Egal ob Fotos oder Zeichnungen: Vorher-Nachher-Bildern sind auch bei Lippenunterspritzungen unzulässig

In einem Urteil vom 23.04.2024 (Az. 9 U 1097/23) hat das Oberlandesgericht Koblenz die Frage entschieden, ob auch schematisierende oder stilisierende Darstellungen des menschlichen Körperzustandes unter das Verbot der Werbung mit vergleichenden Abbildungen für plastische Chirurgie ohne medizinische Notwendigkeit fallen.

Es ging um die Unterspritzung von Lippen mit Hyaluronsäure.

Sachverhalt

Die Beklagte ist eine Spezialklinik für plastische-ästhetische Chirurgie mit Schwerpunkt in der Gesichts- und Brustchirurgie. Sie führt eine Homepage, auf der sie ihre Leistungen bewirbt. Unter anderem wirbt sie dort auch für eine Lippenunterspritzung mit Hyaluronsäure mittels zweier gezeichneter Darstellungen, die Vorher-Nachher-Bilder der Behandlung zeigen.

Dagegen klagte eine Wettbewerbszentrale wegen wettbewerbsrechtlicher Unterlassungsansprüche. Das Landgerichts Mainz (Urteil v. 03.08.2023, Az. 11 KH O 34/22) gab dieser Klage statt und verurteilte die Beklagte auf Unterlassung der Werbung mittels Vorher-Nachher-Bilder. Dagegen legte diese Berufung ein.

Rechtliche Grundlage der Unterlassung

Auch das OLG Koblenz sah einen wettbewerbsrechtlichen Unterlassungsanspruch aus § 8 Abs. 1 UWG, § 3 Abs. 1 UWG, § 3 a UWG i.V.m. § 11 Abs. 1 S. 3 Nr. 1 HWG.

Voraussetzungen für den Anspruch ist, dass eine unlautere geschäftliche Handlung vorliegt. Diese liegt gem. § 3a UWG vor, wenn ein Verstoß gegen eine Marktverhaltensregelung gegeben ist. So eine Regelung stellt § 11 Abs. 1 S. 3 Nr. 1 Heilmittelwerbegesetz (HWG) dar. Danach darf für operative plastisch-chirurgische Eingriffe, die nicht medizinisch notwendig sind, nicht mit der Wirkung einer solchen Behandlung durch vergleichende Darstellung des Körperzustandes oder des Aussehens vor und nach dem Eingriff geworben werden.

Dies bedeutet im Umkehrschluss: wird ein operativer Eingriff wie beispielsweise eine Nasen-OP mit Vergleichsbildern vor und nach dem Eingriff beworben, so ist dies unzulässig und ist somit zu unterlassen.

Verstoß gegen das Werbeverbot

Das Gericht stellte hier einen Verstoß gegen § 11 Abs. 1 S. 3 Nr. 1 HWG fest. Eine Unterspritzung der Haut sei ein operativer plastisch-chirurgischer Eingriff.

Plastische Chirurgie bezeichnet dabei chirurgische Eingriffe, die an Organen oder Gewebestrukturen durchgeführt werden, mit dem Ziel, eine Körperform, eine Körpergestalt oder eine sichtbar gestörte Körperfunktion wiederherzustellen oder zu verbessern. Davon auszunehmen seien jedoch rein kosmetische Behandlungen, die Form- oder Gestaltveränderungen an den Organen oder der Körperoberfläche zum Gegenstand haben, denen es aber an einem instrumentellen Eingriff am oder im Körper des Menschen fehlt.

Nach diesen Grundsätzen sei laut Gericht die von der Beklagten beworbene Behandlung als operativer plastisch-chirurgischer Eingriff zu werten.
Gegenstand der Behandlung sei das Unterspritzen der Lippen mit Hyaluronsäure mittels einer Kanüle, sodass mit technischen Instrumenten eine Flüssigkeit in den Körper eingebracht werde und damit ein instrumenteller Eingriff vorliege. Die Behandlung diene auch der Gestaltveränderung der Lippen, da deren Volumen vergrößert werden soll.

Auch liege der beworbenen Behandlung keine medizinische Indikation zugrunde. Sie dient erkennbar lediglich der optischen Veränderung der Lippenform und steht unstreitig nicht in Zusammenhang mit einem krankhaften und behandlungsbedürftigen Zustand des Verbrauchers.

Auslegung des Begriffs „Darstellung“

Bei diesem Verfahren war insbesondere streitig, ob der Begriff der „Darstellung“ nur Lichtbilder und Fotos erfasse oder dieser Begriff weit zu verstehen sei und folglich auch die oben gezeigte Darstellung umfasse.

Nach dem Wortlaut der Vorschrift seien laut OLG Koblenz als Darstellung sämtliche Abbildungen anzusehen, die visuell wahrgenommen werden können. Ausgenommen davon seien Schriftzeichen und solche schematischen Zeichnungen, die keinerlei Zusammenhang mit der Darstellung des menschlichen Körpers haben. Es müsse sich um erkennbare Darstellungen des menschlichen Körperzustandes handeln, worunter nicht nur realistische Abbildungen zählen, sondern auch schematisierende oder stilisierende Darstellungen, weil gerade sie Erscheinungsbilder oftmals besonders drastisch wiedergeben.

Unter Berücksichtigung dieses weiten Verständnisses des Begriffs der „Darstellung“ finde § 11 Abs. 1 S. 3 Nr. 1 HWG nicht nur auf Lichtbilder und Fotos Anwendung, sondern auch auf weitere visuell wahrnehmbare Abbildungen. Maßgeblich sei, dass auf den Abbildungen ein menschlicher Körperteil erkennbar ist.

Schutzzweck des Heilmittelwerbegesetz

Auch unter Berücksichtigung des Zwecks des § 11 Abs. 1 S. 3 Nr. 1 HWG sei eine einschränkende Auslegung des Begriffs „Darstellung“ laut Gericht nicht geboten. Die Verbotsnorm untersage die Werbung mit einer vergleichenden Darstellung, weil gerade dies einen erheblichen Anreiz auslösen kann, sich unter Inkaufnahme gesundheitlicher Risiken ebenfalls solchen Eingriffen zu unterziehen, obwohl der Erfolg möglicherweise nicht der Gleiche sein wird.

Die Vorschrift berücksichtige, dass durch vergleichende Bilddarstellungen bei dem Verbraucher eine suggestive Wirkung hervorgerufen werde, welche diesen in seiner Entscheidung, sich für eine solche Behandlung zu interessieren, maßgeblich beeinflusst.

Diese beeinflussende Wirkung sei jedoch nicht auf Fotos beschränkt, sondern ist bei anderen Darstellungen im oben genannten Sinn, welche Körperteile vergleichend abbilden, ebenso – wenn auch möglicherweise nicht in gleichem Umfang – gegeben.

Somit ist das Ergebnis der Auslegung, dass die Norm gerade nicht auf Fotografien abstelle, sondern weites Begriffsverständnis zu Grunde legt.

Keine Verletzung von Grundrechten

Das Oberlandesgericht verneint einen Eingriff durch das Verbot in die von Art. 12 Abs. 1 GG geschützten Berufsfreiheit.

Durch das Werbeverbot sei die Beklagte nicht in ihrer Berufsausübung eingeschränkt. Insbesondere sei es der Beklagten nicht verwehrt, interessierten Verbrauchern im Rahmen eines Beratungsgesprächs die Wirkungen der Behandlung durch Vorlage von Vorher-Nachher-Darstellungen zu verdeutlichen.

§ 11 Abs. 1 S. 3 Nr. 1 HWG schränke nicht die beratende Tätigkeit ein, sondern sei alleine im Bereich der werbenden Tätigkeit anwendbar.
Das Interesse der Beklagten an der Gewinnung von Kunden durch eine vergleichende und damit suggestive Darstellung habe hierbei hinter dem Schutz der Gesundheit der Bevölkerung zurückzustehen.

Fazit

Aus diesen Gründen bejahte das Oberlandesgericht Koblenz somit ein Verstoß gegen das Werbeverbot und bejahte den beantragten Unterlassungsanspruch der Klägerin.

Wie auch das OLG Düsseldorf und das OLG Köln legt auch das OLG Koblenz die Begriffe des Werbeverbot weit aus. Es lässt sich eine Tendenz in der Rechtsprechung erkennen, die die Verbraucherrechte konstant stärkt und damit die Werbemöglichkeiten für ästhetische schönheitschirurgische Praxen erschwert.

Dies bedeutet für Praxen: Genau aufpassen, womit geworben wird, damit keine wettbewerbsrechtlichen Abmahnungen und Unterlassungsansprüche riskiert werden.

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