Im Strafrecht geht man von einer natürlichen Handlungseinheit aus, wenn mehrere Handlungsakte vorliegen, die auf einem einheitlichen Willen beruhen und in einem engen räumlich-zeitlichen Zusammenhang stehen. Das bedeutet, es liegt eine Handlung – also „dieselbe Handlung“ – vor.
Dieser Grundsatz findet auch im Zivilrecht Anwendung und beeinflusst das ein oder andere Urteil. Das zeigte nun das Oberlandesgericht Frankfurt am Main.
Untersagte Angebote werden weiter betrieben
Das Landgericht Frankfurt am Main untersagte erstinstanzlich dem Antragsgegner mit Beschluss unter anderem folgende Tätigkeit:
„Geschäftlich handelnd auf Amazon Kundenrezensionen, die von Personen erstellt wurden, die hierfür bezahlt werden, zu veröffentlichen, ohne darauf hinzuweisen, dass diese Rezensionen beauftragt wurde und der Rezensent hierfür eine Bezahlung erhalten hat.“
Der Antragsgegner legte Widerspruch ein. Allerdings bestätigte das Landgericht die einstweilige Verfügung erneut. Auch das Oberlandesgericht Frankfurt wies in der nächsten Instanz die Berufung des Antragsgegners zurück. Ferner verhängte das Landgericht auf Antrag der Antragstellerin gegen den Antragsgegner wegen Zuwiderhandlung gegen das ausgesprochene Verbot ein Ordnungsgeld. Die Antragstellerin legte in diesem Antrag dar, der Antragsgegner betreibe die verbotenen Handlungen, die bislang über das Internetportal der „B“ abgewickelt wurden, nach Zustellung der einstweiligen Verfügung über das Internetportal der „E“ weiter. Außerdem betreibe er das Geschäftsmodell auch über die „F“ und deren Webseiten. Dagegen wendete sich der Antragsgegner mit der sofortigen Beschwerde und strebte die Aufhebung des Ordnungsgeldes und die Zurückweisung des Ordnungsmittelantrags an.
OLG gibt LG Recht – zumindest teilweise
Das Oberlandesgericht Frankfurt am Main (OLG Frankfurt am Main, Urteil v. 12.01.2022, Az. 6 W 106/21) entschied, dass der Verstoß gegen eine Unterlassungsverfügung durch das Weiterbetreiben der untersagten Angebote auf zwei Websites nur einen Verstoß und keine zwei selbständigen Zuwiderhandlungen darstelle.
Demnach sei das Landgericht in seinem Urteil zu Recht davon ausgegangen, dass der Antragsgegner dem Verbot schuldhaft zuwidergehandelt habe. Durch das Weiterbetreiben der oben aufgeführten, verbotenen Handlungen liege eine Zuwiderhandlung vor. An dem Geschäftsmodell ändere sich nämlich auch dadurch nichts, dass der vorherige Vertragspartner „B“ durch die Firma „E“ übernommen wurde. Zum einen habe „E“ auf Facebook ausdrücklich mit der Übernahme der Firma „B“ geworben. Zum anderen ist das Gericht der Auffassung, dass zahlreiche neue Inhalte bei „E“, derer der alten Inhalte bei „B“ entsprechen und dort bereits verfügbar waren. Auch habe eine automatische Weiterleitung von Interessenten, die sich als Tester oder Drittanbieter auf der Webseite registrieren lassen wollten, auf die neue Webseite stattgefunden. In den Nutzungsbedingungen von „E“ hieß es sogar, sie regelten das Verhältnis zwischen dem Anbieter und Plattformbetreiber „F“ und dem Nutzer. Diese Umstände führten zu der Entscheidung des Gerichts, dass ein Weiterbetreiben durch den Antragsgegner vorliege.
Keine zwei selbständigen Zuwiderhandlungen
Auch wenn die Richter am OLG dem LG in Bezug auf das Weiterbetreiben des Geschäftsmodells und der damit verbundenen untersagten Handlungen Recht gaben, sind sie sich nicht gänzlich einig.
Das Oberlandesgericht Frankfurt vertritt nämlich die Auffassung, dass es sich bei den Handlungen auf den verschiedenen Plattformen nicht um zwei Zuwiderhandlungen handele, sondern von einer Handlung auszugehen sei. Gegenstand des Verbots sei nicht der Betrieb von Internetportalen, über die „bezahlte“ Produkt- und Verkäuferbewertungen auf der Handelsplattform Amazon generiert werden können, sondern das Veröffentlichen von Bewertungen, deren kommerzieller Zwecks entgegen § 5a Abs. 6 des Gesetzes gegen den unlauteren Wettbewerb (UWG) nicht kenntlich gemacht wird. Die Bewertungen werden von den auf den Plattformen registrierten Testern veröffentlicht. Der Antragsgegner sei jedoch Mittäter. Daher setze eine Zuwiderhandlung voraus, dass nach Zustellung der einstweiligen Verfügung Produktrezensionen von Testern veröffentlicht wurden, die bei den verschiedenen Portalen registriert waren, und an denen der Antragsgegner ebenfalls mittäterschaftlich beteiligt war.
Das Weiterbetreiben der Geschäfte über die „neuen“ Portale sei als mittäterschaftlicher Beitrag zu bewerten. Allerdings dürfe man nicht „pro Portal“ von einer selbständigen Zuwiderhandlung ausgehen. Vielmehr liege hier eine natürlichen Handlungseinheit vor. Dazu könnten Verhaltensweisen zusammengefasst werden, die gegen dasselbe gerichtliche Verbot verstoßen und die aufgrund eines räumlich-zeitlichen Zusammenhangs so eng miteinander verbunden sind, dass sie bei natürlicher Betrachtungsweise als ein einheitliches, zusammengehörendes Tun erscheinen, so das Gericht. Diesbezüglich führen die Richter weiter aus, das Weiterbetreiben der Geschäfte des ursprünglichen Vertragspartners unter „neuer Flagge“ stelle sich eben als ein solches einheitliches, zusammengehörendes Tun dar. Dieses Vorgehen bilde einen mittäterschaftlichen Beitrag zu den seitens der Tester veröffentlichten Rezensionen.
Veröffentlichungen gekaufter Bewertungen
Bei einem solchen Geschäftsmodell liegt auf der Hand, dass in den entsprechenden Bewertungstexten nicht erwähnt wird, dass der Tester hierfür einen vermögenswerten Vorteil erhalten hat. Einen entsprechenden Hinweis wird der Tester schon deshalb nicht geben, da es nach den Amazon-Richtlinien sowohl Drittanbietern als auch Testern, die über ein Amazon-Kundenkonto verfügen, verboten ist, „gekaufte“ Bewertungen zu veröffentlichen. Ausreichend ist es daher, dass ein auf die Veröffentlichung solcher Bewertungen gerichtetes Geschäftsmodell betrieben wird. Und dies sei auch dann anzunehmen, wenn das Geschäftsmodell über ein anderes Internetportal in gleicher Weise weiterbetrieben werde.