Gilt der fliegende Gerichtsstand auch für Vertragsstrafenklagen? Wie verhält es sich mit der Höhe einer Vertragsstrafe im Rahmen des „Neuen Hamburger Brauchs“?
Diese zwei äußerst interessanten Fragen beantwortete das LG Frankfurt im Rahmen eines Urteils.
Die Frage, ob sich der Gläubiger einer Vertragsstrafe, die durch eine sich bundesweit auswirkende Handlung verwirkt wurde, den Gerichtsstand aussuchen kann (“fliegender Gerichtsstand“) oder mangels anderer Zuständigkeiten darauf zu verweisen ist, am Sitz des Schuldners zu klagen, ist umstritten.
Vertragsstrafe: Wo einklagen?
Je, nachdem, welcher Auffassung man folgt, muss der Gläubiger bei einem Verstoß gegen die Unterlassungserklärung in Bezug auf die Vertragsstrafenklage gegebenenfalls ein anderes Gericht anrufen, als das, das vor dem Hintergrund der bundesweiten Zuständigkeit für den gesetzlichen Unterlassungsanspruch zuständig wäre und damit letztlich mehrere Verfahren führen.
… am Sitz des Schuldners?
Teilweise wird die Anwendung der Zuständigkeitsregeln in den §§ 13 und 14 UWG auf eine Vertragsstrafenklage mit der Begründung verneint, dass eine Vertragstrafenforderung nicht „auf Grund“ des Gesetz gegen unlauteren Wettbewerb erhoben, sondern auf eine vertragliche Vereinbarung gestützt werde, die den gesetzlichen Unterlassungsanspruch gerade ersetzen solle. Der Zweck der Zuständigkeitskonzentration gebiete keine erweiternde Auslegung von § 13 UWG, weil es in der Sache gerade nicht um wettbewerbsrechtliche Ansprüche, sondern um allgemeine vertragsrechtliche Fragen, insbesondere der Vertragsauslegung und die Anwendung von § 339 BGB gehe. Teplitzky weist insbesondere darauf hin, dass die Normzwecküberlegungen zu dem die sachliche Zuständigkeit regelnden § 13 UWG auf den die örtliche Zuständigkeit regelnden § 14 UWG nicht übertragbar seien.
… an irgendeinem der 115 Landgerichte?
Nach anderer Ansicht sollen die §§ 13 und 14 UWG auch auf die Einforderung der Vertragsstrafe angewandt werden, um – gemäß den vom Gesetzgeber verfolgten Zielen – die Amtsgerichte von einer Befassung mit spezifischen Fragen des Wettbewerbsrechts, die sich auch bei der Beurteilung der Verwirkung einer Vertragsstrafe stellen könnten, zu entlasten und einen inhaltlichen Gleichklang mit anderen Zuständigkeitsvorschriften im Lauterkeitsrecht herzustellen. Dieses weite Verständnis sei auch mit dem Wortlaut vereinbar, weil die strafbewehrte Unterlassungserklärung dazu diene, die Begehungsgefahr bezüglich des gesetzlichen Unterlassungsanspruchs entfallen zu lassen und auch Eingang in § 12 Abs. 1 UWG gefunden habe, so dass der Vertragsstrafeanspruch auf einen Anspruch auf Grund des UWG zurückzuführen sei.
Nach richtiger Auffassung gilt der fliegende Gerichtsstand
Das Landgericht Frankfurt hat sich nach Gegenüberstellung und ausführlicher und lesenswerter Abwägung in einer aktuellen Entscheidung (LG Frankfurt, Urteil v. 10.2.2016, Az. 2-06 O 344/15) für die Anwendbarkeit des sogenannten „fliegenden Gerichtsstands“ ausgesprochen.
Dem ist zuzustimmen. Neben den vom Landgericht Frankfurt ausführlich dargestellten Gründen wird diese Einschätzung durch die folgenden Überlegungen gestützt:
Würde man die Gleichstellung ablehnen, so wäre der Gläubiger eines (bloßen) gesetzlichen Unterlassungsanspruchs in Bezug auf die Wahlmöglichkeit des Gerichtsstands besser gestellt, als der Gläubiger, der aus dem nach einer Rechtsverletzung eingegangenen Unterlassungsvertrag, der den gesetzlichen Anspruch insoweit ersetzen soll, einen dagegen begangenen Verstoß und damit eine bereits zweite zu seinen Lasten begangene Tat sanktionieren möchte. Der Widerspruch wird noch deutlicher, wenn man bedenkt, dass dem Gläubiger eines gesetzlichen Unterlassungsanspruchs aufgrund der Tatsache, dass bereits das Angebot eines Unterlassungvertrags durch den Schuldner die Wiederholungsgefahr beseitigt, nichts anderes übrig bleibt, als den Vertrag zu schließen und damit den gesetzlichen Anspruch zu ersetzen, wenn er sich nicht völlig schutzlos stellen möchte.
Vorsicht auch beim „Neuen Hamburger Brauch“!
Die Entscheidung beinhaltet auch einen wichtigen Hinweis zur Höhe der Vertragsstrafe, wenn deren Bestimmung im Rahmen des sogenannten „Neuen Hamburger Brauch“ in das Ermessen des Gläubigers gestellt und dieses Ermessen im Streitfall vom zuständigen Gericht überprüft werden kann.
Viele Schuldner und deren anwaltliche Vertreter meinen, dass die Vereinbarung einer variablen Vertragsstrafe nach neuem Hamburger Brauch der Vereinbarung einer festen Vertragsstrafe stets vorzuziehen sei.
Variabel ist nicht immer besser als fest
Das ist ein Irrtum. Dabei wird übersehen, dass das zuständige Gericht die Ermessensentscheidung des Gläubigers nicht schrankenlos, sondern nur darauf hin überprüfen kann, ob ein gewisser Ermessensspielraum überschritten wurde und die Höhe der Vertragsstrafe damit nicht mehr der Billigkeit entspricht. Sprich: das Gericht darf, anders als landläufig angenommen wird, die vom Gläubiger bestimmte Vertragsstrafe nicht einfach durch die seiner Auffassung nach „richtige“ ersetzen.
Es kann daher im Einzelfall durchaus sinnvoll sein, die Vertragsstrafe durch einen festen Betrag einzugrenzen, anstatt dem Gläubiger die Bestimmung der Höhe der Vertragsstrafe zu überlassen.
Das Landgericht führt dazu aus:
Bei der Festlegung der Strafhöhe steht dem Bestimmungsberechtigten ein Ermessensspielraum zu. Es gibt nicht nur ein „richtiges“ Ergebnis. Die Bestimmung ist erst dann durch gerichtliches Urteil zu ersetzen, wenn die – mit dem Hinweis auf die Billigkeit – durch § 315 Abs. 3 BGB gezogene Grenze überschritten ist, nicht jedoch schon dann, wenn das Gericht eine andere Festsetzung für richtig hält (vgl. BGH (U.v. 19.05.2005 – I ZR 299/02) – PRO-Verfahren, juris, Rn.44; BGH (U.v. 24.06.1991 – II ZR 268/90), juris, Rn. 7, OLG Karlsruhe (U.v. 18.12.2015 – 4 U 191/14), juris, Rn. 35; jeweils m.w.N.). Das Gericht darf seine Ermessensentscheidung daher nicht an die Stelle der Ermessensentscheidung des Bestimmungsberechtigten setzen. Es hat seine Prüfung darauf zu beschränken, ob und wenn ja, inwiefern die getroffene Bestimmung unbillig ist (vgl. auch OLG Karlsruhe (U.v. 18.12.2015-4 U 191/14), juris, Rn. 35 m.w.N.).