskongruenz von Schauspieler und Rollencharakter hinsichtlich Geschlecht, Geschlechtsidentität, Nationalität, Ethnizität, sexuelle Orientierung und Behinderung).
Andreas Bernard kommentiert dazu in der Zeit: „Abgesehen von der merkwürdigen Pointe, dass ein Konzern, der für die erbarmungslosen Arbeitsbedingungen in den Warenlagern immer wieder kritisiert wird, plötzlich als Vorreiter der Vielfalt und Gleichberechtigung auftritt, erstaunt an diesen Selbstverpflichtungen vor allem das Verständnis von künstlerischer Nachahmung, die zugrunde liegende Beziehung von Wirklichkeit und Kunst“. Wie wahr.
…und der Schauspieler Beitrag
Denn die Frage ist natürlich, was dann noch das künstlerisch Wertvolle am Schauspiel sein soll. Zeichneten sich Schauspieler ehedem nicht gerade dadurch aus, in ganz verschiedenen Rollen zu überzeugen? Zudem schränkt es die Rollenauswahl für den Einzelnen erheblich ein: Wenn die Identität von Schauspieler und Charakter übereinstimmen muss, wäre der schwarze, homosexuelle Österreicher auf die Darstellung schwarzer, homosexueller Österreicher festgelegt. Und beim Casting müssten für die passgenaue Besetzung alle Merkmale abgefragt werden. Datenschutz?
Noch einmal Andreas Bernard: „Die Fähigkeit des Schauspielers, die unterschiedlichsten Charaktere auf der Bühne oder Leinwand zu verkörpern, sein Talent, sich in fremde Figuren hineinzuversetzen, gilt als verdächtig. An die Stelle von ästhetischen Prozessen tritt ein autoritäres kulturhygienisches Programm“. Und noch einmal: Wie wahr.
Gleichstellungsaspekte sinnvoll berücksichtigen
Freilich kann man die Besetzung nach Gleichstellungsaspekten vornehmen und ethnischen oder anders definierten Minderheiten Chancen geben. Doch das tut man gerade dadurch, dass man sie Rollen spielen lässt, in denen das Publikum eher keine Vertreterin, eher keinen Vertreter dieser Minorität erwartet. Aus dieser Spannung lässt sich mehr gewinnen als mit der streng normierten Kongruenz von Wirklichkeit und Kunstwerk nach Art der Amazon-Richtlinie. Diese wird am Ende weder der Kunst, noch der Wirklichkeit gerecht.
Der Beitrag stammt von unserem freien Autor Josef Bordat. Er ist Teil unserer Reihe “Berichte aus der Parallelwelt”. Dort werfen Autoren aus anderen Fachbereichen einen Blick auf die Rechtswissenschaft in Theorie und Praxis. Die Beiträge betrachten, anders als unsere sonstigen Fachbeiträge Begebenheiten und Rechtsfälle daher auch nicht juristisch, sondern aus einem völlig anderen Blickwinkel. Aus welchem, das soll der Beurteilung der Leser überlassen bleiben. Interessant wird es, wie wir meinen, allemal.