Amerikas Milliardenspender contra das deutsche gesellschaftliche Gleichheitspostulat?

Nachdem bekannt wurde, dass zahlreiche amerikanische Milliardäre vorhaben, große Teile ihres Vermögens an wohltätige Zwecke zu spenden, war es nur eine Frage der Zeit, bis sich auch kritische Stimmen dazu melden würden. Da man normalerweise die Schnelligkeit deutschen Hobby-Kritikertums gewöhnt ist, hat es verwundert, dass dieser Spiegel Beitrag vom 07.08.2010 ganze 3 Tage auf sich warten ließ. Das liegt wohl auch darin begründet, dass selbst der größte Nörgler auf die Schnelle nichts Schlechtes daran finden kann, dass Menschen den Großteil ihres Vermögens weggeben wollen.

Henrik Müller vom Spiegel machte seinem deutschen Namen dann aber doch alle Ehre und fand etwas. Die Spenden der Superreichen seien „Ablasshandel im großen Stil“. Grob vereinfacht lautet seine These, dass wohl etwas falsch laufen muss, wenn Menschen überhaupt erst so unverhältnismäßig reich werden können und und dann nicht auf dem von der Gesellschaft dafür vorgesehenen unternehmerischen Weg in Gestalt von Investition und Arbeitsplätzen zurückgeben, sondern durch reichliche Spenden. Daher sei die seiner Meinung nach zu Unrecht frenetisch gefeierte Spendenaktion kein Vorbild für Deutschland.

Abgesehen davon, dass man dem Artikel anmerkt, wie sehr der Autor mit sich gekämpft hat, um der Spendenaktion überhaupt etwas Schlechtes abringen zu können und dieser sich dadurch merkwürdig zwanghaft und moralinsauer liest, wird daran meines Erachtens ein grundlegendes Missverständndis der Deutschen, jedenfalls aber des Autors klar. Die Formulierung kommt verschwurbelt und unscheinbar daher, aber sie hat es in sich. Herr Müller meint, dass Deutschland in einem Konflikt zwischen gesellschaftlichem Gleichheitspostulat und der ökonomisch unvermeidbaren Ungleichheit stehe, der traditionell mit der Selbstverpflichtung der Unternehmer zur Reinvestition in dem Heimatstandort gelöst werde.

Auf den ersten Blick mag dieser Satz  stimmen. Herr Müller legt aber dem Begriff „Gleichheit“ in der Gesamtschau mit seinem Artikel eine Bedeutung bei, die er in einer freien Marktwirtschaft, wie in den USA aber auch in einer sozialen Marktwirtschaft, wie in Deutschland nicht zukommt. Denn das „Gleichheitspostulat“ soll selbstverständlich allen Menschen nur die gleichen Voraussetzungen in ihrem Streben nach Glück innerhalb der Gesellschaft, also Chancengleicheit gewähren. In einem Sozialstaat gehört dazu zwar auch die Gewährleistung eines Mindeststandards für diejeinigen, die selbst nicht in der Lage sind, ihre Existenz zu sichern. In Deutschland scheint man aber offenbar der Meinung zu sein, dass Gleichheit darüber hinaus bedeutet, dass alle Menschen auch alle gleich sein müssen. Die Ausführungen im Spiegel suggerieren sogar, dass die Pflicht zum Gleichsein auch und bezogen auf das Thema  „Superreiche“ vor allem „nach unten“ gilt. Man soll sich folglich nicht vorranging bemühen, den Ärmeren ebenfalls „Reichtum“ zu verschaffen, um Gleichheit herzustellen, sondern man kann ruhig auch den Reichen den Besitz streitig machen, falls dies nötig ist. Nach dem Motto, es darf keinem schlechter, aber auch bitteschön keinem besser gehen. Und wenn es jemandem besser geht, als anderen soll er jedenfalls nicht großzügig, „hedonistisch“ spenden und sich noch gut und sogar besser,

„als es in der Funktion als Unternehmer, Manager, Investor oder Konsument möglich ist“

dabei fühlen dürfen. Auch wenn der Autor sich beeilt, zu bestätigen, dass „das vollkommen in Ordnung“ sei, mahnt der Rest und vor allem die Einleitung seines Artikels dennoch unterschwellig zu einem schlechten Gewissen.

Die gefühlte Unanständigkeit von großem Reichtum ist wahrscheinlich auch der Grund dafür, dass Superreiche in Deutschland aus Sicherheitsgründen sogar die Öffentlichkeit meiden müssen, wie das bei Aldigründer Theo Albrecht der Fall war. Viel lieber ist den Deutschen da anscheindend die staatlich verordnete  Umverteilung des Vermögens wie zum Beispiel durch die Reichensteuer. Der „Spender“ darf sich nicht gut fühlen, da die Leistung nicht freiwillig erfolgt. Der Begünstigte muss sich nicht dankbar zeigen, er hat ja  – abgesehen davon, dass er wegen der Diffusität der Verteilung oft gar nicht individuell zu ermitteln ist – ein Anrecht auf die „Spende“.

Bei allem Neid und aller Missgunst, die jeden Menschen ergreifen können, glaube ich nicht, dass die Mehrheit der Deutschen der Meinung ist, dass Reiche nicht ohne schlechtes Gewissen abgeben dürfen. Wenn doch, dann wäre allerdings die Bewertung von Herrn Müller leider richtig:

„Tu Gutes und rede darüber“. Ein fataler Irrweg – und kein Vorbild für Deutschland.

(la)

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