Jemanden zu beleidigen, ist gar nicht so einfach. Viele „klassische“ Bezeichnungen sind bei näherer Betrachtung gar nicht so beleidigend, wie es scheint.
Zum Beispiel „Idiot“. Als idiotes bezeichneten die Griechen in der Antike einen Privatmann, der sich nur um sein Eigenes kümmert und sich nicht an der gemeinschaftsstiftenden Polis beteiligt. Das fanden die alten Griechen ziemlich dumm, denn der Ausbau eines funktionierenden Gemeinwesens war – und ist – ja doch eine wichtige Sache, der man sich nicht verschließen sollte. Platon meinte sogar, dafür müsse man weise sein und empfahl die Philosophenherrschaft. Eigenbrötler jedenfalls halfen nicht dabei – das war dumm. Und ist es bis heute.
Meinungsäußerungsfreiheit versus Persönlichkeitsrecht
Daher wird „Idiot“ heute schlicht mit „Dummkopf“ übersetzt, unabhängig davon, ob die Dummheit eine privat oder eine öffentliche Manifestation erfährt. Das kann man in einer Gesellschaft, die sich auf ihre Rationalität viel einbildet, durchaus als herabwürdigend, ehrverletzend und insoweit beleidigend betrachten, zumindest in erster Hinsicht. Mit dem zweiten, juristischen Blick, der auch das Rechtsgut der Meinungsfreiheit betrachtet und es gegen das Schutzinteresse der Person abwägt, stellt sich dagegen in manchen Fällen heraus, dass eine – im Eifer des Gefechts ausgesprochene – Beleidigung keine solche im Rechtssinne ist, weil und soweit es sich dabei um eine zulässige Meinungsäußerung handelt, hinter der die Verletzung des Persönlichkeitsrechts zurücksteht.
Entscheidend: Sachbezug der Äußerung
So urteilte jedenfalls das Landgericht Hildesheim und entschied damit zugunsten eines Mannes, der das I-Wort in einem Telefongespräch gesagt haben sollte (LG Hildesheim, Urteil v. 9.2.2022, Az. 7 O 97/22, nicht rechtskräftig). Denn zunächst fand das Gericht, dass es sich „bei der streitgegenständlichen Bezeichnung […] um eine Meinungsäußerung [handelt], die sich von einer Tatsachenbehauptung dadurch unterscheidet, dass eine subjektive Wertung im Vordergrund steht, die der Äußerung ihr besonderes Gepräge verleiht“. Und diese hielt das Gericht nach Grundrechtsabwägung auch für zulässig, weil es in ihrer Sachbezogenheit am schmähenden, die Würde der Person als solche verletzenden Charakter fehle, der wiederum Voraussetzung dafür wäre, die Meinungsfreiheit einzuschränken.
Grundrechtsabwägung: Meinungsfreiheit überwiegt
Noch einmal einen Schritt zurück. Das Gericht sah zwei hohe Rechtsgüter gegeneinander wirken – das Recht auf freie Meinungsäußerung (Art. 5 Abs. 1 GG) und das Recht auf Schutz der Persönlichkeit (Art. 1 Abs. 1 und Art. 2 Abs. 1 GG). Es entschied sich für die Meinungsfreiheit. Neben dem Sachbezug (die Abmahnung war kurz zuvor eingetroffen) und der durch die Abmahnung aufgeheizten Situation sei, so das LG Hildesheim, ferner zu bedenken, dass die Äußerung in einem Telefonat getätigt wurde, also keine reputations- und geschäftsschädigende Wirkung auf Dritte entfalten konnte. Insoweit überwiege das Recht auf freie Meinungsäußerung und die so bezeichnete Person muss den „Idioten“ schlucken.
Der Beitrag stammt von unserem freien Autor Josef Bordat. Er ist Teil unserer Reihe “Berichte aus der Parallelwelt”. Dort werfen Autoren aus anderen Fachbereichen einen Blick auf die Rechtswissenschaft in Theorie und Praxis. Die Beiträge betrachten, anders als unsere sonstigen Fachbeiträge Begebenheiten und Rechtsfälle daher auch nicht juristisch, sondern aus einem völlig anderen Blickwinkel. Aus welchem, das soll der Beurteilung der Leser überlassen bleiben. Interessant wird es, wie wir meinen, allemal.