Wir hatten darüber berichtet:
Das Landgericht Hildesheim hat in einer einstweiligen Verfügung vom 26.6.2019 beschlossen, dass Amazon die Sperre eines Verkäuferkontos unverzüglich aufheben, gelöschte Angebote wiederherstellen sowie vorhandenes, einbehaltenes Guthaben auf dem Konto umgehend freigeben muss.
Die Arroganz internationaler Konzerne
Ein für sich genommen eigentlich nicht sonderlich bemerkenswerter Vorgang.
Der sich mittlerweile jedoch zu einem Musterbeispiel für die rücksichtslose Art und Weise entwickelt, auf die Internetkonzerne ihre wirtschaftliche Macht und steueroptimierte, internationale Konzernstruktur mittlerweile völlig ungeniert zu Lasten der Allgemeinheit, den Kunden und Geschäftspartnern einsetzen und sogar gerichtliche Maßnahmen deutscher Gerichte auszuhebeln versuchen.
Amazon hält sich nicht an das Verbot, vereitelt die Zustellung, räumt aber ungeniert ein: Kündigungsgrund war nur vorgeschoben
An die Verbotsverfügung hält sich nämlich Amazon einerseits nicht nur bis heute nicht – der Händler ist nach wie vor gesperrt, das Guthaben eingefroren – , das entsprechende Konzernunternehmen vereitelte sogar die Zustellung des amtlichen Schriftstücks.
Anderseits macht Amazon vor Gericht keinerlei Hehl draus, dass der Kündigungsgrund tatsächlich nur vorgeschoben war und verteidigt sich anstelle von Sachargumenten vor allem mit prozessualen Besonderheiten, die sich aus den eigenen AGB ergeben sowie mit der angeblich fehlerhaften Vollziehung der Verfügung. Danach könne Amazon jeden jederzeit und ohne Begründung sperren bzw. kündigen. Der Händler könne außerdem vor deutschen Gerichten gar nicht klagen, er müsse dies in Luxemburg tun.
Die bisherige Chronologie kann in den folgenden Beiträgen nachgelesen werden:
- Amazon-Verkäuferkonto gesperrt: LG Hildesheim erlässt einstweilige Verfügung gegen Amazon
- Update zur unzulässigen Sperrung des Verkäuferkontos: Amazon vereitelt Zustellung der einstweiligen Verfügung
- Amazon legt Widerspruch gegen einstweilige Verfügung ein: Sperrungsgrund war nur vorgeschoben
Damit aber nicht genug.
Landgericht Hildesheim beraumt Termin zur mündlichen Verhandlung an
Das Landgericht Hildesheim hat zwischenzeitlich per Beschluss vom 22.8.2019 Termin zur mündlichen Verhandlung auf den 6.9.2019 anberaumt.
Im Rahmen des Terminierungsbeschlusses weist das Landgericht darauf hin, dass die Einwendungen von Amazon in der Widerspruchsschrift erheblich sein könnten und regt an zu prüfen, ob es sich empfehlen könnte, den Antrag zurückzunehmen und vor einem Gericht in Luxemburg neu zu stellen. Das legt zwar nahe, dass Amazon das Gericht in einer mit Anlagen fast 250 Seiten umfassenden Widerspruchsschrift – wohlgemerkt nach überschlägiger Prüfung – davon überzeugt haben könnte, die Entscheidung abzuändern.
Die Empfehlung, den Antrag in Luxemburg neu zu stellen, lässt aber auch vermuten, dass dieser Hinweis nicht auf Gründen in der Sache sondern auf prozessualen Gründen fusst. Dafür, dass der Widerspruch von Amazon alles andere als ein „Durchmarsch“ wird, spricht zudem, dass das Gericht den Antrag auf einstweilige Einstellung der Zwangsvollstreckung in Bezug auf die Kontosperrung zurückgewiesen und ihm in Bezug auf das Einbehalten des Guthabens nur gegen eine von Amazon zu stellende Sicherheitsleistung von 30.000 € stattgegeben hat.
Die prozessualen Hindernisse könnten sich zudem mittlerweile überholt haben.
Amazon verschweigt wichtige Änderungen der Vertragsbedingungen
Hintergrund des richterlichen Hinweises ist unter anderem die von Amazon in dem im AMAZON SERVICES EUROPE BUSINESS SOLUTIONS VERTRAG bis vor kurzem enthaltene Klausel, die vorsieht, dass Händler nicht nur grundlos gesperrt und gekündigt werden konnten, sondern gegen Amazon auch ausschließlich vor Luxemburgischen Gerichten vorgehen können sollten.
Ob das Landgericht auch nach unserer Stellungnahme bei seiner vorläufigen Einschätzungen bleiben wird, darf bezweifelt werden.
Was Amazon in der Widerspruchschrift nämlich nicht erwähnt ist, dass der Konzern sich bereits im Juli 2019 auf Druck des Bundeskartellamts dazu verpflichtet hat, unter anderem genau diese Regelungen zu Gunsten der rund 300.000 Amazonhändler abzuändern, um eine nicht unerhebliche Geldstrafe zu vermeiden und dies mit einer Aktualisierung dieser Vertragsbedingungen am 16.8.2019 auch bereits getan hat.
Kündigungen müssen jetzt begründet werden
Dort ist unter Ziffer 3. “Vertragslaufzeit und Kündigung” nun unter anderem geregelt, dass Amazon nur mit einer Ankündigungsfrist von 30 Tagen ordentlich kündigen darf und eine sofortige Kündigung oder Sperrung nur unter bestimmten Bedingungen zulässig ist.
Entscheidend ist zudem, dass Amazon den betroffenen Händlern ab sofort grundsätzlich umgehend den Sperrungsgrund und etwaige Möglichkeiten, hiergegen Widerspruch einzulegen, mitteilen muss. Was eigentlich eine Selbstverständlichkeit sein müsste, bedarf bei gewissen Unternehmen offenbar einer expliziten Regelung. Bei Amazon aus gutem Grund. Zur Erinnerung: Im vorliegenden Fall hatte Amazon dem Händler in Bezug auf den Kündigungsgrund die Unwahreit gesagt . Der „Rausschmiss“ des Händlers wäre nach diesen Vorgaben jedenfalls rechtswidrig gewesen.
Gerichtsstand Luxemburg ist nun „nicht ausschließlich“
Wichtig ist ferner, dass Amazon unter Ziffer 17. “Verschiedenes” eine kleine aber entscheidende Änderung an der Gerichtsstandsvereinbarung vorgenommen hat. Nachdem Händler bisher auf den “ausschließlichen” Gerichtsstand Luxemburg verwiesen worden waren, soll es sich nach den Vertragsbedingungen von Amazon dabei jetzt um einen “nicht ausschließlichen” Gerichtsstand handeln. Infolge dieser unscheinbaren, aber weitreichenden Änderung können Unternehmer den Gerichtsstand Luxemburg nun wählen, sind aber darauf nicht mehr von vornherein ausschließlich beschränkt. Eine Klage vor deutschen Gerichten wäre für den Händler danach jedenfalls nicht von vornherein ausgeschlossen gewesen.
Amazon hatte sich in seinem Widerspruch noch auf die alten, bis dahin geltenden Klauseln gestützt. Der Schriftsatz datiert zwar auf den 6.8.2019, also vor der Änderung vom 16.8.2019. Die Annahme, dass solch weitreichende Anpassungen nicht auch schon vorher konkret feststanden und der rechtlichen Vertretung und damit auch dem Gericht hätten mitgeteilt werden können bzw. müssen, ist unseres Erachtens jedoch fernliegend.
Dass das Landgericht Hildesheim zum Zeitpunkt seiner Hinweise von diesen Änderungen (im Detail) wusste, ist unwahrscheinlich. Es bleibt abzuwarten, wie seine Einschätzung nach dieser Kenntnisnahme ausfallen wird.
Nimmt das Kartellamt das Missbrauchsverfahren gegen Amazon wieder auf?
Schließlich ist nicht auszuschließen, dass es auch das Bundeskartellamt interessieren könnte, dass Amazon seine AGB zwar schnell geändert hat, um eine Einstellung des Missbrauchsverfahren zu erreichen und einer Strafe zu entgehen, jedoch der Meinung zu sein scheint, dass die neuen Regeln im Einzelfall nicht auch für alle Händler gelten. Das Bundeskartellamt weist in seiner entsprechenden Mitteilung vom 17.7.2019 selbst in weiser Voraussicht auf das Folgende hin:
Sollte Amazon seine Zusicherungen nicht einhalten, kann das Amt das Missbrauchsverfahren wieder aufnehmen.
UPDATE 4.9.2019
UPDATE 9.9.2019
- LG Hildesheim kippt einstweilige Verfügung gegen Amazon, betont “erhebliche Marktmacht” des Konzerns
(Offenlegung: Unsere Kanzlei vertritt die Antragstellerin.)