Persönlichkeiten der Straße – Wo hört Kunst auf?

Persönlichkeitsrecht Kunstfreiheit Straßenfotografie

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Was ist schützenswerter – das Persönlichkeitsrecht oder die Kunstfreiheit?

Die aktuelle Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts (BVerfG) befasst sich mit einer öffentlichen Ausstellung einer künstlerischen Straßenfotografie ohne Einwilligung der abgebildeten Person

Das Kunstprojekt

Ziel der Straßenfotografie ist es, die Realität unverfälscht abzubilden, wobei das spezifisch Künstlerische in der bewussten Auswahl des Realitätsausschnitts und der Gestaltung mit fotografischen Mitteln zum Ausdruck kommt.

Im konkreten Fall fertigte der Beschwerdeführer im Berliner Stadtteil Charlottenburg unter anderem eine Aufnahme der Klägerin des Ausgangsverfahrens (im Folgenden: Klägerin). Sie hält eine Handtasche in der einen sowie Plastiktüten in der anderen Hand und überquert an einer Ampel die Straße. Sie trägt ein Kleid mit Schlangenmuster. Ihr Körper nimmt etwa ein Drittel des Bildes ein. Die Klägerin scheint in Richtung der Kamera zu blicken, wobei ihr Gesicht gut erkennbar ist. Die weiteren Objekte und Personen im Hintergrund sind wesentlich kleiner und unschärfer.

Im Rahmen der frei zugänglichen Ausstellung „Ostkreuz: Westwärts. Neue Sicht auf Charlottenburg“ wurden insgesamt 24 Ausstellungstafeln mit 146 Fotografien an einer stark frequentierten Straße in diesem Stadtteil ausgestellt. Das streitgegenständliche Bild nahm die gesamte Fläche einer Ausstellungstafel (120 x 140 cm) ein.

Auf die Größe kommt es an

Der Beschwerdeführer hatte die Klägerin weder in Bezug auf die Aufnahme noch auf die Veröffentlichung der Fotografie um ihre Einwilligung gebeten.

Die Klägerin wehrte sich gegen die Ausstellung der Aufnahme. Daraufhin gab der Beschwerdeführer eine strafbewehrte Unterlassungserklärung ab. Er lehnte jedoch die Zahlung der entstandenen Anwaltskosten, einer Geldentschädigung und einer fiktiven Lizenzgebühr ab.

Auf die Klage der Klägerin verurteilte das Landgericht Berlin den Beschwerdeführer, ihr entstandene Anwaltskosten zu ersetzen. Im Übrigen wies es die Klage ab. Hauptsächlich stellte das Landgericht auf ein berechtigtes Interesse der Klägerin nach § 23 Abs. 2 Kunsturhebergesetz (KUG) ab, denn es liege eine hinreichend schwerwiegende Beeinträchtigung ihres Persönlichkeitsrechts, nämlich des Rechts am eigenen Bild vor.

Die vom Beschwerdeführer eingelegte Berufung wies das Kammergericht zurück. Es konkretisierte die Beeinträchtigung des Persönlichkeitsrechts dahingehend, dass die Aufnahme großformatig an einer verkehrsreichen Straße der breiten Masse präsentiert worden sei.

Persönlichkeit vor Kunst

Mit seiner Verfassungsbeschwerde rügte der Beschwerdeführer eine Verletzung seiner Kunstfreiheit aus Art. 5 Abs. 3 S. 1 GG. Das BVerfG nahm die Verfassungsbeschwerde nicht zur Entscheidung an.

Die vorangegangenen gerichtlichen Entscheidungen ließen keine Fehler erkennen, die auf einer grundsätzlich unrichtigen Anschauung von der Bedeutung der Grundrechte beruhen. Im Rahmen der vorgenommenen Abwägung trete die Kunstfreiheit hinter dem Persönlichkeitsrecht der Klägerin zurück.

Grundsätzlich ist nicht nur das Anfertigen der Fotografie, sondern auch deren Zurschaustellung im Rahmen einer öffentlich zugänglichen Ausstellung von der Kunstfreiheit erfasst.

Allerdings besteht die Kunstfreiheit nicht schrankenlos. Unter anderem setzt das Allgemeine Persönlichkeitsrecht der Kunstfreiheit ihre Grenzen. Die Klägerin sei zwar in der Öffentlichkeit, aber bei einem rein privaten Vorgang fotografiert worden, der in ihre Privatsphäre falle. Die Schwere der Beeinträchtigung des Persönlichkeitsrechts der Klägerin leitet sich aus der Art der Präsentation der Aufnahme als großformatigem Blickfang an einer vielbefahrenen Straße ab. Dadurch sei sie aus ihrer Anonymität gerissen worden. Die Abbildung wirke jedoch nicht unvorteilhaft oder herabsetzend – sie entfaltet also keine „Prangerwirkung“.

Lieber Kleinkunst

Die Entscheidungen des Kammergerichts und des BVerfG machen die ungestellte Abbildung von Personen ohne vorherige Einwilligung, welche typisch für die Straßenfotografie ist, nicht generell unmöglich.

Der Künstler bzw. Fotograf hat jedoch stets die Art und Weise der ausgestellten Aufnahme zu beachten. Die Gerichte hätten wohl anders entschieden, wenn die streitgegenständliche Aufnahme ein kleineres Format gehabt hätte.

Der feine Unterschied

Die Entscheidung verdeutlicht auch noch einmal den Unterschied zwischen Abbildungen von Privatpersonen in der „Öffentlichkeit“ und Personen von öffentlichem Interesse in vergleichbaren Situationen. Während bei Privatpersonen die Privatsphäre auch in die Öffentlichkeit hinein wirken kann, besteht bei Personen des öffentlichen Interesses die Privatsphäre lediglich dann, wenn die Öffentlichkeit ausgeschlossen ist.

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