Ein Unternehmen der Medienproduktion hat vor dem Frankfurter Landgericht Unterlassungsklage gegen einen ehemaligen Angestellten erhoben. Dieser hatte die Firma zuvor öffentlich mit dem Begriff „Sekte“ in Verbindung gebracht. Der Beklagte war bis zu seinem Austritt 2012 auch Mitglied einer Glaubensgruppe.
In zahlreichen öffentlichen Auftritten, Pressemitteilungen und Berichten auf seiner Facebook-Seite gab er an, dass es sich bei dieser Gruppe um eine „Sekte“ handele. Eine Vielzahl der Glaubensmitglieder stünden dabei hinter dem Medienunternehmen. Darüber hinaus behauptete er, die Staatsanwaltschaft ermittle gegen die Gründer der Firma.
Sektenlaune verflogen
Der ehemalige Mitarbeiter war bereits seit seiner Kindheit Mitglied der Glaubensgruppe gewesen. Nachdem er sowohl diese als auch das klagende Unternehmen verlassen hatte, gründete er seine eigene Medienproduktion. Wenig später bezeichnete er die religiöse Gruppe öffentlich in verschiedenen Medien als „Sekte“. Ein Großteil der Mitglieder seien dabei Angestellte und Mitwirkende der Medienfirma, ferner ermittle die Staatsanwaltschaft gegen die Gründer des Unternehmens.
Die Produktion sah sich in ihrer Reputation geschädigt, und zog in Frankfurt vor Gericht. Im Wege der Unterlassungsklage strebte diese an, den Mitarbeiter zur Rücknahme der Äußerungen sowie zum Verbot künftiger Beiträge verpflichten zu lassen. Das Landgericht wies die Klage jedoch erstinstanzlich ab (LG Frankfurt, Urteil v. 30.5.2017, Az. 3 O 278/16), woraufhin die Firma vor dem OLG Frankfurt in Berufung ging.
Die Richter gaben dieser allerdings nur teilweise statt (OLG Frankfurt, Urteil v. 28.6.2018, Az. 16 U 105/17). Zunächst wurde dem ehemaligen Mitarbeiter die Behauptung untersagt, die Gründer der Firma seien Objekt eines Ermittlungsverfahren der Staatsanwaltschaft. Hier handele es sich um eine unwahre Tatsachenbehauptung, da ein Verfahren lediglich gegen die Witwe des Geschäftsführers lief. Diese hatte darüber hinaus bei der Gründung des Unternehmens nicht mitgewirkt.
Bezeichnung als „Sekte“ rufschädigend?
Nach Ansicht des Senats sei der Beklagte allerdings auch weiterhin berechtigt, den Begriff „Sekte“ im Zusammenhang mit seinem alten Arbeitnehmer zu gebrauchen. Die Aussage sei zwar zunächst durchaus negativ konnotiert, und daher grundsätzlich geeignet den sozialen Geltungsanspruch des Wirtschaftsunternehmens (das Pendant zum Persönlichkeitsrecht für juristische Personen) negativ zu beeinflussen. Dies ergebe sich aus dem Umstand, dass der Begriff im allgemeinen Sprachgebrauch oftmals religiöse Gruppen bezeichne, die in irgendeiner Form als gefährlich oder problematisch angesehen werden. Die Richter gingen sogar soweit, die öffentlichen Aussagen als „Boykottaufruf“ einzustufen, da sich ein Großteil der Beiträge und Kundgebungen gezielt an die Kundschaft der Medienproduktion gerichtet hatte.
Gleichwohl sprach das OLG der Meinungsfreiheit des Beklagten im Lichte einer interessengerechten Abwägung eine höhere Gewichtung zu. Der soziale und wirtschaftliche Geltungsanspruch musste dem Urteil der Richter nach hinter dem Grundrecht des Mitarbeiters zurückweichen. Auch Boykottaufrufe könnten durchaus dem geistigen Meinungskampf dienen, so der Senat in seiner Begründung. Voraussetzung sei, dass der Aufrufende sich gegenüber dem Adressaten auf den Versuch geistiger Einflussnahme und Überzeugung beschränkt. Dies seien adäquate Mittel, um die Meinungsbildung zu fördern. Eben dies sei im konkreten Fall geschehen, da der Beklagte primär die Kundschaft über die strukturellen Umstände und ideologischen Wertvorstellungen habe aufklären wollen. Eigene finanzielle Vorteile seien hier nicht angestrebt worden, so die Richter.
Zulässige Äußerung oder nicht: Auf den Kontext kommt es an!
Der Gebrauch des Wortes „Sekte“ ist zunächst richtigerweise im allgemeinen Sprachverständnis mit negativen Assoziationen verbunden. Oftmals werden hier zwielichtige Organisationen mit fragwürdigen hierarchischen Strukturen vermutet. Trotzdem kommt der Meinungsfreiheit in einem Rechtsstaat eine immens hohe Bedeutung zu. Solange die Äußerungen der geistigen Auseinandersetzung zum Zwecke der Meinungsbildung dienen, genießen diese grundrechtlichen Schutz.
Hauptziel des Beklagten war hier die Aufklärung über die Umstände des Unternehmens im Zusammenhang mit der Glaubensgruppe. Da hier weder die unsachliche Diffamierung noch die Erlangung wirtschaftlicher Vorteile im Vordergrund standen, waren die Aussagen des ehemaligen Mitarbeiters als legitim anzusehen. Der soziale Geltungsanspruch der Gegenseite als Wirtschaftsunternehmen muss daher hinter der Meinungsfreiheit zurücktreten.
Die Entscheidung bedeutet jedoch keinen Freibrief für verärgerte Angestellte, ihren (ehemaligen) Arbeitgeber als Sekte zu bezeichnen. Ob eine Äußerung zulässig ist oder nicht, wird nicht nur anhand dieser selbst, sondern auch an den Kontext beurteilt, indem sie gefallen ist.
im Mai 2017 musste zum Beispiel die AfD-Vorsitzende Alice Weidel die Bezeichnung als „Nazi-Schlampe“ hinnehmen. Dies allerdings nur, im Zusammenhang mit der Forderung der Spitzenpolitikerin nach der Abschaffung allzu höflicher Umgangsformen als Steilvorlage für deren umgehenden, überspitzten Umsetzung in Gestalt einer überzeichneten Schmähung. Wir berichteten:
Das Urteil ist noch nicht rechtskräftig. Der Klägerin verbleibt die Möglichkeit, vor dem Bundesgerichtshof in Revision zu gehen.