Das Amtsgericht Köln (AG Köln, Urteil vom 20.4.2011, Az. 201 C 546/10) vertritt in einer Entscheidung aus dem Mietrecht die Auffassung, dass Informationen aus der freien Enzyklopädie Wikipedia als „gerichtsbekannt“ behandelt werden können.
Im Prozess ging es um die Frage, ob ein bestimmtes Harz Bestandteile enthalte, die gesundheitsschädlich sind. Das Gericht sah keine Notwendigkeit zu dieser Behauptung des Klägers, die bestritten war, Beweis zu erheben. Denn diese Tatsache ergebe sich aus Wikipedia. Das Gericht führt insoweit aus:
„Schließlich war die Miete in den Monaten Dezember 2007 sowie Januar und Februar 2008 um jeweils 20 % gemindert. Dies entspricht einem monatlichen Minderungsbetrag von 188,47 €. Der Beklagte schuldete für die genannten Monate gemäß § 536 Abs. 1 Satz 2 BGB lediglich eine herabgesetzte Miete, da die Rohrinnensanierung, die im November 2007 durchgeführt worden ist, unstreitig mit Hilfe des Baustoffs Epoxidharz vorgenommen wurde. Es ist dabei gerichtsbekannt, dass Epoxidharz Komponenten enthält, die gesundheitsschädlich sind. Dabei bezieht sich das Gericht auf den Artikel der freien Enzyklopädie Wikipedia zum Thema Epoxidharz. Danach besteht die Harzkomponente aus den Stoffen Bisphenol A und Epichlorhydrin. Bisfinol A wird als endokriner Disruptor verdächtigt, das bedeutet, dass dieser Stoff wie ein Hormon wirken und so das empfindliche Gleichgewicht des Hormonsystems des Menschen stören kann. Gerichtsbekannt ist ferner, dass solche endokrinen Disruptoren schon in geringsten Mengen zu Störungen im endokrinen System führen können. Der Stoff Epichlorhydrin ist laut Wikipedia weiterhin bekannt als giftig und im Tierversuch krebserzeugend. Daher steht zur Überzeugung des Gerichts fest, dass das Wasser in der Wohnung des Beklagten im streitgegenständlichen Zeitraum als Trinkwasser nicht geeignet war und zur Körperhygiene nur bedingt geeignet war. Dies rechtfertigt eine Mietminderung von 20 % monatlich.“
Der Begriff der Gerichtsbekanntheit oder -offenkundigkeit entstammt der Zivilprozessordnung und dort dem § 291 ZPO, der lautet, dass Tatsachen, die bei dem Gericht offenkundig sind, keines Beweises bedürfen. Klassische Beispiele sind dabei die richterlichen Kenntnisse aus früherer amtlicher Tätigkeit, zur aus früheren dienstlichen Mitteilungen von dritter Seite, aus früheren Prozessen oder aus der Kenntnis öffentlicher Register.
Gilt das „Hab ich im Internet gelesen“-Argument jetzt auch vor Gericht?
Jetzt fragt sich sicherlich mancher, ob es tatsächlich zulässig sein kann, dass Gerichte, die sich bekanntlich mit dem unbekannten Wesen „Internet“ oft ziemlich schwer tun, Dinge, die sie „im Internet gelesen haben“, und mögen diese auch Wikipedia entstammen, ohne weiteres für gerichtsbekannt und damit unstreitig erklären. Die Frage ist auch aus juristischer Perspektive durchaus berechtigt.
Denn mit den oben genannten öffentlichen Registern, aus denen das Gericht befugt ist, Informationen zu entnehmen, hat Wikipedia nichts zu tun. Damit ist zum Beispiel das Handelsregister gemeint und nicht ein Sammelsurium von Artikeln, die von weltweit jedem jederzeit geschrieben, geändert auch wieder gelöscht werden können. Auch wenn Wikipedia in der Mehrzahl der Fälle sicherlich eine gute Informationsquelle darstellt, auf die selbstverständlich auch Juristen und Richter zugreifen dürfen, so führt der Umstand, dass eine bestimmte Tatsache dort geschrieben steht, noch lange nicht dazu, dass diese als offenkundig behandelt werden darf.
Demnächst heißt es womöglich bei Streitigkeiten auch vor Gericht nur noch lapidar: „Hab ich im Internet gelesen!“.
Wenn das Beispiel Schule machte, könnte man die eigenen Erfolgsaussichten des nächsten zivilrechtlichen Verfahrens nicht unerheblich steigern, indem einfach alle für einen günstigen Tatsachen ins „Internet“ schriebe. Das Gericht könnte sich so in Bezug auf diese „gerichtsbekannten“ Tatsachen (weil, sie stehen ja da im Internet) eine Beweisaufnahme sparen. (la)